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Freitag, 27. Juli 2007 – Endlich eingeweiht: Die Frauenärztin

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Ich war zwar nicht direkt dabei, dennoch ist das Ergebnis eine große Erleichterung für mich: Heute war wieder eine Routineuntersuchung bei Frau Dr. Müller, der Frauenärztin. Vorweg gesagt: Unserem Kind geht es gut. Spannend war jedoch, dass die Frauenärztin bei der Besprechung der CTG-Ergebnisse Katrin direkt anspricht: Was denn mit ihr los sei. Nach eigener Erzählung konnte Katrin daraufhin ihre Tarnung nicht mehr aufrecht erhalten. Sie hat ihrer Frauenärztin nun – so sagte sie mir zumindest und ich hoffe, dass ich mich hier darauf verlassen kann – von ihrer Zwangserkrankung und der daraus inzwischen existierenden großen allgemeinen Erschöpfung erzählt. Die Ärztin muss wohl ziemlich einfühlsam gewesen sein. Hat ihr lange und intensiv zugehört, ihr wohl aber auch klargemacht, dass dies zwar erstens keine direkte Gefahr für unser werdendes Kind darstellt, aber zweitens natürlich wichtig für die Vor- und Nachsorge ist. Wenn nach der Geburt sowieso sämtliche Hormone verrückt spielen und zum Beispiel „Babyblues"-mäßige Depressionen nicht selten sind, dann mache eine Zwangserkrankung die Zeit nach der Geburt nicht wirklich leichter.

Wichtig wäre in diesem Zusammenhang, dass alle betroffenen Parteien wirklich von der Krankheit wissen und sich entsprechend darauf einstellen können. Auf meine Frage, ob Katrin denn nun Meike, ihre beste Freundin und unsere Hebamme,bereits eingeweiht hätte, verneinte Katrin. Sie möchte mit Meike ungetrübt sprechen können – ohne Rücksicht auf ihre Krankheit. Außerdem möchte sie nicht das Gefühl haben, dass sie auch von ihr ständig beobachtet wird.

Für mich ist Katrins kleines „Coming Out" eine große Erleichterung. Wie ein Ereignis, auf dass ich seit Wochen hingearbeitet haben. Vielleicht hat ja mein Gespräch mit meinem Schwiegervater Rainer auch etwas dazu beigetragen.

Das „Coming Out” ist so wichtig für mich, weil es zeigt, dass Katrin auch mit einer dritten Person außerhalb ihrer Therapie über ihre Krankheit sprechen kann. Vielleicht bin ich aber auch einfach nur glücklich, dass Sie sich nun wirklich mit ihrer Krankheit und unserem Problem auseinandersetzt. Ein wichtiger Schritt. Nun bin ich gespannt, wann auch Meike als Gesprächspartnerin gefunden wird. Allerdings kündigte Katrin schon eine Art von „auf die lange Bank schieben” an. Man müsste es Meike ja auch erst dann sagen, wenn es darum geht, zu erklären, warum wir zum Beispiel frühzeitig mit dem Stillen aufhören. Das frühe Abstillen wäre notwendig, wenn Katrin wie geplant eine medikamentös unterstützte Therapie beginnt.

Doch der Frauenarzttermin war nicht der einzige Kalendereintrag für Katrin heute. Sie hatte auch eine überlange Sitzung mit Frau Saggur. Sie haben wohl über verschiedene Bedingungen gesprochen, die zur Zwangserkrankung geführt, sie hauptsächlich ausgelöst und heute „am Leben" erhält.

Warum wundert es mich so wenig, dass ich ins Rampenlicht gezogen wurde? Als möglichen Unterstützer für die Angst wurde meine „Polyester"-Radikalität angesprochen. Das hätte die Angst bei ihr verstärkt, „etwas falsch zu machen". Ich bin nämlich im Grunde meines Herzen radikal gegen Polyester in (Klein-)Kinderkleidung eingestellt. Ich habe schon als Kind gelernt, dass Baumwolle besser für die Haut ist und kann mir theoretisch vorstellen, dass lockere, frei fliegende Polyester-Fäden unter ungünstigen Bedingungen Schäden in der Lunge auslösen könnten. Also habe ich in der ersten Kleiderbeschaffungsphase für unser Baby sehr penibel darauf geachtet, dass wir keine Babykleidung besorgen, die aus Polyester besteht.

Nach und nach ist diese strikte Regelung dann aufgeweicht worden: Entweder es gab bezahlbare Kleidung nicht zu 100 Prozent aus Baumwolle oder Wolle, oder die Suche war zu aufwändig. Ich habe also aus meiner Sicht Kompromisse gemacht.

Diese Polyester-Diskussion in der Therapie von Katrin beschäftigt mich. Meine Handlungen und Haltungen sollen Katrin in ihrer Krankheit bestärkt haben? Kann das sein? Muss man sämtliche Prinzipien aufgeben, um zu zeigen, dass eine „liberale" Haltung zu den Dingen nicht zu einer Katastrophe führt? Ja, ich selbst habe ein verdammt hohes Sicherheitsbedürfnis. Nicht nur, dass ein überdurchschnittlicher Prozentsatz meines Gehalts in Versicherungen geht. Wenn es um den Straßenverkehr geht, verstehe ich kaum einen Spaß in Bezug auf jede Art von Sicherheitsausstattung. So ist es für mich derzeit nur schwer zu verkraften, dass mich Katrin zwar mit unserem Golf IV im Krankenhaus besucht, doch wenn sie dann anschließend Niklas von ihren Eltern abholen will, fährt sie erst zu uns nach Hause, unterzieht sich den „notwendigen" Reinigungen, und fährt dann mit unserem kleinen Punto weiter. Ja, Niklas ist nie mit zu Besuch im Krankenhaus. Das hält Katrin nicht aus und bringt Niklas vor ihren Besuchen immer vorher zu ihren Eltern.

Natürlich gehörte der Punto zum Zeitpunkt des Kaufs zu den sichersten Wagen seiner Klasse, aber: Im Falle eines Falles wären meine beiden bzw. meine zweieinhalb Lieblinge im Golf besser aufgehoben. Klar, oder?

Aber ich habe keinen Aufstand wegen des Autotauschs gemacht. Wie auch? Aus der Ferne? Ich soll Ruhe halten, Kräfte sammeln – gerade jetzt noch im Krankenhaus. Ich habe Katrin noch einmal gut zugeredet: „Du musst Dir nach Deinem Besuch bei mir im Krankenhaus keine Sorgen machen! Es ist nicht notwendig, dass Du den Wagen wechselst,“ erklärte ich. Aber sie blieb und bleibt dabei. Leider.

Es gibt so viele Punkte, bei denen der Wahnsinn deutlich wird. Zum Beispiel die Art und Weise, wie man sich die Hände wäscht. Für Katrin ist es die Hölle, wenn sie dabei mit ihrem T-Shirt die Waschbeckenumrandung berührt. Katrin fragt dann – wenn ich neben ihr stehe und warte, dass ich dran bin – ob ich gesehen hätte, ob das Waschbecken von ihr berührt wurde. Eine dieser Nachfragen. Überprüfungs-, Vergewisserungsfragen. Ganz gleich, was ich dann antworte: Am Ende muss das Oberteil eh gewechselt werden. Dreckig. Gefährlich. Ab zur dreckigen Wäsche.

Richtig schlimm ist es, wenn Niklas bei der Reinigung von Armen und Händen mit seinen Händen das Waschbecken berührt. Dann müssen natürlich noch einmal die Hände gewaschen werden. Das Händewaschen übernimmt Niklas nicht selbst. Er wird dabei von Katrin unter einen ihrer Arme geklemmt und hochgehalten. In dieser Position wäscht Katrin ihm dann die Hände. Niklas hat es bis heute noch nicht gelernt, seine Hände selbst zu waschen. Und wenn sie nicht schnell genug reagiert hat und er noch vor dem Händewaschen etwas anderes berührt, dann muss auch das noch gesäubert werden. Das sind diese Momente in denen es mir ganz besonders dreckig geht. Dreckig, weil ich das Leid sehe, aber nichts dagegen tun kann. Ich bin wie gelähmt, weil jede meine Handlungen in einer solchen Situation nur neue Quälereien hervorrufen würde. Und dann die Sorge um meine Katrin und um unser ungeborenes Kind.

Eigentlich dürfte Katrin im hochschwangeren Zustand unseren rund 13 Kilo schweren Jungen gar nicht mehr so lange und oft hochnehmen. Aber die Möglichkeit, dass er selbst über einen wie auch immer gearteten Hocker an das Waschbecken kommen würde, das wäre ein aussichtsloses Unterfangen. Dann würde Niklas ja ständig das Waschbecken berühren und mit dreckigen Händen den Wasserhahn, den er dann mit sauber gewaschenen Händen noch einmal anfassen muss.

Wie man das verhindert? Katrin hat dafür schon eine Methode gefunden: Sie fasst den Wasserhahn mit dreckigen Händen schon gar nicht mehr an. Dafür gibt es den Handrücken oder den Unterarm oder die Hygienetücher. Und nach dem Händewaschen wird dann der Mischer oft noch einmal mit einem Reinigungstuch erneut gewaschen. Hoffentlich perfektioniert sie derzeit ohne mich ihre Rituale nicht noch weiter. Die Hoffnung bleibt.

Draußen war Sommer...

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