Читать книгу Mein Leben, meine Rezepte - Léa Linster - Страница 5
Kleine Geschichten aus meiner Kindheit
ОглавлениеIch bin als drittes von vier Geschwistern (ein Junge und drei Mädchen) im schönen Frisange aufgewachsen. Frisange muss man sich als allerletztes luxemburgisches Dorf vor der französischen Grenze vorstellen. Auswärtige sahen Frisange damals sogar eher als so etwas wie eine große gefährliche Kreuzung von einer nationalen Straße und einer internationalen Route an. Tja, und auf letzterer befand sich unser Haus. Das Café und Restaurant „Emile Linster“. Mit Tankstelle, Kegelbahn, Zimmern für Touristen, wundervoller Konditorei, aber auch Tabak-, Alkohol-, Schokoladen- und Batterieverkauf gehörten dazu.
Unser Haus steht seit 1898 für beste Gastronomie
Ihre Mehlklöße waren die besten: meine Mutter Marie-Antoinette
DREI ZUTATEN, DIE MICH AN MEINE KINDHEIT ERINNERN
1. Die gute Butter – Meine große Liebe seit jeher. Sie schmeckt sooo gut, hat perfekte Textur, und zarteste Farbe. Aber ihr größter Verdienst: Sie lässt andere Zutaten noch besser schmecken. Wer die luxemburgische „La Rose“ kennt, braucht keine andere.
2. Schokolade – „Früher war mehr Lametta“ heißt es so schön, bei mir heißt es „früher waren besonders die belgischen Schokoladen von ‚Côte d’or‘ fantastisch“. Ich liebe heute noch vollmundige edle Schokolade, die meinen Gaumen verführen und mein Gemüt erhellen kann.
3. „Avec Amour“ – Das heißt „mit Liebe“ und mit ihr zusammen gelingt mir einfach alles.
Unsere Mutter Marie-Antoinette sorgte dafür, dass alles unter einen Hut passte – und das Geschäft brummte. Was zur Folge hatte, dass wir alle helfen durften, so gut wir konnten. Ich liebte anfangs besonders die Tankstelle. Man kann sagen, dass ich hier sozusagen meinen ersten internationalen Erfolg erlebte. Alle, wie sie da waren, ob aus Deutschland, Belgien, Holland oder England, mussten bei der Durchreise bei uns vorbeikommen, wenn sie in den Süden wollten, um Urlaub zu machen. Die Franzosen hingegen kamen sogar ganzjährig. Und alle hatten eines gemein: Sie kamen zum Volltanken. Als kleines Mädchen dachte ich immer, dass das Benzin bei uns besonders gut sein müsste, aber dann hat mein Vater mir erklärt, dass es am Preis läge. In Luxemburg war das Benzin am allergünstigsten. Aber ich wollte allen zeigen, dass es bei uns nicht nur günstig, sondern auch besonders gut sei. So gab es von mir die Wäsche der Windschutzscheibe gratis dazu. Was heißt gratis, es sprang ein feines Trinkgeld für mich dabei raus. Das alles führte dazu, dass ich mit zehn nicht nur vier Sprachen sprach, sondern auch behaupten konnte, mein erstes Geld im Öl-Business gemacht zu haben. Zu meinen Beobachtungen gehörte, dass besonders die Holländer versuchten, die vielen Staus zu vermeiden. Sie steuerten uns mitten in der Nacht an. Mit leerem Tank und leerem Bauch. Für sie fing ich an zu kochen. Es war auch kein großes Risiko, denn mitten in der Nacht noch etwas zu essen zu bekommen, machte sie dankbar, dass es überhaupt etwas gab. Am Anfang servierte ich Tütensuppe, die ich mit Eigelb, Sahne, Pfeffer und frisch geschnittener Petersilie, mit getoastetem Brot und meiner geliebten luxemburgischen Butter verfeinerte. Hier ist es lecker, sagten die Holländer und ich freute mich über ihre Komplimente. So gelang mir neben dem Tankgeschäft mein Debüt in der Küche. Ich liebte es.
Bei uns hat das Essen so gut geschmeckt, dass ich wusste, dass gutes Essen die Quelle des großen Glücks ist.
Mit meinen anfänglichen Kochversuchen aus Tütensuppen war meine Leidenschaft geboren. Von nun an interessierte mich nichts so sehr wie Essen und Kochen. Besonders, wenn es ums Kochen für Gäste ging. Und man darf nicht vergessen, dass ich familiär ja vorbelastet war: Meine Großeltern, Eltern, aber auch mein gesamtes restliches Umfeld hatte irgendetwas mit Bewirtung zu tun. Und ich? Nun ja, die Schule lief so nebenher, sie war ja auch eine Pflicht, trotzdem war sie kein Stress für mich. Ich ging gern hin, schon allein der anderen Kinder wegen. Und auch wegen meines Lehrers, der hatte nämlich eine großartige Schrift und die guckte ich mir heimlich ab. Damals hieß es, dass Mädchen mit schöner Handschrift bessere Karten hätten und da wollte ich unbedingt mitmischen.
Am Geruch erkannt
Unsere Schule hatte nur sieben Klassen, sie befand sich direkt neben dem Dorfbäcker und ich konnte am Geruch erkennen, wie viel Uhr es war und wann endlich Pause sein würde. Gegen 9:00 Uhr roch es nach frischem Brot mit seinen herzhaften Röstaromen. Ab 10:30 Uhr dann süßlich nach frischem Gebäck, Torten und Kuchen. Der Tag war für mich in Gerüche eingeteilt bis zur Mittagsglocke – und dann ab nach Hause. Und wenn eines gewiss war, dann, dass es dort auch wunderbar riechen würde, denn zu Hause gab es mit Sicherheit immer etwas Leckeres zu essen.
Bevor ich in Frisange zur Schule gegangen bin, verbrachte ich viel Zeit bei meinen Großeltern in Mersch. Mersch war ein stolzes Städtchen mit einer richtigen Geschäftsstraße und noch wichtiger, einem richtigen Schloss. Es war der Geburtsort meiner Mutter. Opa und Oma waren recht stressresistent und wenn es meiner Mutter zu viel wurde, schickte sie mich zu ihnen. Ich fand das klasse, denn dort durfte ich so ziemlich alles machen, was ich wollte. Und am besten: Bevor ich es überhaupt richtig konnte. Opa Antoine hatte eine höllische Geduld und brauchte eigentlich auch irgendwie einen kleinen Gesellen. Er war der beste Bäcker der Gegend und doch backte er immer nur eine einzige Sorte Brot. Nun ja, der Erfolg gab ihm recht. Dieses eine Brot war das allerbeste der Gegend und so wollten alle immer nur seins haben. Selbst im Schloss aßen sie es. Das war für ein kleines Mädchen wie mich natürlich etwas, das mich stolz machte. Es war ein recht festes Brot mit unbeschreiblich knuspriger Kruste, die, wenn sie abkühlte, immer geheimnisvoll knisterte. Neben dem begnadeten Brotbäcker war er aber auch Konditor. Er hatte Anfang des Jahrhunderts in Paris sein Handwerk gelernt. Seine Biskuit-Buttercremetorten waren einzigartig. Darüber hinaus war mein Favorit aber die mehrstöckige Hochzeitstorte. Oma machte die zarten rosa Marzipanrosen in aufwendiger Handarbeit dazu, die das Ganze fantastisch dekorierten. Aber Opa backte auch täglich für die Laufkundschaft: Streuselschnecken, Croissants und herrliche Apfeltaschen, ein Traum. Bei ihnen lernte ich schon spielend als kleines Mädchen Streusel zu kneten und das Gebäck, solange es noch warm war, mit Zuckerguss zu bestreichen. Opa drückte mir einfach einen Pinsel und eine leere Dose in die Hand und schüttete in die Dose den Zuckerguss hinein mit dem Hinweis, ich solle ihn nicht zu dick und nicht zu dünn auftragen. Ich hatte das recht schnell drauf und war ziemlich stolz auf meine Arbeit. Und er ließ mich damit auch prahlen. Ich liebte diese Tage bei Oma und Opa.
Von Oma Marie bekam ich die Disziplin mitgegeben. Sie war streng. Sehr streng sogar. Mit mir und mit Opa. Und sie hatte den allerhöchsten Anspruch auf beste Qualität und auf gutes Benehmen. Besonders letzteres machte mir manchmal schwer zu schaffen. Aber egal, sie war der Boss, sie hatte das Sagen. Die Epicerie mit Boulangerie und Patisserie war ihr Reich und in ihrem Reich duftete es immer himmlisch für mich. Nach frisch gemahlenem Kaffee und frisch geriebenem Käse. Es roch nach geröstetem Brot und nach buttrig-süßem Plundergebäck. Herrlich, aber auch sehr komplex, denn es gab ja noch Kernseife und Lederriemen und ich hatte die Fähigkeit, alle verschiedenen Impressionen mit meiner Nase zu erschnüffeln. Das habe ich aber für mich behalten. Oma hätte eh nur mahnend gesagt: Nun mach aber mal halblang, mein Kind.
Stille Freude
Sobald ich gehen konnte, wollte ich mit anpacken und überall bei den Erwachsenen dabei sein. Glücklicherweise hatte ich viele Freiheiten und konnte meine übermäßige Neugierde ausleben. Ich habe einfach alles, was mir in unserem Lokal geboten wurde, von klein auf genossen. Meine Liebe zu gutem Essen und besonderen Menschen war schon immer riesig. Fast täglich gönnte ich mir so um 11 Uhr in etwa ein Stück von einem Côte-d’or-Lait-Schokoriegel. Ich drückte mir dieses kleine Stück feinste Schokolade ganz fest oben an den Gaumen und konnte mich so, ohne dass meine Mutter es sehen konnte, heimlich still und leise minutenlang an dem Genuss erfreuen. Das war eine frühe Art von Meditation, denn in diesen Minuten der stillen Freude ließ ich nichts anderes an meine Seele ran.
Ich bin in die Kulinarik reingeboren worden – obwohl ich nicht in der Küche zur Welt gekommen bin.
Du musst immer hübsch und adrett sein, darfst aber nicht besser aussehen als die Gäste. Die Gäste stehen im Mittelpunkt
Emile Linster, Vater