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2.3 Die aktuelle Diskussion

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Das 2007 von Ruben Zimmermann (*1968) herausgegebene ‚Gleichniskompendium‘ markiert eine neue Phase der Gleichnisforschung.1 Erstmalig seit Jülichers Doppelband werden nicht nur die kanonischen und apokryphen Gleichnisse flächendeckend ausgelegt, sondern es erfolgt auch eine breite, interdisziplinär angelegte theoretische Grundlegung. Hierbei werden einzelne Aspekte der Gleichnistheorie neu durchdacht und synthetisiert. Einzelne Aspekte sind:

a) Fokussierung auf die Endgestalt der Gleichnisse: Die Rückfrage nach der Urgestalt der Gleichnisse bzw. nach der ipsissima vox Jesu (Jülicher, Jeremias) wird als verfehlt abgelehnt.2 Trotzdem gelten Gleichnisse weiterhin als Urgestein der Überlieferung, als prädestinierte Medien der Jesuserinnerung im Sinne der Wirkungsplausibilität.3 Der Verschriftlichungsprozess wird nicht negativ im Sinne eines Missverständnisses oder bewusster Verfälschung gewertet.

b) Absage an apologetische Tendenzen: Anstelle der qualitativen Distanzierung der Gleichnisse Jesu von jüdisch-hellenistischen Gleichnissen plädiert das ‚Gleichniskompendium‘ für eine konsequent religionsgeschichtliche Einbettung der Gleichnisse.4 Formale und funktionale Vorläufer stellten die alttestamentlichen Gleichnisse und meschalím dar, bedeutsame Analogien böten die grieschisch-hellenistische Literaturgeschichte und die antike Rhetorik.

c) Die Alternative der rhetorischen oder poetischen Abzweckung wird verworfen: Unter Rückgriff auf Quintilian wird die Ambivalenz der Metapher als rhetorisches Überzeugungsmittel und als poetische Neubeschreibung von Wirklichkeit hervorgehoben.5 Die ‚metaphorische Wende‘ wird bestätigt. Metaphern dienten einer Neuerschließung von Welt und Sein bzw. der (Re-)Strukturierung der Wirklichkeit; Gleichnisse gelten als einzig angemessene Form, von Gott zu sprechen.6 Die Gleichnispoetik sorge für eine prinzipielle Unabgeschlossenheit der Deutung.7

d) Gegen die Dominanz der Autorintention: Die einseitige Fokussierung auf die Autorintention wird abgelehnt; das Verständnis der Texte als deutungsbedürftige Rätselworte mit inhärenter Deutungsvielfalt lenkt das Augenmerk auf die Sinn schaffende Eigenleistung der Rezipienten. Gleichnisse seien ‚deutungsaktiv‘; ihre Mehrdeutigkeit sei ein Appell, in das Erzählte einzusteigen und in ihm konkrete Lebenswahrheiten zu entdecken.8 Intentionale Verstehensrichtung und individuelle Aneignung entscheiden gemeinsam über den Textsinn. Die Koppelung beider Perspektiven richtet sich gegen eine vorschnelle Vereinnahmung der Gleichnisse.9

e) Konsequente Kontextualisierung: Gegen das Konzept ‚autonomer Kunstwerke‘ (→ 2.2.6g) verweist Zimmermann auf den historischen, sozialen und literarischen Kontext der Gleichnisse als notwendigen Deutungsrahmen. Sprachlich-narrative Analyse und historische Betrachtung werden miteinander verschränkt.10 Dies entspricht der Koppelung intentionaler Verstehensrichtung mit individueller Aneignung und verhindert die Beliebigkeit des Verstehens bzw. einen Verstehensverzicht; Offenheit und Verbindlichkeit bilden ein dynamisches Gegenüber.11

f) Die Rätselhaftigkeit als hermeneutischer Hebel: Die Rätselhaftigkeit der Gleichnisse wird hermeneutisch fruchtbar gemacht: Gerade das ‚primäre Unverständnis‘ stelle die Rezipienten vor die Aufgabe, genauer hinzuhören und in einen Prozess des Fragens, Staunens und Suchens einzusteigen. Die Verwendung deutungsbedürftiger Rede sei geradezu eine ‚spezielle hermeneutische Strategie‘, um zu einem vertieften Verständnis zu führen.12

g) Absage an die Unterteilung der Gleichnisstoffe: Die formkritische Klassifikation der Gleichnisstoffe wird zurückgewiesen.13 Jülichers Unterscheidungskriterien seien weder durch die antike Rhetorik abgedeckt noch in der Praxis anwendbar.14 Mischformen sind die formkritische Regel, so Zimmermann in Anlehnung an Fiebig (→ 2.2.1). Zimmermann verweist darauf, dass das Griechische in Hinblick auf vergleichende Texte fast durchweg von parabolaí spricht, anstatt zu differenzieren. In der Konsequenz fordert Zimmermann den Verzicht auf eine Klassifikation: „Parabeln – sonst nichts!“ lautet sein programmatisches Statement.15

Das ‚Gleichniskompendium‘ versteht sich als integratives Modell historisch-diachroner, literarisch-literaturwissenschaftlicher und hermeneutisch-leserorientierter Zugänge.16 So verbinden sich die Fragen nach der Entstehungssituation und nach der sozialen Wirklichkeit der intendierten Adressaten sowie die (narrativ-sprachliche) Betrachtung des Texts an sich, religionsgeschichtliche Einbettung, Textpragmatik und Rezeptionsästhetik zu einem breit angelegten Gesamtentwurf.

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