Читать книгу Arztstrafrecht in der Praxis - Klaus Ulsenheimer - Страница 144
b) Kritik an der Judikatur des Reichsgerichts und des Bundesgerichtshofs
Оглавление348
Insbesondere in der Ärzteschaft wird diese Rechtsprechung oft als eine völlig unverständliche „Gleichsetzung“ ärztlichen Wirkens mit dem Tun etwa eines „Messerstechers“ begriffen.[72] Auch im juristischen Schrifttum wird mit verschiedenen Ansätzen und beachtlichen Argumenten Kritik geäußert:[73] Anfänglich wurde vor allem eingewandt, dass gerade eine erfolgreiche, die körperliche Unversehrtheit im Ergebnis fördernde Behandlung keinen tatbestandlichen Erfolg ausmachen könne. Heute wird vermehrt geltend gemacht, dass nach dem sozialen, vom Rechtsgut her erwünschten Sinn der Heilbehandlung keine „üble und unangemessene Behandlung“ vorliege, wie sie die Definition der körperlichen Misshandlung verlange (dazu Rn. 596); es fehle an der Setzung eines rechtlich missbilligten Risikos. Nicht zuletzt wird darauf verwiesen, dass die Gerichte den §§ 223, 229 StGB verfehlt ein anderes Rechtsgut, nämlich den Schutz der Selbstbestimmung unterschieben.
Da die Rechtsprechung unbeirrt an dem einmal eingeschlagenen Weg festgehalten hat, kam es auch zu rechtspolitischen Anstrengungen (siehe auch schon Rn. 19).[74] Zuletzt wurde 1996 der Referentenentwurf eines 6. Gesetzes zur Reform des Strafrechts publiziert, der auch das Recht der Heilbehandlung neu regeln wollte (§§ 229, 230 StGB-E). Dabei waren ein Tatbestand der eigenmächtigen und ein Tatbestand der fehlerhaften Heilbehandlung vorgesehen mit dem Ziel, zum einen die Qualifizierung des ärztlichen Heileingriffs als Körperverletzung zu vermeiden und zum anderen den folgenlosen Behandlungsfehler straffrei zu lassen. Obwohl manche Kritikpunkte aus dem Kreis der Ärzte und der Strafrechtswissenschaft an der bisherigen Rechtsprechung Berücksichtigung fanden, setzten sich die Entwurfsregelungen jedoch nicht durch.[75]