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a) Verfassungsrechtliche Grundlagen der Einwilligung

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Das normative Erfordernis der Einwilligung zu ärztlichen Heileingriffen wurzelt in der durch Art. 1 GG geschützten Menschenwürde und dem durch Art. 2 Abs. 1 GG verbürgten Schutz des Selbstbestimmungsrechts des Patienten über seine leiblich-seelische Integrität, dessen Beachtung „ein wesentlicher Teil des ärztlichen Aufgabenbereichs ist“.[80]

„Geschützt wird damit die Entscheidungsfreiheit des Patienten über seine körperliche Integrität, über die sich der Arzt nicht selbstherrlich hinwegsetzen darf. Die Einwilligung in den ärztlichen Heileingriff bedeutet nämlich in dem durch sie gezogenen Rahmen einen Verzicht auf den absoluten Schutz des Körpers vor Verletzungen, die mit dem Eingriff verbunden sind, darüber hinaus das Aufsichnehmen von Gefahren, die sich aus Nebenwirkungen der Behandlung und möglichen Komplikationen ergeben. In diesem Sinn muss die Frage einer Beeinträchtigung von Körper und Gesundheit durch den Arzt weitgehend aus der Sicht des Patienten abgegrenzt werden, weil es um seine Selbstbestimmung geht, wenn er diese seine Rechtsgüter im Verlaufe einer ärztlichen Behandlung und in deren Rahmen zur Disposition stellt“.[81]

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Daraus leitet sich nicht nur die Pflicht des Arztes zur sachgerechten, sorgfältigen Behandlung des Patienten ab, sondern auch die Pflicht, sich dessen Einwilligung in die notwendigen Behandlungsmaßnahmen zu versichern, „die er, will er das Selbstbestimmungsrecht des Patienten wahren, wirksam nur erhalten kann, wenn er ihm dabei die erforderlichen Entscheidungsgrundlagen vermittelt“.[82] „Jede medizinische Behandlung hat“ – so formuliert es die Musterberufsordnung für Ärzte – „unter Wahrung der Menschenwürde und unter Achtung der Persönlichkeit, des Willens und der Rechte der Patientinnen und Patienten, insbesondere des Selbstbestimmungsrechts, zu erfolgen“ (§ 7 Abs. 1 MBO-Ä). § 8 MBO-Ä sieht zu diesem Zweck auch das Bedürfnis nach einer Einwilligung vor, die grundsätzlich auf eine Aufklärung zu stützen ist.

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Denn „niemand darf sich zum Richter in der Frage aufwerfen, unter welchen Umständen ein anderer vernünftigerweise bereit sein sollte, seine körperliche Unversehrtheit zu opfern, um dadurch wieder gesund zu werden. Diese Richtlinie ist auch für den Arzt verbindlich“.[83] Es gibt also kein sog. therapeutisches Privileg, keine „Vernunfthoheit“ des Arztes über den kranken Menschen (näher auch Rn. 407 ff.), so dass dessen „Recht auf Unvernunft“ durchaus in Kollision mit dem ärztlichen Heilauftrag treten kann:

„Es wäre ein rechtswidriger Eingriff in die Freiheit und Würde der menschlichen Persönlichkeit, wenn ein Arzt – und sei es auch aus medizinisch berechtigten Gründen – eigenmächtig und selbstherrlich eine folgenschwere Operation bei einem Kranken ohne dessen Billigung vornähme. Denn ein selbst lebensgefährlich Kranker kann triftige und sowohl menschlich wie sittlich achtenswerte Gründe haben, eine Operation abzulehnen, auch wenn er durch sie und nur durch sie von seinem Leiden befreit werden könnte“.[84]

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Der frei verantwortlich gebildete Patientenwille hat also Vorrang vor dem Patientenwohl! „Der Autonomiegedanke und seine juristische Absicherung“ bilden „das exakte Gegengewicht zu den technisch gewachsenen, geradezu inflationär gewordenen Missbrauchsmöglichkeiten der modernen Medizinentwicklung“.[85] „Weder die Gesellschaft als Ganzes noch ein Arzt als Einzelperson“ haben das Recht, „einen Kranken in der Weise zu bevormunden, dass ihm Behandlung gegen seinen Willen aufgedrängt wird“.[86] Gegen den „ausdrücklichen und ernstlichen Willen des Kranken darf der Arzt nicht zu dem Eingriff schreiten“.[87] Der Patient „darf sich bei seiner Entscheidung für oder gegen eine ihm empfohlene Maßnahme von übervorsichtigen und aus medizinischer Sicht unvernünftigen Erwägungen leiten lassen“.[88] Allerdings: Erkennt der Arzt die Notwendigkeit eines Eingriffs oder eines Mittels oder muss er sie erkennen, so gehört es zu seinen Pflichten, den Patienten „mit allem Nachdruck und eindringlich“ hierauf hinzuweisen, um dessen Zustimmung zu erlangen.[89]

Arztstrafrecht in der Praxis

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