Читать книгу Die schönsten Pferdegeschichten - Lise Gast - Страница 13

Eine neue Welt

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„So, das war die letzte Gabel. Der Wagen ist leer. Hätte auch nichts mehr Platz“, seufzte Petra und winkte Herrn Anders zu, der das Heu heraufgegabelt hatte. Sie hatte es an der Luke angenommen und nach hinten zu Anja gegeben, die es stopfte. Kein anderer vom Reitverein war dagewesen, als der Bauer es brachte. Dieser mußte den Tag wahrnehmen, an dem es nicht schneite, damit das Heu trocken auf den Boden kam. Er war mit dem Trekker hier, wendete jetzt und zog den leeren Wagen hinter sich her, zur Straße hinunter.

Petra ließ sich ins Heu fallen, blies die Backen auf und pustete.

„Ja, wenn wir nicht wären! Der Reitverein weiß gar nicht, was er an uns hat!“

„An dir. Ich bin ja gar nicht drin, leider.“

„Was nicht ist, kann ja noch werden. Aber Spaß macht es zu schuften, nicht? Ich find’ es prima, grade dazusein, wenn jemand gebraucht wird. Da behandeln sie einen immer, als wäre man erwachsen.“

„Ja. Na, Herr Anders tut das eigentlich sowieso. Wieviel mag es gewesen sein?“

„Zwanzig Zentner sicherlich. Und gutes Heu. Ein einziges Glück, daß es nicht in Ballen kam.“

Wenn das Heu in Ballen gepreßt geliefert worden wäre, hätten sie es kaum einräumen können. Ein Ballen wog ungefähr einen Zentner, und man mußte sie stapeln. Anja schnaubte sich die Nase aus, in die lauter Heustaub gekommen war, und zog das Kopftuch vom Haar, das Petra ihr zugeworfen hatte, ehe sie auf den Heuboden hinaufturnten: „Hier, umbinden, sonst mußt du heute abend den Kopf waschen, und deine Mutter wundert sich über die schwarze Brühe.“ Sie selbst hatte auch eins um, das sie jetzt abnahm. Ihr Haar war schon wieder ein wenig nachgewachsen, noch immer aber sah sie aus wie ein Stoppelkopf. Anja betrachtete die Freundin nachdenklich, dann seufzte sie wieder.

„Komm, wir ruhen uns noch ein Weilchen aus, das haben wir verdient“, sagte Petra und ließ sich ins Heu zurückfallen. „Nirgends liegt es sich so gut wie im Heu. Im Sommer, wenn es frisch ist – das duftet! Aber da darf man nicht drin schlafen, da bekommt man Kopfweh. Jetzt ist es abgelagert.“

„Hast du schon im Heu geschlafen?“ fragte Anja sehnsüchtig. „Ich noch nie.“

„Ich oft. Mit meinen Schwestern zusammen.“

Sie lagen nebeneinander auf dem Bauch und guckten zur Luke hinaus. „Einmal, bei Bekannten – wir verreisen doch immer nur zu solchen Leuten, die auch Pferde haben, oder wenigstens Ponys. Da durften wir mit unsern Schlafsäcken auf dem Heuboden schlafen, und einmal hat mich nachts eine meiner Schwestern geweckt, Angelika, die älteste – die sagte, eine von den Stuten fohlte. Ich war ganz verdattert und verpennt, und als ich es endlich kapierte und hinunterkletterte, war das Fohlen schon da. Es lag hinter der Mutter, winzig klein, noch naß, sein Fell war ganz gelockt. Also so was Süßes, sag’ ich dir!“

„Ja? So schnell ging das?“

„Ganz schnell. Wie ein Wunder.“

„Ich möchte das auch mal erleben“, sagte Anja leise. „Gibt’s bei Pferden auch manchmal Zwillinge?“ Es war wohl naheliegend für sie, das zu fragen. Zu Hause hörte man ja immerzu nur: die Zwillinge, die Zwillinge.

„Ganz selten. Einmal hab’ ich es erlebt. Da hatte die Stute eines Bauern, von dem wir auch Heu beziehen, in der Osternacht Zwillinge bekommen, und im September war sie noch im Turnier gegangen, hatte sogar den Zweiten im Springen gemacht mit ihrem Reiter. Fichte hieß sie.“

„Und wieso hast du sie gesehen?“

„Ach, so was spricht sich rum, schneller als ein Alarmsignal, sagt mein Vater immer. Und Mutter ist ja sowieso überall, wo was los ist. Wir sind also sofort hingefahren, als ich davon hörte. Früh um zehn waren wir dort. Und schon kam das Fernsehen und hat gefilmt, am ersten Osterfeiertag, stell dir vor –“

„Na endlich! Hier seid ihr?“

Petra und Anja fuhren zusammen. An der Luke war ein Kopf erschienen, jetzt kam er höher, sie konnten aber nicht erkennen, wer es war, sahen nur den überstrahlten Schattenriß vor dem weißlichen Himmel, der gegen das Dämmerlicht hier auf dem Heuboden sehr hell wirkte. Ächzend stemmte der Mann sich hoch, stieg von der Leiter auf den Heuboden, sich seitlich setzend, während seine Beine noch hinunterhingen. Jetzt erkannten sie ihn – es war Onkel Kurt.

„Was machst du denn hier?“ fragte Anja maßlos erstaunt.

„Euch suchen. Herr Anders wies mich endlich auf eure Fährte. Ich suche schon anderthalb Stunden lang.“

„Hat Mutter dich etwa geschickt?“ fragte Anja erschrocken. Immer hatte sie ein schlechtes Gewissen, wenn sie sich heimlich in den Reitverein absetzte.

„Keine Ahnung, Mutter doch nicht. Sie ist mit den Jungen heute zum Kinderarzt. Nein, zu Hause ist niemand. Auch Vater nicht, und er hat auch nicht nach dir gefragt, als er ging.“

Anja atmete auf. Wenn Onkel Kurt „nur so“ kam, war keine Gefahr. Er war seit ein paar Tagen bei ihnen zu Gast, und alle freuten sich darüber, keiner fragte, warum. Jetzt saß er da und kaute an einem Heuhalm.

„Du, Petra …“, sagte er nach einer Weile, brach aber wieder ab.

„Ja?“ fragte Petra vorsichtig.

„Ich wollte – also du kennst doch Cornelia, wie ihr sie nennt. Übrigens heißt sie wirklich so, ihr tut immer, als wäre es ein Spitzname. Kennst du sie näher?“

„Was heißt näher? Wenn sie kommt, begrüße ich sie halt. Und ich mag sie furchtbar gern, weil sie so nett zu uns ist. Gar nicht wie sonst Erwachsene, sondern so, als wären wir gleich alt.“

„Aber –“, er gab sich einen Stoß. „Aber – weißt du zum Beispiel, ob sie verheiratet ist? Ich habe sie früher gekannt, im Anfang unseres Studiums –“

„Sie heißt aber doch Cornelia Nolde, hieß sie nicht damals auch schon so?“ fragte Petra pfiffig. Onkel Kurt sah einen Augenblick lang zu ihr hin, senkte die Augen aber sofort wieder.

„Das hat doch heutzutage nichts zu sagen. Frauen können ihren Namen jetzt beibehalten, wenn sie – also, sie ist nicht verheiratet?“ fragte er gleich darauf schnell. Petra schüttelte den Kopf.

„Nein. Auch nicht verlobt. Aber das war sie mal.“

„Verlobt? Und war? Und ist nicht mehr?“

„Nein. Das hat sie mir zufällig mal erzählt. Sie hat kurz vor ihrer Hochzeit, also vielleicht vier Wochen vorher, Kuchen war noch nicht gebacken, aber sonst alles fertig, das Aufgebot bestellt, die Kirche, die Predigt, alles – da hat sie wieder abgesagt. Einfach ganz schnell von einer Sekunde zur anderen. Weil –“, sie machte eine Pause. Sie fand es selbst spannend, aber daß Onkel Kurt es noch spannender fand, das merkte sie genau, Anja übrigens auch. Sie beneidete Petra wieder mal.

„Weil – ja, ihr damaliger Verlobter mochte keine Tiere. Weder Hunde noch Pferde noch sonstwas. Und –“

„Und?“ Onkel Kurt sah sie an, als hinge sein Seelenheil von ihrer Antwort ab.

„Und – ja, und er war kein Arzt. Kein Mediziner. Mit dem Mediziner – sagte sie damals – fängt bei mir der Mensch an. Jedenfalls der, mit dem ich ein Leben lang zusammensein könnte. Das hatte ich mir vorher nicht genau genug überlegt. Ist er keiner, dann ade. So sagte sie, ungefähr so, ich weiß es nicht mehr wörtlich.“

„Ach.“ Onkel Kurt hatte jetzt die Beine heraufgezogen und angewinkelt und die Ellbogen drauf gestützt. „Das also ist es.“ Dann schwieg er wieder.

Petra betrachtete ihn heimlich, mit spitzbübischer Aufmerksamkeit. Sie hatte es ja von Anfang an gemerkt.

„Und warum fragen Sie?“ fragte sie nach einer Weile scheinheilig. Anja knuffte sie noch, aber zu spät.

„Ach, nur so. Tja, horcht mal, ihr beiden“, sagte er dann, und man merkte richtig den Schubs, den er sich geben mußte, um das zu sagen. „Eure Cornelia hat doch am Mittwochnachmittag frei. Sagte sie jedenfalls mal. Morgen ist Mittwoch. Wollen wir da – würdet ihr da –, also, ich hab’ eine große Bitte an euch. Ich möchte mal nach Hause, nachsehen, wie es dort geht. Wenn man fort ist, ist ja meistens der Teufel los, das werden eure Eltern auch sagen, wenn sie mal wegfahren müssen und euch allein lassen. Und ich finde, es wäre ein hübscher Ausflug. Hättet ihr Lust mitzufahren? Ich hab’ auch – also Pferde hab’ ich nicht, das sag’ ich gleich. Aber hm – einen Hund schon – oder besser – na ja, egal. Und da wäre es doch herrlich, wenn eure Cornelia auch mitkäme. Sie allein mitzunehmen, trau’ ich mich nicht, lacht ruhig, ihr albernen Gören. Aber wenn ihr sie bittet, ihr – dann sagt sie vielleicht nicht nein?“

Es klang sehr bittend. Petra lachte.

„Klar fahren wir mit. Wenn wir abends wieder zu Hause sind. Meinst du, ob du darfst, Anja? Aber schließlich ist es ja dein Onkel. Und ich komm’ eher mal weg von zu Hause, ich hab’ nicht solchen Seltenheitswert wie du.“ Sie lachte aus vollem Halse. Anja mußte auch lachen.

„Würdest du für mich fragen, Onkel Kurt?“ bettelte sie. „Ich möchte schrecklich gern mit!“

„Natürlich frage ich für dich. Und für dich, Petra. Ich kann doch deine Eltern anrufen?“

„Geht vielleicht auch so. Wenn Cornelia mitkommt, die war ja schon bei uns, damals, als ich im Bett lag. Hat mich besucht und kennt meine Mutter. Also, das wird schon in Ordnung gehen. Was für einen Hund haben Sie denn?“

„Einen? Ach, lassen wir das mal, die Rasse kennst du sicher nicht. Nein, man muß sich auch mal überraschen lassen können. Könnt ihr das? Na also. Und Cornelia, ob sie das auch kann?“

„Cornelia, Cornelia, alles reimt sich bei ihm auf dasselbe“, lachte Petra, als Onkel Kurt gegangen war. „Merkst du es? Bis über die Ohren verschossen. Na, an uns soll es nicht liegen, Hauptsache, du bekommst die Erlaubnis.“

Anja bekam sie. Natürlich dürfe sie mit, sagte die Mutter, als Onkel Kurt sein Sprüchlein gestammelt hatte, „wenn sie nicht in den Reitverein muß?“ Mutter blinzelte, Anja wurde rot, hauptsächlich aus Ärger. Sie wollte etwas Patziges sagen, aber Onkel Kurt trat ihr so heftig auf den Fuß, daß sie vor Schreck stöhnte.

„Entschuldige, aber –“, und dann drängelte er sie hinaus und flüsterte im Flur nur: „Tut mir leid, kriegst ein Schmerzensgeld. Aber jetzt, wo sie ja gesagt hat, ist doch alles andere Nebensache …“

Ja, er mußte sehr verliebt sein. Denn die Geschichte mit dem Reitverein war keineswegs Nebensache, fand Anja, und sie mußte wieder einmal über die Erwachsenen seufzen. Die hatten Sorgen! Wenn man dagegen an sich selbst dachte!

Es wurde wahr. Cornelia sagte ahnungslos zu, als Onkel Kurt ihr den Vorschlag machte, am Mittwoch nachmittag ein Stück mit den beiden Kindern und ihm zu fahren; er habe Winterreifen und im Kofferraum Schneeketten, und es würde bestimmt nichts passieren, und – und – und –

Cornelia saß vorn neben Onkel Kurt, Petra und Anja hinten. Kinder müssen hinten sitzen, das ist Vorschrift. Die beiden hatten nichts dagegen, von hinten sah man genausoviel, und sie konnten sich gut unterhalten. Das taten sie auch, flüsterten und kicherten und prusteten. Onkel Kurt dagegen zog seinen Wagen schweigend und aufmerksam durch eine Kurve nach der anderen. Es war schönes Wetter, hell durch den Schnee, schneite aber nicht. Sogar der Wald, der die Straße rechts und links begleitete, war weiß, es hatte noch nicht gestürmt, und die Bäume trugen ihren Schmuck mit Stolz.

„So ein wunderschönes Vorweihnachtswetter hatten wir lange nicht“, plauderte Cornelia, als Onkel Kurts Schweigen beklemmend zu werden drohte. Und als er darauf immer noch nichts antwortete, wandte sie sich ein wenig zurück zu den beiden Mädchen. „Habt ihr eigentlich dieses Jahr schon Wunschzettel geschrieben? Oder tut man das heute nicht mehr? Ich fand es eigentlich immer praktisch, den ‚Großen‘ eine Auswahl an Wünschen vorzulegen. Sie konnten sich dann etwas heraussuchen, sich für ein neues Fahrrad oder einen Fingerhut entscheiden, je nachdem, wie dick und voll ihr Geldbeutel im Augenblick war.“

„Was ist denn das, ein Fingerhut?“ fragte Petra. Cornelia lachte.

„Wahrhaftig, das weiß heute niemand mehr. Genäht wird mit der Nähmaschine, und geflickt überhaupt nicht mehr. Wenn was kaputt ist, schmeißt man es weg. Viele Leute jedenfalls, die ich kenne, machen das so.“

„Haben Sie sich mal einen – nun, so einen Nähhut gewünscht?“ fragte Petra, und man hörte ihrer Stimme an, wie verächtlich, ja unwürdig sie das gefunden hätte. „Ich kann mir Sie nicht vorstellen, wenn Sie nähen. Ich wünsche mir dies Jahr eine neue Reithose, die alte platzt schon überall. Und eine Sprunggerte. Ich will im Sommer das Jugend-Reitabzeichen machen, das kann ich mir leider nicht wünschen, sondern muß es selbst schaffen. Das ist viel schöner. Ein geschenktes Abzeichen würde ich nie anstecken.“

„Aber ein erworbenes?“ fragte Cornelia.

„Klar. Sogar an den Schlafanzug. Himmel, wenn ich mir vorstelle“ Ihre Augen blitzten wieder einmal. „Springen muß man da auch, aber wenn ich den Abglanz bekomme, der springt! Bei mir jedenfalls.“ Sie starrte in die Luft und schien eine Vision zu haben.

„Und du, Anja?“ fragte Cornelia nach einer Pause.“

„Ich? Ich brauch’ keinen Wunschzettel.“

„Weil du dir nichts wünschst?“

„Ich wünsch’ mir nur eins. Aber das krieg’ ich nicht.“ Es klang bockig und auch ein wenig traurig. Cornelia merkte, daß sie einen wunden Punkt berührt hatte.

„Vielleicht ist es ein zu teurer Wunsch? Ein unverschämter?“ fragte sie sachte.

„Ach, ich weiß nicht. Wenn man sich aber nur eins, nur ein allereinziges wünscht, das aber so sehr –“

„Tja, es kommt halt drauf an.“ Cornelia dachte sich ihr Teil. Sie meinte aber, es sei vielleicht besser, nicht in Anja zu dringen. Vielleicht sprach sie einmal mit deren Eltern …

„Und Sie? Was wünschen Sie sich?“ fragte plötzlich Onkel Kurt. Er hatte also zugehört, der Heimtücker, und nur so getan, als gäbe es für ihn nichts anderes auf der Welt als Autofahren, Überholen oder auf Ampeln aufpassen.

„Ich? Eigentlich gar nichts“, sagte Cornelia vergnügt. „Ich hab’ ja, was ich mir ein Leben lang gewünscht habe: eine gute Praxis, einen kleinen Wagen, um zum Reitverein fahren zu können, eine Menge befreundeter Familien – ja, doch, etwas mehr Zeit für mich selbst könnte ich schon gebrauchen. Damit ich dreimal und nicht nur zweimal die Woche reiten kann.“

„Sonst nichts?“

Sie lachte.

„Natürlich auch sonst noch verschiedenes. Der Mensch ist ein Geschöpf, das immer wünscht. Bei Busch heißt es:

Ein jeder Wunsch, der sich erfüllt,

kriegt augenblicklich Junge.

Ist es nicht so? Hat man das Studium beendet, wünscht man sich eine Praxis, und hat man die, dann möchte man viele Patienten haben. Und wenn man diesen Wunsch erfüllt bekam, dann wünscht man sich mehr Zeit für sich selbst … übrigens alles Dinge, die man nicht auf einen Wunschzettel schreiben kann. Und so geht es allen, glaube ich.“

„Meinen Eltern jedenfalls ging es so. Sie haben mir oft erzählt, daß sie sich sehr einen Sohn wünschten. Na, den haben sie nun, Werner. Und jetzt wünschen sie sich, daß er auch reitet“, erzählte Petra und lachte. Anja hatte bisher geschwiegen.

„So wäre ich nicht“, sagte sie jetzt, und es klang sehnsüchtig und ein wenig traurig. „So würde ich auch nie werden –“

„Ich auch nicht“, behauptete Petra. „Erwachsene sind blöd. Ich mach’ es mal anders, wenn ich groß bin.“

„Und wie wirst du es machen?“ fragte Onkel Kurt.

„Ich wünsche nicht. Ich nehme mir was vor. Ganz fest. Ich nehme mir vor, zu erreichen, was ich haben will. Ich spare wie verrückt auf ein eigenes Pferd, kauf’ mir nichts, nichts, nichts anderes, nichts zum Anziehen, kein Eis, keine Schallplatte. Wenn man wirklich etwas will, bekommt man es auch, sagt mein Vater immer.“

„Es gibt aber Dinge, die man mit allem Willen nicht erreichen kann“, sagte Anja heftig. „Wo Sparen gar nichts hilft, und kein eiserner Wille. Und andere bekommen es geschenkt – und wollen es sogar nicht mal –“ Sie schwieg. Alle schwiegen. Jeder dachte so vor sich hin. Auf einmal fuhr Onkel Kurt rechts an den Straßenrand und bremste. „Wir sind da“, sagte er halblaut. Es klang zaghaft – warum eigentlich? Petra hinten lachte.

„Jetzt haben wir von der Fahrt gar nichts gemerkt! Hier wohnen Sie?“

Sie waren in einer Siedlung einer kleinen Stadt angekommen, links von der Straße ging es einen Hang hinauf und rechts hinunter zu einem breiten Flußtal. Jenseits des Bürgersteiges, an dem der Wagen hielt, stand eine dicke, im Sommer wahrscheinlich frischgrüne, jetzt braungekräuselte Hecke mit einer dicken Schneehaube. Onkel Kurt war hastig ausgestiegen und hatte sich neben die kleine Eingangstür gestellt. Er hielt sie für Cornelia auf und verdeckte mit seinem Körper das Messingschild, das neben dem Gartenpförtchen in der Hecke hing. Es fiel ihr nicht auf, auch den beiden Mädchen nicht.

„Bitte!“ sagte er.

Cornelia ging durch die kleine Tür, Petra und Anja folgten. Man kam hier auf eine kleine Brücke, die zum Haus hinüberführte. Das lag etwas unterhalb am Hang im Garten, und wenn man über das Brückchen ging, kam man im oberen Stock an.

„Wunderbar! Wie die Zugbrücke einer Burg!“ sagte Petra und ließ ihre Augen flink umherspähen. „So was hab’ ich in Wirklichkeit noch nie erlebt. Höchstens im Fernsehen. Und jetzt –“

Nein, so was hatten weder sie noch Cornelia noch Anja je erlebt. Onkel Kurt hatte die Haustür mit einem Drücker geöffnet, und im selben Augenblick waren die Ankommenden von einer Schar winziger Hunde umringt, die allesamt jaulten und quiekten, an den Menschenbeinen emporsprangen, bellten – was man bei solch kleinen Geschöpfen bellen nennen konnte – und hechelten. Petra und Anja quietschten vor Entzücken mit, so außer sich gerieten sie über diesen Schwarm von Kleinsthunden, die edel und komisch zugleich wirkten. Jeder trug ein seidiges, lockeres Fell, manche in Schwarz, manche in Schwarzweiß, andere hellbraun und wieder andere ganz weiß. Ihre Ohren waren das drolligste: Sie standen wie Tüten gefaltet aufrecht und waren viel größer, als man bei solch kleinen Hunden erwartet hätte, so daß sie etwas Fledermausähnliches hatten. Aber entzückend waren die Tiere, eins wie das andere. Die meisten standen jetzt, da die vier Menschen hereingekommen waren, auf den Hinterbeinen und bewegten die Vorderpfötchen, bettelnd oder winkend, und quiekten durcheinander.

Petra hatte schon eins der Hündchen auf dem Arm und streichelte es entzückt, während sie immerzu rief, so etwas Süßes habe sie noch nie gesehen. Anja fischte sich einen anderen heraus.

„Sie beißen nicht, nie“, erklärte Onkel Kurt und sah Cornelia von der Seite an. „Mögen Sie Hunde? Es sind Chihuahuas, eine sehr alte Rasse, aber bei uns noch sehr wenig bekannt. Sie stammen aus Mexiko, dort gibt es auch einen Staat dieses Namens. Früher sollen die Azteken sie als Lieblingshunde gehabt haben.“

„Und das sind alles Ihre? Und selbst gezogen, gezüchtet – sagt man auch bei Hunden so?“ fragte Petra.

„Die meisten selbst gezogen. Ich habe mich nun einmal in diese Rasse verhebt. Sie besitzen überhaupt keinen Eigengeruch, sonst könnte man solch eine Menge in einem Zimmer überhaupt nicht ertragen. Freilich sind sie auch viel im Garten, denn sie brauchen ja Auslauf wie alle Hunde, aber im Zimmer riecht man sie nicht. Und sie sind an sich unwahrscheinlich sauber.“

„Aus Mexiko?“ fragte Cornelia. Sie hatte sich in einen Sessel gesetzt, den er ihr hinschob, und gleich drei Hündchen auf den Schoß genommen. „Nein, so etwas Reizendes! Und sie sind nicht künstlich kleingehalten, wie man es mitunter mit Zwergpudeln macht?“

„O nein, das hasse ich. Diese künstlich kleingehaltenen Hunde sind auch gar nicht langlebig, weil sie widernatürlich aufgezogen werden. Diese hier bekommen soviel zu essen, wie sie mögen, natürlich braucht so einer weniger als ein Bernhardiner beispielsweise. Aber heikel sind sie nicht.“

„Meiner sieht aus wie ein Fuchs!“ sagte Anja, die einen kleinen hellbraunen auf dem Arm hielt. Onkel Kurt nickte ihr zu.

„Gut beobachtet! Sie ähneln den Feneks, den kleinen Wüstenfüchsen – ich will mir auch davon ein paar anschaffen. Man kann sie mit den Chihuahuas zusammen halten. In Tunesien bekommt man eventuell noch welche. Sie sind süß, genauso keck wie diese und vielleicht sogar noch schlauer. Schlaue Füchse halt. Würden Sie es schön finden, wenn ich auch noch Wüstenfüchse züchtete?“ fragte er und sah Cornelia an.

Sie erwiderte seinen Blick, diesmal lachte sie nicht, sondern lächelte nur ein ganz klein wenig mit den Augenwinkeln.

„Ich“, sie betonte dieses Wort ein klein wenig mehr als die anderen, die jetzt folgten, „ich fände es schön. Aber Ihnen müssen sie ja gefallen!“

„Mir – mir gefällt eigentlich nur noch, was Ihnen gefällt“, stieß Onkel Kurt jetzt mit Todesmut hervor, „nein, hier kann man ja kein Bein auf den Boden bekommen und keinen Satz zu Ende reden. Hinaus mit euch, ihr Quieker.“ Er öffnete die Verandatür. Sofort überstürzten sich die Hündchen, um hinauszugelangen. Draußen schloß eine Treppe an die Veranda an, die in den Garten führte. Wie ein Wasserfall stürzten und kugelten die Hündchen treppab. Anja und Petra hatte es mitgenommen wie ein reißender Strom …

„So, jetzt ist man endlich allein, zu zweit wenigstens“, sagte er aufatmend. Cornelia lachte.

„Irrtum, zu dritt!“ Sie hatte noch ein Hündchen auf dem Schoß, es war halb in ihren Pullover hineingekrochen. „Hier ist noch jemand!“

„Dieser Jemand stört nicht“, sagte Onkel Kurt. Er sprach jetzt leiser als vorhin, weil er keine dreißig Hundestimmen mehr zu übertönen brauchte. „Es ist übrigens einer meiner Lieblinge, Winki heißt er. Sehen Sie nur seine blanken Augen! – Cornelia, Petra hat mir etwas verraten. Daß Sie keinen Menschen leiden können, der es nicht mit Tieren hält – nun, da brauche ich jetzt wohl nichts mehr zu beteuern, für mich sprechen dreißig kleine Lebewesen. Und daß der Mensch bei Ihnen erst mit dem Arzt, dem Mediziner beginnt. Darf ich da eine Frage stellen? Gilt ein Tiermediziner auch? Ein Dr. med. vet.? Ich habe nach dem Physikum umgesattelt und bin Tierarzt geworden, und ich hab’ es nie bereut. Es ist der Beruf für mich, nicht leicht, aber schön. Ob er jedoch auch Ihnen gefällt …“

Die schönsten Pferdegeschichten

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