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Montag, 6. August 2007 – Hygienefragen und der Blick zurück nach Korfu

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Woran erkennt man den „normalen" Drang nach Sauberkeit und Hygiene? Wodurch unterscheidet er sich vom zwanghaften Putzen, Waschen und Säubern? Was ist eine gesunde Angst vor der Ansteckung mit einer gefährlichen Krankheit? Wo fängt die Panik an, die bei einem Zwangserkrankten das normale Leben unmöglich macht? Da ich Katrin derzeit ja nur außerhalb des Sauberkeitsbunkers unseres Hauses erlebe, scheine ich mir mehr Gedanken darüber zu machen, wie alles angefangen hat. Ob und woran man eine solche krankhafte Veränderung festmachen kann. Da war zum Beispiel unser erster gemeinsamer Urlaub.

Griechenland, griechische Inseln. Korfu. Im Jahr 2000. Als wir im Hotel ankamen, war unser Zimmer noch nicht fertig vorbereitet. Wir wurden dennoch zu unserem Zimmer geführt. Katrin und ich sahen so, wie dieses – „unser" – Zimmer vom Vorbesucher hinterlassen wurde: bewohnt, mit zerwühlten Betten und Sand auf dem Boden. Wir sollten dann in der Hotel-Lobby warten, bis das Zimmer für uns vorbereitet war. Ich kann mich nicht mehr so genau erinnern, aber ich denke, schon damals traute sie dem Frieden nicht wirklich. Sie hatte aus Deutschland noch Desinfektions-Tücher mitgebracht und konnte so das Bad noch einmal behandeln. Das machte sie direkt, noch bevor wir das Zimmer wirklich bezogen. Noch bevor ich endlich auf Toilette gehen konnte. Diese Vorsichtsmaßnahme schien Katrin von ihren Eltern, von Bettina, gelernt zu haben.

Es gab dann noch so ein paar weitere Vorsichtsmaßnahmen, die man für mehr oder weniger übertrieben halten konnte. Mit entsprechender Vorprägung könnte man sie jedoch auch als ganz selbstverständlich verstehen: Ich sollte nur mit Badesandalen duschen. Ich sollte auch nicht barfüßig durch das Zimmer gehen. Auch die Baumwollüberdecke empfand Katrin als dreckig und so sollte diese nicht mit dem Gesicht in Kontakt kommen. Wer sie mit bloßen Händen berührte, sollte sich nochmal die Hände waschen – besonders, bevor wir uns auch nur in der geringsten Art und Weise annäherten.

Besonders vorsichtig, oder damals schon krankhaft? Ich denke für sich allein genommen: einfach besonders vorsichtig. Diese Art von Handlungsanweisungen und „Vorsichtsmaßnahmen" waren mir auch schon von meinen Eltern nahegebracht gewesen. Nie mit Straßenhosen aufs Bett. Nicht mit Schuhen aufs Bett. Nicht mit den Händen unter die Schuhe fassen. Keinen Müll vom Boden aufheben. Ich glaube, der große Unterschied zwischen „normaler" Vorsicht und der krankhaften Angst ist die Reaktion auf das Nicht-Vorhergesehene oder die Reaktion auf Situationen, bei denen die Regeln nicht eingehalten wurden.

So kann man sich natürlich überlegen, ob die Badewanne im Hotelzimmer eigentlich wirklich sauber ist. Ob man sie vor dem eigenen Vollbad nicht erst mit heißem Wasser abspritzt. Ob nicht vielleicht das Reinigungsteam zu oberflächlich gesäubert hatte und nun noch Putzreste in der Wanne hängen. Oder vielleicht auch mal ein Haar. Oder was auch immer. Keine wunderschöne Vorstellung. Aber: Ich kann damit leben. Auch wenn mir eine Freundin „vom Fach“ erzählt hatte, dass sie in einem Hotelzimmer auch immer noch einmal die Dusche oder die Badewanne mit heißem Wasser abspüle – wo sie doch weiß, wie dort geputzt wird. Ich meine jedoch, dass ich (noch) beurteilen kann, dass von einem „Hotelbad" keine ernste Gefahr für mich ausgeht. Und vor allen Dingen kann ich für mich ausschließen, dass ich deswegen im Nachhinein ein besonderes Reinigungsritual benötige. Ein Reinigungsritual, um die Hinterlassenschaften des Vorgängers zu entfernen. Seien dies nun mikroskopische Mengen an Speichel, Hautschuppen, Kot, Urin oder vielleicht auch Sperma oder die Reste von Reinigungschemikalien. Ganz anders sähe die Situation für Katrin aus. In dem Moment, in dem sie die mögliche Gefahr für sich realisiert hat – möge sie auch noch so klein sein – würde sie mit allen ihr zur Verfügung stehenden Mitteln versuchen, die Gefahr zu bekämpfen. Und sie würde sich bewusst oder unbewusst immer weiter in die Angst hineinsteigern. Was könnte sonst nun noch passieren? Im nächsten Augenblick wären sofort Überlegungen da, ob der Vorbewohner nicht vielleicht AIDS hatte, mit Vögeln hantierte und vielleicht damit ein Überträger der Vogelgrippe sein könnte. Wie lange kann ein Mensch in diesem Käfig der Angst nur leben? Und das Schlimme ist: Natürlich ist es für Katrin eine Leichtigkeit diesen Gefahren aus dem Weg zu gehen: Dafür muss man schließlich nur in den eigenen vier Wänden bleiben. Wenn wir kein Kind hätten... Ich bin mir sicher, dass Katrin höchstens noch zum Einkaufen aus dem Haus gehen würde. Zumindest solange, bis es die Lebensmittel im Internet zu bestellen gibt. Da muss man schließlich nur das Paket entsprechend mit Vorsicht behandeln. Aber zum Glück gibt es unseren Sohn. So weiß sie zumindest heute noch, dass sie mit einer totalen Isolierung unseres Sohnes noch mehr Schaden anrichten würde. Also geht sie raus, geht damit tatsächlich auch das Risiko ein, dass etwas „Schlimmes" passiert. Damit lebt sie in ständiger Angst und so auch in ständiger Anspannung.

Aber zurück zum Urlaub auf Korfu: Katrin hatte nach der Ankunft am Strand sehr schnell die Befürchtung angedeutet, dass an dem – sicherlich nicht traumhaften Strand – bestimmt auch Drogenabhängige Urlaub machen würden. Mit der hohen Gefahr von AIDS und Übertragung durch herumfliegende Spritzen... Ich beruhigte sie damit, dass ich erklärte, dass Heroin-Abhängige ihrem Drogenkonsum sicherlich nicht in aller Öffentlichkeit an einem Touristenstrand nachgehen würden – schließlich gibt es dort ja auch regelmäßige Polizeikontrollgänge. Wir breiteten also an einem der ersten Tage dort unsere Strandtücher aus. Ein schönes Plätzchen Erde. Das Meer wunderbar klar und der Strand nicht überlagert. Wir legten uns hin. Ich nahm mir mein Buch, legte mich zur Seite und während ich lese... Es gibt unglaubliche Zufälle... Während ich lese, bemerke ich recht nah an unserem Strandtuch im Sand halb vergraben den Kolben einer Einweg-Spritze... Ich hoffte, dass ich diese Überreste der Spritze entfernen könnte, ohne dass meine Freundin (wir waren damals gerade ein Jahr „zusammen”) etwas davon mitbekommen würde. Pustekuchen. Der 7. Sinn meiner Frau. Es war... furchtbar. Alle Sorgen bestätigt.

Von nun an sind konnten wir nur noch mit Badesandalen an den Strand gehen. Zum Glück für unsere junge Beziehung war die Angst und Sorge jedoch noch nicht so weit fortgeschritten, dass der Aufenthalt im Wasser zur freudlosen Zeit wurde. Der erste Sex im Meer. Ein ungestörter, unbeschwerter Moment. Diese wenigen Momente überlagerten schließlich sämtliche Fragezeichen in Bezug auf ihre besondere Vorsicht.

Draußen war Sommer...

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