Читать книгу Die schönsten Pferdegeschichten - Lise Gast - Страница 18

Endlich im Sattel

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„Aufwachen, Schlafmütze, aufwachen! Herrje, wie tief schläfst du denn!“

Petra konnte selbst die Augen noch nicht richtig aufbekommen. Es war gestern abend spät geworden, so hübsch hatten sie es gefunden, um den Kamin zu sitzen und sich mit Dagmar zu unterhalten. Jetzt erwies es sich als Schwerstarbeit, Anja wach zu bekommen. Sie lag so in ihre Decken gewühlt, daß man nur ein Bein herausgucken sah. Kopf und Arme waren unterirdisch, auch der sonstige Körper. Petra kniff schließlich in dieses Bein.

„Aua!“

„Na endlich! Wir müssen füttern gehen!“

„Ist es denn schon …“

„Natürlich! Dagmar ist sicherlich schon im Stall.“

„Ach, das weißt du nicht mal? Sie hat doch versprochen, uns zu wecken. Wenn sie also noch nicht –“

„Klar hat sie. Sie hat von unten gerufen: Aufstehen! Und an die große Schelle gehauen, die im Flur hängt, an die Kuhglocke, du hast sie doch gestern gesehen. Und dann ist sie los –“

„Die Glocke?“

„Quatsch, Dagmar. Also wenn du jetzt nicht kommst –“

Petra brauchte nicht weiter zu drohen. Anja hatte sich aus ihren Decken gewickelt, zog in Eile ihren Anorak über den Schlafanzug und fuhr ohne Strümpfe in die Gummistiefel.

„Hättest du das doch gleich gesagt! Wenn Dagmar geweckt hat, müssen wir los!“ Sie war schon halb die Treppe hinunter, ihre Stimme verklang. Petra rannte hinterher.

Wirklich, Dagmar war schon im Stall. Das heißt, sie befand sich gerade über dem Stall, auf dem Heuboden, wo Heu und Stroh lagerten. Dort gab es eine Luke, durch die man hinaufkam, und dort oben wurden die Heunetze gefüllt. In diesem Stall fütterte man das Heu in großen Perlonnetzen, die man über die Krippen hängte. Aus denen zogen es die Pferde mit den Lippen heraus, Halm für Halm, und nichts davon ging verloren. Sonst wühlen manche Pferde darin herum und werfen Heu herunter, das dann in die Streu getreten wird.

„Ich hab’ die Netze schon hier“, sagte Dagmar, als Anja und gleich hinter ihr Petra durch die Luke kamen, „das dort ist schon voll. Das kriegt die Lotte, dort an den Haken kommt es. Und das ist für Ströppchen, den kleineren in der Ecke drüben. Hier, nimm es. Die Haken findet ihr schon, an die die Netze kommen.“

Petra und Anja liefen hin und her, schoben die Riegel der Boxentüren auf, drängten sich hinein, sprachen und schalten mit den Pferden, die begierig herankamen, und fühlten sich wie echte Stallburschen. Dann wurden noch die Eimer geholt, gesäubert und frisch mit Wasser gefüllt. Kraftfutter gab es erst abends.

„Was man früh füttert, geht in die Krippe, was man abends gibt, in die Kruppe, heißt eine alte Futterregel“, erklärte Dagmar, als Petra nach Hafer fragte. „Wenn die Pferde sehr beansprucht sind, füttern wir früh und abends Kraftfutter, jetzt aber nur abends. Sie haben ja ein faules Leben zur Zeit.“ Sie patschte der Lotte freundlich auf die Kruppe.

„Tun sie gar nichts?“ fragte Anja vorsichtig, aber Petra war weniger schüchtern und fragte geradeheraus: „Können wir nicht wenigstens einmal am Tag reiten? Es sind doch drei, und …“

„Natürlich können wir“, sagte Dagmar vergnügt, „das heißt: Wenn ihr könnt. Daß du, Petra, auf jedem Pferderücken sitzt, der sich anbietet, das weiß ich ja, aber wie ist es mit Anja?“

„Ich gehe ab Januar auch in den Reitverein“, sagte Anja eilig, und Petra schnitt ihr das Wort ab.

„Wir können sie doch an den Führzügel nehmen, jedenfalls zu Anfang.“ Dagmar lachte. Sie hatte die große Karre in die Stallgasse geschoben und zeigte den beiden Mädchen, wie man den nachts gefallenen Mist sammelt, ohne allzuviel von der Streu mitzunehmen, und ihn in die Karre wirft. Dabei erzählte sie:

„Ich hab’ mal ein sehr hübsches englisches Kinderbuch gelesen. Und in England wird ja überall geritten, die Kinder wachsen dort sozusagen auf Pferden auf. Richtige Wege, um Kinderwagen zu schieben, gibt es in vielen Gegenden gar nicht, da kommen die kleinen Kinder in ein Körbchen, an dem ist ein Strick und auf der anderen Seite ein eingewickelter Stein, der das Gleichgewicht hält. Der Strick kommt über den Ponyrücken, und das Pony wird geführt, und so schaukeln die Kinder durch Wind und Regen. In England regnet es ja sehr oft. Die größeren Kinder reiten natürlich. Das ist für die Mütter lustiger, als den Kinderwagen zu schieben. Oft machen es auch die größeren Geschwister oder andere Kinder, die sich ein paar Pence verdienen wollen.

In dieser Geschichte nun kam ein Stadtkind, ein Einzelkind ohne Geschwister, zu einer Familie aufs Land, in der es mehrere Kinder gab, die alle reiten konnten.

,Du kannst doch auch‘, sagten sie, und die Kleine war zu schüchtern, um zu widersprechen. Sie nahmen sie mit – und als sie wieder zu sich kam, lag sie auf der Couch im Wohnzimmer, und die Mutter der Familie beugte sich über sie und sagte: ‚Ich werde es mir nie verzeihen, solche idiotischen Kinder in die Welt gesetzt zu haben.‘ Es war weiter nichts passiert, halt der Film gerissen, nachdem die Kleine abschmierte – das gibt es. Man erinnert sich dann an nichts mehr. – Aber du bist doch schon geritten, Anja, oder?“

„Ein bißchen“, sagte Anja kleinlaut und hoffte inbrünstig, daß Petra nicht sagen würde, wie klein dieses bißchen gewesen war. Nur im Schritt, und eigentlich nur drauf gesessen …

„Na, wir werden sehen. So jedenfalls wie diese englischen Kinder machen wir es nicht“, versprach Dagmar gutmütig. „Nehmt die Karre und fahrt sie raus, ja, danke. Etwas Streu kommt jetzt noch herein, unsere Pferde sollen es schön haben. Und dann rüber ins Haus und frühstücken. Habt ihr noch keinen Hunger?“

Doch, bei beiden meldete sich jetzt der Magen.

„Aber die Hunde müssen doch noch was kriegen“, erinnerte Petra. Dagmar lachte.

„Die haben schon. Denen geb’ ich ihr Teil immer schon gleich zu Anfang, damit sie mich nicht dauernd daran erinnern, daß sie noch da sind und Kohldampf haben. Man hat dann ein Morgenkonzert gratis, daß einem die Ohren gellen. Ich finde es schöner im Stall, wenn es still ist. Wenn man nur die Pferde kauen hört und im Stroh rascheln und mal an die Wand bollern …“

Anja stellte sich auf die Zehen und guckte über die Bretterwand in die Hundebox hinunter. Willia, die Doggenmutter, hatte ihren Napf sauber ausgeleckt und lag nun wieder seitlich im Stroh, ihre vier Sprößlinge in Richtung ihrer Beine, also quer zu ihr, nebeneinander ausgerichtet, die Mäulchen an ihrem Gesäuge.

Es war ein bemerkenswertes Bild des Friedens und des gesättigten Mutterglücks.

Sie gingen durch die Milchkammer und begegneten im Flur Zessi und der alten Brumme. Auch diese beiden Hündinnen hatten schon gefrühstückt. Sie begrüßten die Mädchen wedelnd und mit vorgestreckten Nasen. Dagmar nahm sie mit in die Küche.

Diese Küche war auch sehr gemütlich: mit einer Eckbank um einen klotzigen Tisch.

„Unser Landsknechtstisch“, sagte Dagmar zärtlich und streichelte ihn im Vorbeigehen. „Setzt euch, ihr bekommt gleich was Warmes zu trinken.“

Während des Frühstücks wurde beraten.

„Am besten geben wir dir die Lotte“, sagte Dagmar und ließ einen dünnen Pfannkuchen auf Anjas Teller rutschen. „Wir frühstücken heute amerikanisch wie die Cowboys, mit Speck und Eiern und Pfannkuchen, auf diese Weise sparen wir das Mittagessen“, erklärte Dagmar. „Lotte ist unsere Älteste und vernünftig, wenn sie nicht gerade mit dem Mistwagen durchgeht. Und du kriegst keinen Sattel, sondern einen Gurt mit Griff, an dem du dich festhalten kannst – oder nein, noch besser: Wir nehmen den Westernsattel für dich. Hast du schon mal einen gesehen? Der ist tief eingeschwungen und hat vorn einen Sattelknopf, um den die Cowboys ihre Lassos wickeln, wenn sie sie nicht brauchen. An diesem Horn, wie man es nennt, kann man sich gut festhalten. Überhaupt ist es beinahe unmöglich, aus einem Westernsattel abzuschmieren. Höchstens kann einem das Pferd durchgehen, aber dafür nehmen wir dich ja an den Zügel. Wißt ihr was? Wir könnten eigentlich gleich ein richtiges Stück reiten, zur Mühle unseres Nachbardorfes. Dort will ich sowieso Hafer bestellen und Weizenkleie. Wir könnten ja auch anrufen, jedenfalls beim Nachbarn, denn der Müller selbst hat kein Telefon.“

„Wir werden doch um Himmels willen den Nachbarn nicht bemühen, daß er den weiten Weg hinüberläuft“, sagte Petra sofort, zutiefst davon überzeugt, daß man so etwas nicht tut. „Nein, da reiten wir lieber rüber, das nehmen wir auf uns. Wie weit ist es denn?“

„Na, so fünf Kilometer schon. Traust du dir das zu, Anja?“ fragte Dagmar und goß ihr eine Tasse Tee ein.

„Natürlich. Vor allem mit dem Westernsattel“, sagte Anja so gleichmütig wie möglich. Sie hoffte nur, Dagmar würde nicht ahnen, daß sie einen solchen Sattel in Wirklichkeit noch nie gesehen, geschweige denn angefaßt oder gar darin gesessen hatte.

„Na gut. Dann reiten wir also gleich nach dem Frühstück. Man weiß nicht, was für Wetter wir bekommen.“ Dagmar sah aus dem Fenster. „Es sieht fast so aus, als käme was. Die Wettervorhersage hab’ ich heute noch nicht gehört. Na, ihr habt ja Anoraks mit und Gummistiefel. Auch Handschuhe?“

„Alles.“ Petra und Anja waren auf einmal satt. Nichts ging mehr in den Mund hinein, höchstens der letzte Schluck Tee. Aber essen war auf einmal unmöglich.

„Schön, dann können wir also gleich los, die Pferde haben jetzt aufgefressen. Nur die Betten machen wir noch. Unsere vielgepriesene Art, ohne Türen zu leben – jedenfalls im oberen Stock ist –, auch ein wenig unbequem – oder gerade erzieherisch, wenn man es so nimmt. Wer uns besucht, ist sofort mittendrin, wenn er die Treppe erklommen hat, und da ist es etwas blamabel, wenn die Betten noch zerwühlt sind oder auf der Erde liegen.“

„Kommt denn Besuch einfach so rein, wenn wir nicht da sind?“ fragte Anja verwundert. „Bei uns wird immer abgeschlossen, wenn man weggeht.“

„Bei uns auch, aber wir haben viele gute Freunde, die uns besuchen, und die kommen manchmal zu den komischsten Zeiten. Oft liegt früh jemand im Bett, der uns nicht mehr geweckt hat, weil er das unhöflich gefunden hätte – einer unserer alten Reitfreunde zum Beispiel. Sein Pferd steht dann in der Besuchsbox, und er schläft. Oder –“

„Ja, wie kommen die denn aber herein?“ fragte Anja. Dagmar lachte.

„An unserer Haustür, in der Ecke, dort, wo der Gartenzaun anfängt, steht ein Blumentopf, unauffällig, etwas Reisig drüber. Darin liegt ein Extraschlüssel. Mit dem kann jeder, der es weiß, herein. Er muß ihn nur wieder hinlegen und zudecken. Wer das nicht tut, darf nie wieder kommen, haben wir ausgemacht. Bisher hat ihn deshalb jeder wieder hingelegt. Auch wenn es schneit, findet man ihn dort, denn das Reisig kann man ja vorsichtig anheben. Ich glaube nämlich, heute –“, sie witterte wieder zum Fenster hin.

„Glaubst du, daß wir Schnee bekommen?“ juchzte Anja unterdrückt. Jetzt auch noch Schnee – es wäre nicht zu fassen!

„Beinah ja. Wir hatten diesen Winter schon welchen, und da haben wir den Pferden die Eisen abgenommen. Sie gehen im Schnee besser ohne, rutschen nicht und stollen nicht auf. Aufstollen nennt man, wenn sich in der Höhlung des Hufes Schneeklumpen ansammeln und immer größer werden. Damit treten die Pferde unsicher und können sich sogar ein Bein brechen, wenn sie umknicken. Nein, die Eisen sind runter, wir können ruhig reiten. Natürlich möglichst auf weichem Untergrund, solange kein Schnee liegt.“

„Wunderbar!“ Anja rannte die Treppe hinauf. „Ich mach’ eure Betten gleich mit“, rief sie noch hinunter, „ihr braucht nicht erst zu kommen!“ Und hatte ganz vergessen, wie überflüssig sie es fand, wenn sie daheim ihr Bett machen sollte. Zu schade, daß Mutter sie nicht sah! So aber ist das nun mal im Leben …

Übrigens bekam ihre Mutter doch das Staunen nachgeliefert, nämlich durchs Telefon. Sie hatte es sich nicht versagen können, schon jetzt, vormittags, kurz anzurufen – Vater war gerade aus dem Haus gegangen, um Zigaretten zu holen. Da ließ sie alles stehen und liegen und wählte mit vor Eile zitternden Fingern die Nummer, die sie sich von Dagmar hatte aufschreiben lassen. Dagmar war am Apparat.

„Ja, danke, alles in Ordnung. Möchten Sie Anja selbst sprechen, soll ich sie holen? Nicht nötig?

Ja, sie ist eben hinaufgelaufen und macht die Betten –“

„Anja macht Betten!“ sagte Mutter vor sich hin, während sie ins Kinderzimmer hinüberging, um dort aufzuräumen. Sie hatte vorhin etwas von dort holen wollen und war fast umgefallen, als sie sah, wie Anja es verlassen hatte: als Schlachtfeld, wild und wüst. „Anja macht Betten, Anja macht Betten“, murmelte sie immer wieder vor sich hin und schüttelte den Kopf. „Immerhin, es gibt nichts, was es nicht gibt“, seufzte sie und hängte Anjas Schulkleid auf einen Bügel. „Vielleicht wird sie doch eines Tages noch –“ Da kam Vater. Und damit war es zu Ende mit den Selbstgesprächen.

Die Mädchen sattelten. Dagmar führte eins der Pferde nach dem anderen in die Stallgasse, zeigte Anja, wie man dem Pferd das angewärmte Gebiß zwischen die Lippen schob, wie man putzte und gurtete. Petra konnte dies alles schon, und auch Anja hatte im Reitstall oft zugesehen und geholfen. Nur der Westernsattel war ihr neu. Sie bewunderte ihn: die zwei Gurte, von denen der eine durch einen Ring lief, und die merkwürdigen Bügel, die wie Lederschuhe aussahen.

„Sie schützen den Cowboys die Beine und Füße, denn die müssen ja Rinder treiben, und die Rinder gehen die Reiter manchmal mit den Hörnern an“, erklärte Dagmar.

Auch das Horn befühlte Anja. Es war natürlich wichtig, weil es eine gewisse Sicherheit bedeutete.

Und dann waren alle drei Pferde fertig und wurden hinausgeführt. Anja fühlte das Lampenfieber in sich aufschießen – wenn sie jetzt versagte? Ihr war zumute wie damals, als sie in einem Krippenspiel mittun sollte und im Scheinwerferlicht plötzlich kein Wort mehr von ihrer Rolle wußte.

„So. Ja, du machst es richtig. Nun hochziehen“, hörte sie Dagmars Stimme. Sie hatte den linken Fuß im Bügel und schwang das rechte Bein über das Pferd. Und dann saß sie im Sattel, endlich im Sattel!

Die schönsten Pferdegeschichten

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