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c) Organische/Psychische Folgeschäden[47]

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Die Haftung für eine Körperverletzung/Gesundheitsbeeinträchtigung erstreckt sich auf alle daraus entstehenden Folgeschäden, gleichviel, ob es sich um organisch oder psychisch bedingte Folgewirkungen handelt. Erlitt der Geschädigte ein „mittelschweres HWS-Schleudertrauma“ mit vorübergehender Arbeitsunfähigkeit und nachfolgenden anhaltenden Beschwerden, so ist der Nachweis der Unfallbedingtheit dieser Beschwerden nicht geführt, wenn der Geschädigte schon vor dem Unfall wegen degenerativer Veränderungen der HWS in ärztlicher Behandlung war.[48] Der Schadensersatzanspruch für psychische Auswirkungen setzt nicht voraus, dass sie eine organische Ursache haben; es genügt vielmehr die hinreichende Gewissheit, dass die psychisch bedingten Ausfälle ohne den Unfall nicht eingetreten wären.[49] Der Schädiger hat demnach für seelisch bedingte Folgeschäden haftungsrechtlich einzutreten, auch wenn sie auf einer psychischen Anfälligkeit oder einer neurotischen Fehlverarbeitung beruhen.[50] Eine Zurechnung kommt dann nicht in Betracht, wenn das Schadensereignis ganz geringfügig ist (Bagatelle) und nicht gerade speziell auf die Schadensanlage des Verletzten trifft, und deshalb die psychische Reaktion im konkreten Fall in einem groben Missverhältnis zum Anlass steht und deshalb schlechterdings nicht mehr verständlich ist.[51] Dies ist z.B. der Fall, wenn bei einem nicht schwerwiegenden Unfallgeschehen nur relativ geringfügige Verletzungen eintraten.[52]

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Bei einer Schädelprellung mit HWS-Schleudertrauma wurde der Ersatzanspruch des Geschädigten bejaht, da dieser vor dem Unfall an einer narzisstischen Persönlichkeitsstörung litt, die in Verbindung mit dem Unfall aktiviert wurde.[53] Ebenso bei einem Auffahrunfall mit etwa 30 km/h und einem HWS-Trauma und möglicherweise einer Commotio cerebri.[54] Ebenso bei Hals-, Schädel- und Brustwirbelprellungen, Brustquetschungen, HWS-Schleudertrauma.[55] Durch psychische Prädisposition des Verletzten mitbedingte seelische Fehlreaktionen ändern grundsätzlich nichts an der Einstandspflicht des Schädigers.[56] Haben die durch einen Unfall hervorgerufenen Verletzungen als „Auslöser“ im Sinne einer Mitursache gewirkt, hat der Schädiger für die Folgen der nach dem Unfall eingetretenen Beschwerden aufzukommen. Dies gilt selbst dann, wenn die Wirkung der Unfallverletzungen nur deshalb eingetreten ist, weil der Geschädigte aufgrund seiner besonderen Konstitution und (psychischen) Vorschädigung für die nach dem Unfall eingetretenen Beschwerden besonders anfällig war und das Beschwerdebild in einer psychischen Fehlverarbeitung der Unfallfolgen seine Ursache hat.[57] Bei der Bemessung des Schmerzensgeldes dürfte sich dies anspruchsmindernd auswirken.[58] Besteht bei zwei voneinander unabhängigen Unfällen (jeweils mit HWS-Verletzungen) der Beitrag des Erstunfalls zum endgültigen Schadensbild lediglich darin, dass eine anlagebedingte Neigung des Geschädigten zur psychischen Fehlverarbeitung geringfügig verstärkt wird, reicht dies nicht aus, um die Haftung des Erstschädigers für Folgen des zweiten Unfalls zu begründen. Entscheidend ist, ob die Verletzungsfolgen des Erstunfalls im Zeitpunkt des Zweitunfalls bereits ausgeheilt waren und deshalb der zweite Unfall allein zu nunmehr vorhandenen Schäden geführt hat oder ob sie noch nicht ausgeheilt waren. Der Schädiger haftet zwar, wenn eine besondere Schadenanfälligkeit durch den Unfall erst geschaffen wurde[59] – nicht aber, wenn nur die allgemeine Anfälligkeit für neurotische Fehlentwicklungen verstärkt wird, für die der Schädiger grundsätzlich nicht einzustehen hat.[60]

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Bei Bemessung des Erwerbsschadens ist eine Prognose des gewöhnlichen Laufs der Dinge, wie sie sich ohne das Schadensereignis entwickelt hätten, anzustellen (§ 252 BGB). Es geht insoweit nicht nur um die Beurteilung eventueller überholender Kausalität,[61] sondern um die Schadenermittlung als solche auf der Basis des Sachverhalts, wie er sich voraussichtlich in Zukunft dargestellt hätte. Hierbei kommt nicht nur der Frage erhebliche Bedeutung zu, ob und gegebenenfalls mit welcher Wahrscheinlichkeit auch ohne das konkrete Schadensereignis wegen der psychischen Ausgangssituation des Verletzten eine entsprechende neurotische Entwicklung mit vergleichbaren beeinträchtigenden Auswirkungen früher oder später zum Tragen gekommen wäre; es ist vielmehr auch das Risiko mit einzubeziehen, das durch eventuelle unbewusste Begehrungsvorstellungen, wie sie bei Neurosen oft in der psychischen Struktur des Geschädigten angelegt sind, für die künftige berufliche Situation des Verletzten bestanden hat.

Ergeben sich aufgrund der erforderlichen Feststellungen mit einer für die Anwendung von § 287 ZPO ausreichenden Wahrscheinlichkeit ernsthafte Risiken, die wegen der Neigung des Geschädigten zu neurotischer Fehlverarbeitung der vielfältigen Wechselfälle des Lebens und gegebenenfalls auch eines unbewussten Strebens, sich dem „Lebenskampf“ zu entziehen, eine erhebliche Belastung seiner beruflichen Möglichkeiten auf längere Sicht auch unfallunabhängig befürchten lassen, so ist dies zu berücksichtigen. Dies kann sowohl für die Dauer als auch für die Höhe eines Verdienstausfallschadens von Bedeutung sein. Ebenso wie bei Prognoseschwierigkeiten wegen eines wenig strukturierten Erwerbslebens kann auch hier ein prozentualer Abschlag von den ohne derartige Risiken zu erwartenden Erwerbseinnahmen in Betracht kommen.[62]

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Bei einer Begehrens- und Rentenneurose nimmt der Geschädigte den Vorfall in dem neurotischen Bestreben nach Versorgung und Sicherheit lediglich zum Anlass, den Schwierigkeiten und Belastungen des Erwerbslebens auszuweichen.[63]

Zur Abgrenzung führte der BGH aus: „Die Frage, ob das schädigende Ereignis eine Ausnahme von der grundsätzlich gegebenen Haftung des Schädigers auch für psychische Folgeschäden erlaubt, weil es ganz geringfügig war, nicht gerade speziell eine Schadenanlage des Verletzten getroffen hat, deshalb die psychische Reaktion des Geschädigten in einem groben Missverhältnis zum Anlass steht und schlechterdings nicht mehr verständlich ist oder weil eine Begehrensneurose vorliegt, bedarf zu ihrer Befürwortung einer Würdigung der Persönlichkeit des Betroffenen durch einen Sachverständigen“.[64]

Für eine Verneinung des Zurechnungszusammenhangs zwischen unfallbedingten Verletzungen und Folgeschäden aufgrund einer Begehrensneurose ist es erforderlich, aber auch ausreichend, dass die Beschwerden entscheidend durch eine neurotische Begehrenshaltung geprägt sind. Dabei kann der Zurechnungszusammenhang auch dann verneint werden, wenn sich Folgeschäden aus Beschwerden entwickelt haben, die zunächst überwiegend dem Unfall zuzurechnen sind, jedoch ab einem bestimmten Zeitpunkt – einem nicht ungewöhnlichen Verlauf entsprechend – wesentlich durch eine Begehrenshaltung geprägt sind.[65]

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