Читать книгу Die schönsten Pferdegeschichten - Lise Gast - Страница 14

Und eine schöne Aussicht

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„Hallo, ihr beiden! Was macht ihr denn hier im Garten?“

Petra und Anja sahen sich um. Aus einem der Nebengebäude, die hier in den Hang hineingebaut waren, war ein junges Mädchen herausgetreten, in Hosen und Lederschürze, ein Kopftuch ums Haar geknüpft. „Wollt ihr was kaufen, oder seid ihr zu Besuch hier?“

„Zu Besuch nur, leider“, sagte Petra, „oben sitzt noch wer. Man hat uns rausgeschmissen. Und Sie?“

„Ich bin die Schwester vom Vertreter des Doktors. Himmel, und oben ist noch ein erwachsener Besuch? Hoffentlich geht der nicht durch alle Zimmer?“

„Cornelia? Warum sollte sie? Und warum sollte sie nicht?“ fragte Petra vergnügt, der das junge Mädchen gefiel. Mit manchen Leuten ist man sofort in Kontakt, so, als kenne man sich schon ewig.

„Weil ich noch keine Betten gemacht hab’, seit ungefähr hundert Jahren. Ich bin viel lieber bei den Hündchen und kümmere mich um sie.“

Das konnten Petra und Anja nun ohne Erklärung verstehen. Petra war natürlich wieder diejenige, die das Richtige sagte.

„Kommen Sie, wir helfen Ihnen. Wo geht’s rein ins Haus, ohne daß wir oben bei den beiden stören?“

„Hier. Ich heiße Marianne, und ihr?“

Petra und Anja liefen hinter Marianne her, eine Treppe hinauf, kamen in einen Flur. Alle Türen standen offen, und es sah wahrhaftig so aus, als habe man seit hundert Jahren nicht aufgeräumt. Nicht nur ungemachte Betten waren zu sehen, sondern hochgetürmte Kleidungsstücke darauf, offene Schränke, heruntergefallene Bücher, leere Teetassen.

„Wirklich, hier könnte man mal –“, und Petra war schon dabei aufzuheben, was auf der Diele lag, und Tassen aufeinanderzustapeln. Marianne machte die Betten, und Anja hob die Zeitungen auf, die rundherum verstreut lagen. Binnen kurzem sah das erste Zimmer wieder ordentlich aus, und nun machten sie sich an das zweite.

„Ein Glück, daß ihr es nur seid“, seufzte Marianne nach einer Weile, als das Haus schon anfing, freundlicher auszusehen. Drei tüchtige Aufräumer schaffen schon einiges in kurzer Zeit. „Ich dachte nämlich, der Herr Doktor selbst wäre gekommen, um mal nach seinen Hündchen zu sehen. Na, der hätte sich schön hingesetzt! Der hält mich für eine perfekte Hausfrau, weil ich versprochen habe, meinen Bruder zu betreuen, solange er hier die Vertretung macht. Es ist seine erste Vertretung, er hat gerade erst Examen gemacht. Dabei haben mich nur die Hunde verlockt hierzubleiben. Hausfrauenarbeit ist nicht meine Stärke.“

„Die Hunde müssen schließlich auch versorgt werden, sie sind wichtiger als Staubwischen“, sagte Petra ernsthaft, „außerdem sieht man auf hellen Möbeln keinen Staub, und hier sind ja lauter helle. Hübsch eingerichtet ist es. Sie stand und sah rundum. „Ein wenig wie in Schweden, jedenfalls stell’ ich mir das so vor. Ob der Doktor mal in Schweden war?“

„Onkel Kurt? Soviel ich weiß, ein Jahr“, sagte Anja. „So, und welches Zimmer jetzt?“

„Die Wohnstube. Aber da sitzt der Besuch“, sagte Marianne und zögerte.

Und der Doktor. Er ist mit hier. Es ist Anjas Onkel“, erklärte Petra. „Macht nichts, im Wohnzimmer war es ordentlich. Ich jedenfalls hab’ nichts gesehen als die Hunde, und das geht Cornelia sicherlich genauso. Außerdem ist Cornelia nicht pingelig, sondern furchtbar nett.“

„Ein einziges Glück“, seufzte Marianne, „kommt, dann kochen wir jetzt einen Kaffee. Kaffee ist immer richtig, vor allem, wenn man in Schweden war. Da kommt doch in jedem Buch der Kaffeekessel vor. Hier geht’s zur Küche. Erzählt mal, wo ihr herkommt!“

Es war spät geworden, viel später als geplant. Onkel Kurt war aber rücksichtsvoll, hielt unterwegs an und telefonierte mit Anjas Eltern, als er merkte, daß sie wie auf Kohlen saß. Sie wären nicht verunglückt, sondern kämen, und Anjas Mutter möchte so gut sein und Petras Eltern Bescheid geben. Sie versprach es, erleichtert, daß nichts passiert war.

„Meine Mutter ist nun mal so“, erklärte Anja beschämt, „ich kann nichts dafür. Sie ängstigt sich bei jedem Anlaß und ist dann ganz außer sich.“

„Na, wenn deine Brüder erst groß sind! Da kann sie sich ja auf was freuen“, sagte Petra und riß das Papier von der Tafel Schokolade, die Onkel Kurt gekauft und ihnen nach hinten gereicht hatte. „Durch vier teilt sich’s leicht. Nußschokolade, hmmm! So einen Onkel lass’ ich mir gefallen, vor allem einen mit Hunden. Meine Mutter ist vernünftiger, ich bin ja auch nur die dritte, und meine Schwestern haben vorgearbeitet und sie abgehärtet.“

Ein bißchen erschrak sie dann aber doch, als sie im Flur von Anjas Eltern stand und an der Garderobe einen Mantel hängen sah, den sie kannte: den ihrer Mutter. Was machte denn ihre Mutter hier bei Anjas Eltern?

„Jetzt krieg’ ich den Wind von vorn“, flüsterte sie und zog den Kopf ein. „Wir hätten eben doch eher losfahren sollen. Unheil, nimm deinen Lauf!“

Als sie ins Wohnzimmer kamen, sah es aber gar nicht nach Unheil aus. Vater hatte eine Flasche Wein neben sich, Gläser standen auf dem Tisch und Salzgebäck, und die beiden Mütter, Anjas und Petras, unterhielten sich ziemlich lebhaft.

„Aha, da seid ihr ja“, begrüßte Vater die vier Ankommenden.

„Ich muß noch mal um Entschuldigung bitten, daß es so spät wurde“, setzte Onkel Kurt zerknirscht an, Cornelia aber unterbrach ihn, ehe er weitersprechen konnte.

„Bitte nicht böse sein, schuld bin ich“, sagte sie schnell und sehr eindringlich, „wirklich, nur ich! Es war so schön – bei ihm …“ Sie nickte zu Onkel Kurt hin. „… einmalig schön, eine neue Welt. Oder etwa nicht?“ Jetzt sah sie Petra und Anja an.

„Wunderbar! Beinahe so schön wie –“ Anja hielt sich erschrocken den Mund zu.

„Wie was?“ fragte Petras Mutter und lachte. „Was wolltest du denn sagen?“

„Wie im Reitverein!“ vollendete Anja halblaut, ein wenig geniert. Was würden die Eltern sagen, wenn sie nun wieder auf das alte Thema zurückkam? Hatte sie nicht oft genug erlebt, wie wenig es ihnen gefiel, daß sie immer und immer vom Reitverein schwärmte? „Ich meine, beinahe so schön wie …“

„Sag doch ruhig, was du denkst“, fiel ihr Petras Mutter fröhlich ins Wort, „sie sind nun mal alle so schrecklich gern dort, unsere Töchter ja auch. Und vielleicht auch eines Tages Werner – na, lassen wir das. So ein dummer Mutterwunsch, aber er ist nun einmal da. Bleiben wir lieber beim Thema. So gern bist du im Reitverein? Wir sprachen nämlich gerade davon, deshalb bin ich hergekommen.“

„Deshalb?“ fragte Petra erleichtert. „Nicht, weil wir so lange fortgeblieben sind?“

„Nein. Dafür konntet ihr ja nichts, und euer Fahrer und Beschützer hat von unterwegs angerufen. – Nein, ich kam aus einem anderen Grund … Ich hab’ durch Zufall erfahren – wirklich nur nebenbei, und aus diesem Grund hab’ ich noch ein Hühnchen mit Petra zu rupfen, so was erzählt man doch! –, also, ganz nebenbei erfuhr ich, daß du, Anja, uns einen großen Gefallen getan hast. Am Nikolaustag, im Reitverein, ja. Du – und Frau Dr. Nolde. Und unsereins ahnt nichts …“

„Ich hätte es Ihnen schon eines Tages erzählt“, sagte Cornelia und sah Petras Mutter an, „bei Gelegenheit, wenn es sich mal ergab. Die Gefahr war ja vorbei, passieren konnte nichts mehr. Es war halt – ich wollte nur nicht –“

„Sie sind viel zu bescheiden, Frau Nolde“, sagte Frau Hartwig heftig und herzlich und griff nach Cornelias Hand, „wie ich Ihnen danken soll, weiß ich wahrhaftig nicht. Wir sprechen noch drüber. Wenn ich mir vorstelle – o nein! Aber Anja – für Anja wüßte ich schon etwas zum Danken, nur müßten Anjas Eltern einverstanden sein …“

„Ich hab’ doch nur –“ Anja war sehr rot geworden und mochte nicht aufsehen. Ihr war es entsetzlich peinlich, daß hier über die Sache geredet wurde, als habe sie eine Heldentat vollbracht.

„Doch! Eine Tat war das schon. Du hast nicht gedacht: ‚Was geht mich das an?‘, wie viele in deinem Alter reagiert hätten, sondern gehandelt, mutig und richtig“, sagte Frau Hartwig bestimmt. „Und deshalb möchte ich dir zum Dank etwas schenken dürfen, wenn deine Eltern nichts dagegen haben. Darf ich Ihre Tochter Anja dazu einladen, daß sie Mitglied im Reitverein wird?“ fragte sie halblaut, aber sehr dringlich.

„Die Eintrittsgebühren für sie bezahlen und im ersten Jahr je eine Wochenstunde? Bitte, bitte lassen Sie mir die Freude“, bat sie und sah Anjas Eltern nacheinander an. „Sie möchte doch sicherlich gern Mitglied sein und reiten dürfen, und sie hat uns einen ganz, ganz großen Dienst erwiesen. – Oder hat es einen bestimmten Grund, daß sie es bisher nicht erlaubten?“

Mutter schüttelte jedoch heftig den Kopf.

„Aber nein. Wir wußten nur nicht, ob die Begeisterung auch anhält. So viele Kinder schwärmen heute vom Reiten, besonders Mädchen, hängen sich Pferdebilder übers Bett und denken, damit ist es schon getan. Lesen Pferdebücher und träumen sich hinein, eine Reiterin zu sein und überall die ersten Preise zu machen, in die Zeitung zu kommen …“ Anja zuckte ganz leicht, aber Petra packte sie am Handgelenk und drückte sie fest. „… und ähnliches. Da wollten wir abwarten, ob es nur ein Strohfeuer ist. Außerdem ist es teuer, und wir müssen sehen, wie wir hinkommen, gerade jetzt nach dem Umzug. Man soll ja auch den Kindern nicht jeden Wunsch erfüllen.“

„Aber ich hab’ doch sonst gar keinen!“ rief Anja jetzt, von plötzlicher Seligkeit bei der Aussicht in tiefe Angst gestoßen. Eben sah es noch so aus, als sollte ihr das Allerallerschönste im Leben zuteil werden, und da kam Mutter mit solchen Ansichten dazwischen! Als ob sie jemals anders denken würde als jetzt! „Ich hab’ nur diesen einzigen Wunsch, und schon so lange!“

„Und den möchten wir dir erfüllen“, sagte Frau Hartwig noch mal. „Bitte erlauben Sie es uns doch! Petra würde sich auch so freuen!“

„Klar! Und wenn du erst ein paar Longenstunden nimmst, kommst du vielleicht sogar mit mir in eine Abteilung“, sagte Petra eifrig. „Bei uns sind welche, die können gar nicht viel, und nur, weil sie schon lange Mitglied sind, reiten sie bei uns. Herr Anders spricht sicher mit dem Reitlehrer, wenn ich ihn drum bitte.“

„Longenstunden, was ist denn das?“ fragte Mutter jetzt, und man hörte ihrer Stimme an, daß sie überzeugt war, dies sei etwas ganz besonders Gefährliches.

Cornelia fing an zu erklären. Sie hatte eine sachlich beruhigende Art, tat so, als habe sie Mutters bebende Angst gar nicht gespürt. Petra und Anja saßen stumm dabei, die Augen aufgerissen. Vater und Mutter hörten mit Interesse zu, und Onkel Kurt ließ keinen Blick von Cornelia. Nach einer Weile seufzte Mutter auf – erst wurde also an der Longe geritten, das Pferd konnte nicht davongehen. Das war doch sehr tröstlich.

„Du, das hat sie hingekriegt“, flüsterte Petra, als sie sich verabschiedeten.

„Ja, große Klasse“, antwortete Anja ebenso leise und kniff Petra in den Arm. „Wenn ich mir vorstelle, ich darf nun mit …“

„Wunderbar, nicht?“

„Das hast du großartig gemacht, Cornelia“, sagte auch Onkel Kurt, als er sie an den Wagen brachte. Der stand unten auf dem Platz, mit weißer Mütze auf dem Dach. Es hatte wieder angefangen zu schneien. Die Siedlung sah aus wie aus einem Bilderbuch herausgesehnitten, mit der beschneiten Kirche, den weißen Hauben auf den Zaunpfählen der Gärten, dem stillen Platz. „Wann seh’ ich dich morgen? Sag schnell –“

„Ich reite um sechs. Ist dir das zu zeitig? Wenn du um sieben da bist, könnten wir zusammen frühstücken. Wollen wir, bei mir?“

„Sie duzen sich“, tuschelte Petra Anja gerade noch zu, ehe sie zu ihrer Mutter in den Wagen schlüpfte, „ich hab’ es gleich gemerkt. Gleich – bei den Hündchen. Kommst du morgen in den Reitverein? Ich bin um halb zwei drüben.“

„Aber ja, ich auch!“ rief Anja glücklich.

Und bei sich, unhörbar für die anderen, fügte sie hinzu: „Im Reitverein – morgen – und dann immer!“

Die schönsten Pferdegeschichten

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