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Donnerstag, 2. August 2007 – Besuchsrechte und Geheimniskrämerei

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Ich bin in der Reha. Nur 25 Autominuten von zuhause entfernt. Heute werde ich hoffentlich Niklas nach der langen Krankenhauszeit das erste Mal wiedersehen. Drei Wochen sind eine verdammt lange Zeit. Ich müsste sauer sein, wütend vielleicht, aber am Ende ist es eben einfach nur „krank”. Zwar kann Katrin im gewissen Sinne nichts dafür, aber sie macht dieses erste Wiedersehen zu einer Fast-Unmöglichkeit: Ich darf nur Sachen anziehen, die ich nicht auch schon im Krankenhaus getragen, benutzt oder auch nur angefasst hätte. Nach längerer Telefondiskussion scheint es nun so zu sein, dass ich meine „Straßenklamotten" anziehen „darf". Also jene Kleidungsstücke, die ich auch beim „Einzug“ und beim „Wechsel“ in die Reha getragen habe. Sie hat einfach so große Angst vor der nicht greifbaren Gefahr. Diese Angst scheint ihren Verstand wirklich ausschalten zu können. Aber zumindest ist die Reha-Klinik nicht so schlimm für sie, wie das Krankenhausumfeld.

Ihre Therapeutin hat ihr gestern vorgeschlagen, nun mit ihr in die Konfrontationstherapie zu gehen. Ihr zuerst zu erklären, wie dies abläuft und dann mit mittelschweren Übungen loszulegen. Katrin hat bei dem Gedanken daran wohl eine kleine Panik bekommen und das Totschlagargument überhaupt genutzt: „Aber der Professor hat doch gesagt, dass es während der Schwangerschaft viel zu viel sei, mit der Konfrontation zu beginnen – außerdem würde das ja nur gemeinsam mit der Einnahme von Tabletten funktionieren." Diese Aussage ist bei ihr als eine Art von Rettungsanker wie „eingebrannt". Die Therapeutin hat daraufhin nur gesagt, dass sie ja dann noch mal mit dem Professor sprechen und das Thema klären würde. Seufz!

Scham steckt in dieser Krankheit. So viel davon. Davon gespeist das Versteckspiel und damit jede Form der Geheimhaltung. Mein Schreiben hier? Geheim! Das Prinzip der strikten Geheimhaltung der Krankheit gegenüber Freunden, allen Verwandten und Bekannten! Ausnahmen sind im gewissen Rahmen nur ihre Schwestern, ihre Eltern und eine Tante. Aber diese Gemeinheit ist von Bettina und Rainer seit 20 Jahren (vor-)gelebt und eisern verteidigt worden.

So wird natürlich auch insgesamt in unserer Gesellschaft eine riesige Chance vertan. Wenn jeder diesem Drang nach äußerer Perfektion nachkommt, dann wird niemand anderes so leicht den Mut fassen, sein persönliches Krankheits-Coming-Out zu bewerkstelligen. Dann werden andere Betroffene nicht den Mut fassen, eine Therapie zu beginnen. Dann muss erst wieder ein Selbstmord eines Depressionskranken die Debatte in die Öffentlichkeit bringen. Dabei ist gerade diese Öffentlichkeit so wichtig. Es müsste so viel offener darüber gesprochen, es müsste jeder positive Schritt im Grunde groß gefeiert werden. Jeder Schritt in Richtung Bearbeitung, jeder Schritt in Richtung einer Besserung. Aber es fällt so schwer zu feiern, wenn keiner etwas davon wissen darf.

Diese Krankheit ist eine so große Belastung für alle. Für die Zwängler selbst. Für die Angehörigen. Wenn dann auch noch ein „Schweigegelübde" über der Krankheit liegt, so dass die eigenen Bezugspersonen nicht als Gesprächspartner herhalten können – dann ist es im wahrsten Sinne des Wortes nochmals zum Verrückt werden.

Auf den letzten Hinweis an meine Schwiegereltern, dass ich schon nicht mehr wüsste, mit welcher Begründung ich gegenüber meiner eigenen Eltern schon wieder keinen Besuch von Niklas im Krankenhaus bekommen hätte, war die Antwort von meinem Schwiegervater Rainer, dass ich ja sagen könne, dass er derzeit einfach viel zu quirlig wäre, um sich im „gefährlichen" Krankenhaus aufzuhalten, wo er ja nichts berühren dürfte…. Krank.

Mein Vater hat mir auch so viele Rituale „nähergebracht”. Da soll man im Hotelzimmer immer nur mit Badelatschen ins Bad. Nach einem Tag in Sandalen müssen die Füße gewaschen werden, bevor man ins Bett geht. Man legt sich nicht mit dem Kopf auf die Fußseite des Bettes. Man packt seinen Koffer nicht auf dem Schlafbettlacken. Man setzt sich nicht mit Straßenklamotten auf das Bettlaken... Ja, da habe ich einiges mitgenommen, was heute für mich erklärt, warum ich so spät ins Zweifeln gekommen bin, was denn nun eigentlich normal und was krank ist. Aber jetzt bin ich in Gedanken schon wieder so weit weggekommen von Niklas. In weniger als neun Stunden werde ich ihn endlich wiedersehen. Ich freue mich schon riesig darauf.

Draußen war Sommer...

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