Читать книгу Arztstrafrecht in der Praxis - Klaus Ulsenheimer - Страница 145
c) Fortbestand der ständigen Rechtsprechung und gebotene Folgerungen
Оглавление349
Schon Ulsenheimer resümierte in der Vorauflage ohne viel dahingehende Hoffnung, dass nur der Gesetzgeber die Situation ändern könne.[76] Die Ärzteschaft sieht sich mit einer unmissverständlichen Rechtsprechung und einer rechtspolitischen Situation konfrontiert, die keine Abhilfe verspricht. Es sind keine aussichtsreichen Bestrebungen ersichtlich, die Rechtslage grundsätzlich zu verändern. Indem der Gesetzgeber das vorgelegte 6. Strafrechtsreformgesetz im Übrigen erlassen hat, hat er die bisherige Rechtslage vielmehr im Ergebnis bestätigt.
350
Den vom Recht konkret betroffenen Ärztinnen und Ärzten ist nun nicht damit geholfen, die prima facie sonderbar scheinende Rechtsprechung pauschal zu geißeln. Hiermit kann ein Jurist gegenüber dem Mediziner zwar vordergründig Verständnis demonstrieren. Hilfreicher erscheint es jedoch, präventiv für ein grundsätzliches Verständnis der Gründe der Rechtsprechung zu werben und übersteigerten Folgerungen aus der kritisierten Rechtsprechung umso deutlicher entgegenzutreten:
351
Die Tatbestandsmäßigkeit des Heileingriffs ergibt sich nach dem geltenden Recht aus dem Umstand, dass die medizinische Behandlung in den einschlägigen Fällen zunächst die Integrität des fremden Körpers aufheben und beeinträchtigen muss.[77] Insoweit sogleich eine Saldierung mit dem erhofften, für den Körper förderlichen Ergebnis vorzunehmen, scheidet aus, weil die körperliche Unversehrtheit ein höchstpersönliches Gut eines einzelnen Menschen darstellt. Gerade dies und nicht erst ein Schutz der Selbstbestimmung des Patienten als solcher begründet, weshalb der Heileingriff nach den §§ 223, 229 StGB zunächst als ein Sachverhalt verstanden wird, welcher der Hoheit des Betroffenen unterstellt werden muss. Entsprechend gelangt die juristische Auslegung zur Tatbestandsmäßigkeit des Heileingriffs, die bei weitem noch nicht mit der Strafbarkeit des Geschehens identisch ist.[78] Jene Betrachtung entspricht im Übrigen dem heutigen ärztlichen Berufsrecht und -ethos: Die Ärzte selbst versprechen ihrem Patienten angesichts der Eigengesetzlichkeit des menschlichen Körpers keinen sicheren Erfolg der indizierten Heilbehandlung; sie behaupten nicht, stets nur förderliche Ergebnisse zu erzielen.[79] Überdies denken die (eigenen) berufsrechtlichen Regelungen die Selbstbestimmung des Patienten bereits vermehrt mit (Rn. 355 f.). Es ist insofern geboten, die auf allen Ebenen betonte grundsätzliche Bindung an den Patientenwillen zur Richtschnur des Handelns zu machen, um damit auch strafrechtliche Risiken zu minimieren.
352
Die so begründete Tatbestandsmäßigkeit des Heileingriffs gibt den Gerichten nun aber kein Mandat, zulasten der Ärzte einen gesetzesfremden und überdehnten strafrechtlichen Schutz der Selbstbestimmung mit unnötigen „Kollateralschäden“ zu verfolgen. Mit einer immerhin bestehenden Hoffnung bzw. Aussicht auf Erfolg ist in Strafverfahren darauf zu insistieren, dass nur auf die tatsächliche Körperverletzung bezogene und nicht übermäßige Aufklärungspflichten dem Strafrecht unterstehen (näher schon Rn. 337 ff.). Ebenso muss der Schutzzweckzusammenhang die Strafbarkeit beschränken, damit diese nicht einem Selbstzweck der Selbstbestimmung dient (oben schon Rn. 341 f., ferner Rn. 541 ff.).