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Netz der Täuschung

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Schutz-, Lock- und Tarnfunktion in einem: kann es so etwas geben? Manche Netzspinnen fügen in ihre Netze Bereiche mit dicht gesponnener Spinnenseide ein, die Stabilimente genannt werden. Diese weiße „Netzdekoration“ könnte alle drei Funktionen übernehmen. Allerdings sind die Schutz-, Lock- und Tarnfunktionen nicht bei einer Art, sondern bei verschiedenen Arten nachgewiesen worden (Herberstein et al. 2000). Eisner und Nowicki (1983) testeten in Florida die Schutzhypothese, dass die Stabilimente die Lebensdauer der Spinnennetze erhöhen. Spinnennetze verschiedener Webspinnen versahen sie mit einem x-förmigen Papierstreifen, der in Farbe, Form und Größe dem Stabiliment der Wespenspinne Argiope florida glich. Sie verglichen die Lebensdauer dieser manipulierten Netze mit künstlichem Stabiliment mit der Lebensdauer von einer ebenso großen Zahl von einfachen Kontrollnetzen. Vorher entfernten sie die Spinnen aus allen Netzen. Nachts um zwei Uhr startete der Versuch: alle Netze sind ok. Um sechs Uhr in der Morgendämmerung sind noch knapp 90 % der Netze beider Typen unversehrt. Um zehn Uhr mittags waren noch mehr als 60 % der Netze mit Stabiliment intakt. Dagegen fanden Eisner und Nowicki nur noch weniger als 10 % der Netze ohne Stabiliment intakt. Sie vermuteten, dass von den Stabilimenten eine Schutzwirkung gegenüber Vögeln und großen Schmetterlingen ausgeht, die ein Spinnennetz zwar zerstören können, aber als Beutetiere zu groß sind für die Spinnen und nicht gefangen werden. Schließlich konnten sie sogar Vögel und große Schmetterlinge beobachteten, wie sie um die Spinnennetze mit Stabiliment einen Bogen flogen.

Häufig kann man Spinnen so auf ihrem Netz sitzen sehen, dass ihr Körper im Zentrum des Stabiliments platziert ist (▶ 20). Bei manchen Arten unterstützt die weiße Körperfärbung die Tarnmöglichkeit im Stabiliment. Wickler (1968) berichtet von der malaiischen netzbauenden Spinne Cyclosa mulmeinensis, dass sie in der Netzmitte auf einer eng gesponnenen Nabe sitzt. Beutereste spinnt sie zu Häufchen zusammen, die so groß sind wie sie selbst und umgibt sie mit besonders gesponnenen Fäden, sodass das Bild weiterer Naben entsteht. Die Tarnhypothese zur Funktion dieser Stabilimente besagt, dass mehrere potentielle Sitzwarten einen Schutz vor Spinnenräubern bieten könnten. Die Chancen für einen Räuber, die Spinne auf einer ihrer drei Sitzwarten durch eine zufällige Wahl zu erwischen, ist nur 1:3. Damit sind die Chancen den Angriff eines Spinnenfressers für eine Spinne mit drei Stabilimenten in ihrem Netz zu überstehen dreimal höher als bei einem Tier, das auf dem einzigen Stabiliment seines Netzes sitzt. Entsprechend steigt die Lebenserwartung und damit die Chance, Nachwuchs zu produzieren. Der Einbau zusätzlicher Scheinsitzwarten könnte bei einem Räuberangriff auf die Spinne also lebensverlängernd wirken.


▲ 20 Eine weiße Netzspinne im tropischen Regenwald Perus sitzt getarnt auf dem im Zentrum des Netzes gesponnenen Stabiliments.

Die Auswirkungen von Stabilimenten auf die Fängigkeit von Spinnennetzen im Sinne der Lockhypothese testeten Craig und Bernard (1990). Sie verglichen die Fängigkeit von verschiedenen Netzen der tropischen Wespenspinne Argiope argentata im Feldversuch. Um die Lockwirkung des Stabiliments zu testen, unterschieden sie die Fängigkeit der beiden Netzhälften und konnten auf diese Weise prüfen, ob die Netzhälfte mit oder die ohne Stabiliment fängiger war. Folgende Reihenfolge der Attraktivität wurde ermittelt: Ein einfaches Netz besitzt die geringste Fängigkeit, ein einfaches Netz mit Spinne weist eine höhere Fängigkeit auf, ein Netz mit Stabiliment eine noch höhere Fängigkeit, ein Netz mit Stabiliment und Spinne besitzt die höchste Fängigkeit (▶ 21). Insgesamt kann die Fängigkeit eines einfachen Netzes auf das Doppelte gesteigert werden, wobei der größte Anteil auf die Lockwirkung des Stabiliments entfällt. Da 60 % der Beute blütenbesuchende Bienen sind, vermuten die Forscher eine Imitation von Blütensignalen durch die Stabilimente. Die Lockwirkung führen sie auf die hohe UV-Reflexion der weißen Stabilimente zurück. Eine hohe Attraktivität der weißen, UV-reflektierenden Farbe ist nach Untersuchungen zur Farbpräferenz von Bienen unwahrscheinlich. Weiße Blüten, die UV-Licht reflektieren, sind für Bienen spontan wenig attraktiv, da sie nur einen geringen Farbkontrast zum Blattgrün bilden. Möglicherweise befand sich aber eine der seltenen UV-reflektierenden, weißblühenden Futterpflanzen in der Nähe, deren Farbe die Bienen gelernt hatten. Untersuchungen von Blackledge (1998) an der Wespenspinne Argiope auriantia belegen, dass der Bau eines Stabiliments zu seltenerer Zerstörung und geringerer Fängigkeit führt. Während Netze mit Stabiliment zu 39 %, aber Netze ohne Stabiliment zu 71 % durch Vögel zerstört wurden, fingen sich innerhalb von drei Stunden in Netzen mit Stabiliment durchschnittlich zwei, aber in Netzen ohne Stabiliment im selben Zeitraum drei Beutetiere. In diesem Fall muss die Spinne wählen, welche Taktik sie anwendet. In Käfigversuchen, in denen Argiope trifasciata-Spinnen zusammen mit spinnenjagenden Grabwespen eingesperrt waren, überlebten die Spinnen länger, wenn sie ein Netz mit Stabiliment bewohnten. Möglicherweise sind die Spinnen im Stabiliment schwer zu lokalisieren, sodass sie sich beim Angriff einer Grabwespe rechtzeitig fallenlassen können und so der Grabwespe entkommen (Blackledge & Wenzel 2001). Durch Stabilimente können aber auch ungebetene Gäste angelockt werden, wie Seah und Li (2001) nachwiesen. Argiope versicolor-Netze mit Stabiliment lockten die spinnenfressende Springspinne Portia labiata häufiger an als Netze ohne Stabiliment.


▲ 21 Fängigkeit von Spinnennetzen der tropischen Wespenspinne Argiope argentata in Abhängigkeit vom Vorhandensein der Spinne und vom Vorhandensein und der Position eines Stabiliments. Dargestellt ist das Aussehen getesteter natürlicher oder manipulierter Netze. Mit durchgezogener Linie gerahmt ist die jeweilige Hälfte des Spinnennetzes, deren Fängigkeit mit Fliegensymbolen dargestellt ist. Auf diese Weise kann die Beeinflussung der Fängigkeit durch ein Stabiliment in der gemessenen oder der anderen Netzhälfte beobachtet werden. (Nach Craig & Bernard 1990)

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