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Mittwoch, 8. August 2007 – Blut oder Ketchup?

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Was ist normal? Ist es normal, wenn Kinder barfuß draußen im Garten umher tollen? Wenn Kinder barfuß im Hof oder vielleicht auch auf der Straße oder im Park laufen? Heute wäre ein solches Barfußgehen von unserem Sohn vollkommen unmöglich. Dafür müsste entweder Katrin weit entfernt sein, oder die Therapie wäre erheblich weiter fortgeschritten. Ich komme darauf, weil ich mir schon jetzt darüber Gedanken mache, wie es wohl wird, wenn wir unsere Tochter haben. Wenn die medikamentöse Behandlung meiner Frau beginnt. Wie es wohl wird, wenn nach und nach eine neue Normalität in unser Leben kommt. Was heißt dann Normalität? Was heißt normales Putzen? Was ist normale Sauberkeit? Ich habe mir zwei „Putzbücher für Männer” bestellt. Mit dem Gedanken, dass dies ja eine unabhängige Basis sein könnte, was „normale" Sauberkeit im Haus heißen könnte. Daraus könnte man Normalität dann auch für uns ableiten. Ich grübele weiter.

Gestern hat mich Katrin wieder mit unserem Sohn in der Reha besucht. Am Abend gingen wir gemeinsam in eine Pizzeria. Draußen waren Plätze frei. Wir setzten uns an einen freien Tisch und noch bevor wir richtig gesessen hatten, begann der akribische Blick über die Tischfläche, die Stuhllehnen. Katrin war wieder auf der Suche nach Schmutz, Dreck oder eben Blut. Und tatsächlich: Ein kleiner roter Fleck war von einem der letzten Gäste auf dem Holztisch hinterlassen worden – und leider wohl auch nicht beim kurzen Reinigen durch den Service entfernt worden. Es ist bisweilen faszinierend, wie strategisch dann das Säuberungsritual abläuft: Mit spitzen Fingern zieht Katrin ihre Umhängetasche so nach vorne, dass sie ihren Inhalt hervorholen kann, aber nicht mit dem „dreckigen" Tisch in Kontakt kommt. Auch die Tasche selbst hat verschiedene „Sauberkeitsbereiche". Die Innentasche wird nur mit wirklich sauberen Händen geöffnet. Direkt zuvor müssen also die Hände gewaschen, oder wenigstens mit einem „Hygienetuch" gesäubert sein. In der von außen erreichbaren Tasche befindet sich immer eine genügend große Anzahl dieser feuchten Wunder der Chemieindustrie. Zum Glück sind es eher selten echte Desinfektionstücher – das wird hoffentlich noch an uns vorübergehen. Katrin holt mindestens zwei Tücher heraus. Mit dem ersten Tuch putzt sie den eigentlichen Dreck weg. Es ist damit das am stärksten verdreckte Tuch. Das zweite Tuch verwendet sie dann, um ihre eigenen Hände nach der erfolgreichen Dreckentfernung zu säubern. Damit ist der vermeintliche Blutfleck eliminiert. Dann kommt die Vergewisserung. War es wirklich nur Ketchup? War es vielleicht doch Blut? Hat die Reinigung jetzt gereicht? Ist sie jetzt wieder sauber? Die Vergewisserung richtet sich an eine eingeweihte Person. In diesem Fall war ich hierfür in der Pizzeria das Opfer. Ich bin dann in letzter Zeit dazu übergegangen nachzufragen, was sie denn denkt. Sie verhält sich dann neutral und will von mir die Antwort hören. Ich versuche dann zu beruhigen. Noch einmal bestätigen, dass es sich allein schon auf Grund der Farbe nur um irgendeinen Lebensmittelrest handeln kann. Diese Rückversicherung läuft derzeit – also während meines Reha-Aufenthaltes – jeweils noch einmal intensiv während der abendlichen Telefonate ab. Zuhören, beruhigen, loben, bestätigen. In diesem Viereck spielen sich unsere Gespräche ab. Das sind keine Gespräche zwischen einem Paar. Es gibt einfach keinen Raum mehr für Dinge, die sonst vielleicht normal wären. Der Austausch über Freunde. Über Politik. Über die Entwicklung unseres Kindes. Über Pläne. Stattdessen? Die immer neue und so unsinnige Durchsprache von Putzplänen.

Draußen war Sommer...

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