Читать книгу Die schönsten Pferdegeschichten - Lise Gast - Страница 17

Wie manche Leute wohnen

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Dagmars Eltern wohnten wirklich „Hinter Pfui-Teufel“, wie man zu sagen pflegt. Frau Hartwig jedenfalls machte ein etwas pikiertes Gesicht, als sie den Wagen durch eine enge Kurve zog und immer noch kein Schild mit „Hinterhopfingen“ kam. Gerade hatten sie eine Brücke überquert, und der Nebel hüllte den Wagen ein, daß man mit Licht fahren mußte, und das am hellen Vormittag.

„Wo mögen die Kinder wohl in die Schule gehen?“

„Sie fahren zweiundzwanzig Kilometer“, meldete Petra von hinten, die sich immer und überall orientierte, „und der Schulbus kommt auch nicht bis ran. Ich meine, bis an Dagmars Dorf. Sie muß früh ein ganzes Stück laufen.“

„Da habt ihr es ja gut dagegen“, sagte Mutter. Anja fand das wieder einen richtigen Mutter-Ausspruch. War es nicht viel romantischer, früh durch Nacht und Nebel laufen zu müssen, als vom Schulbus an der Tür abgeholt zu werden? Petra meinte das übrigens auch.

Sie fuhren eine enge Waldstraße entlang, dann kam ein Schild: Für Kraftfahrzeuge verboten, Anlieger frei. Frau Hartwig bog ein, ein wenig zweifelnd, ob es richtig war. Petra zappelte auf ihrem Rücksitz und deutete aufgeregt auf ein Stück Weideland, um das ein doppelter Drahtzaun lief, etwa in Höhe von fünfzig und achtzig Zentimetern. Der Draht ging von Pfosten zu Pfosten und war an honigfarbenen, durchsichtigen Haltern angebracht.

„Elektrozaun, das macht man für Pferde!“ verkündete sie aufgeregt. „Wir sind bestimmt richtig!“

Wirklich, jetzt kam ein Dorf. Keins, in dem reiche Fabrikanten sich geschmackvolle Eigenheime mit schönen Gärten gebaut hatten, sondern ein richtiges Bauerndorf mit Scheunen und Ställen. Ziemlich schmutzig, fand Anja, sagte aber nichts. Petra deutete wild winkend nach links.

„Dort müssen wir einbiegen, Dagmar hat mir‘s am Telefon genau beschrieben. Ein schmaler Weg links, auf dem man nicht mehr umdrehen kann.“

„Und wie soll ich wieder rauskommen?“ fragte ihre Mutter und fuhr langsamer.

„Ach, irgendwie. Rückwärts vielleicht. Dort! Dort! Das Haus muß es sein! Seht ihr nicht, da hängen Hufeisen über der Tür!“

„Das hat nichts zu sagen, die gibt‘s jetzt überall“, sagte Vater. „Hufeisen oder alte Wagenräder oder Mistkarren und solchen Klimbim – man ‚trägt Pferd‘, das ist jetzt Mode.“

„Aber Nummer 69! Das hat Dagmar gesagt. Seht ihr nicht, dort hängt doch eine 69, aus Hufeisen gemacht!“

Wirklich, über der Tür des langgestreckten Bauernhauses rechts von der Straße hingen zwei alte, geschickt zurechtgebogene Hufeisen, dünn gewetzt, blinkend, eins wie eine Sechs aufrecht stehend und eins daneben umgekehrt, wie eine Neun. „Hier ist es. Bestimmt, hier wohnen sie!“

Frau Hartwig fuhr dicht heran und hielt. Petra und Anja purzelten mehr heraus als daß sie ausstiegen, und gleichzeitig ging die Haustür auf. Ein junges Mädchen in Reithosen und Gummistiefeln trat heraus, mit einer Hand einen großen schwarzen Hund am Halsband zurückhaltend, der vorwärts zog – die andere Hand war umwickelt.

Das mußte Dagmar sein, kein Zweifel! Sie lachte den Ankommenden entgegen, das wunderschöne rötliche Haar aus der Stirn schüttelnd.

„Grüß dich, Dagmar“, schrie Petra aufgeregt, „kann ich sie halten? Die Hündin, meine ich. Weil du doch nur eine Hand hast. Komm, laß mich –“

„Ich hab‘ noch zwei“, lachte Dagmar und übergab ihr das Halsband. „Denkst du, die andere ist ab? Nicht mal gebrochen, wie sich beim Röntgen rausstellte, nur verstaucht. Der Arzt sagte, wir brauchten keinen Gips, ein Zinkleinenverband genügte. Und ich hab’ euch herzitiert … aber eine kleine Hilfe tut mir eben doch furchtbar gut, das seht ihr ein, nicht wahr? Ich kann ja fast – fast – fast gar nicht zufassen –“, sie lachte so kläglich wie möglich. „Da, halt die Brumme, Petra, ja, so. Sie tut immer mächtig wütend, ist aber im Grunde ganz lieb. Sie ist alt und etwas wunderlich geworden, das werden Menschen ja auch manchmal. Im großen und ganzen kommt man schon mit ihr aus, und wachsam ist sie, alle Achtung!“

„Und das? Wer ist das?“ fragte Petra weiter. Ein schmaler Hund, halb groß, braun gelockt, guckte jetzt aus der offenstehenden Tür.

„Das ist die Prinzessin. Komm, Zessi, und stell dich vor. Sie ist noch jung und dumm, aber eine Seele von Hund. Ja, kannst sie ruhig streicheln, Anja – das bist du doch, oder?“ Sie lächelte Anja an.

Anja konnte sich noch nicht recht entschließen zuzugreifen. Sie war als kleines Kind einmal von einem Hund angefallen und umgeworfen worden und hatte das nicht vergessen. Zögernd trat sie näher heran.

„Du brauchst sie ja nicht gleich am Halsband zu nehmen“, sagte Vater beruhigend hinter ihr, „laß sie an dir schnuppern, dann mag sie dich sicher sogleich gern, weil du nach Pferden riechst.“

„Riech’ich denn?“ fragte Anja beglückt. Vater lachte.

„Und ob! Wie eine ganze Kavalkade, wenn du aus dem Reitverein kommst. Man riecht das schon auf zehn Meter Entfernung. Siehst du, Zessi tut dir nichts.“

„Aber ihr habt doch noch mehr Hunde?“ fragte Petra eifrig.

„Natürlich, die Willia und ihre Jungen. Sieben waren es, vier haben wir noch. Ich zeige sie euch gleich. Aber erst –“

„Erst die Pferde!“

„Nein, erst kommen Sie doch bitte herein, ich hab’ Kaffee gekocht“, sagte Dagmar zu den drei Erwachsenen, „Kaffeekochen kann man auch mit einer Hand. Aber sonst ist eben doch manches zu tun, was ich einhändig nicht so recht hinkriege. Meine beiden Schwestern sind mit meinen Eltern verreist, wissen Sie –“ Sie schloß die Haustür hinter sich. „Hier, legen Sie doch bitte ab, denn ein bißchen Zeit haben Sie doch hoffentlich mitgebracht?“

Es klang herzlich bittend. Mutter fand Dagmar sehr sympathisch – gleichzeitig bescheiden und vernünftig.

„Nicht sehr viel, aber etwas“, sagte sie und schlüpfte aus ihrem Mantel. „Ich habe zu Hause zwei Babys, und es war nicht leicht, eine Nachbarin zu finden, die sie für einige Zeit zu sich nimmt. Zwei auf einmal will niemand so sehr gern übernehmen.“

Dagmar hatte ihr den Mantel abgenommen. Vater sah sich aufmerksam um. Ja, umsehen mußte man sich hier, bereits der Flur war so, daß sich das Umsehen lohnte.

Ein altes Haus, neu gerichtet. Die Decke war mit hellem Holz getäfelt, mitten im Flur aber stand ein alter Balken, der diese Decke trug, richtig knorrig und voller schräg laufender Risse. Aber man sah, daß er ordentlich mit einer scharfen Bürste bearbeitet worden war, so daß man ihn anfassen und streicheln konnte, ohne sich Splitter einzuziehen. Er lief oben in drei Teile auseinander, wie eine Geburtsrune, und stützte die Decke. Die Treppe, die links davon in den oberen Stock führte, war auch aus so altem, nachgedunkeltem Holz; sie besaß kein Geländer, aber an ihrer Seite lief ein fast armdicker Strick, an dem man sich festhalten konnte. Der Fußboden des Flures bestand aus hellen Klinkern, rechts hingen Mäntel und Jacken an unregelmäßig eingefügten Holzhaken, auch ein Waldhorn und ein Feldstecher in ledernem Etui. Eine Tür stand auf; sie führte ins Wohnzimmer.

Ach, das Wohnzimmer! Sogar Petra und Anja, die eigentlich nur auf Pferde und Hunde und anderes Getier warteten, merkten, daß hier eine besonders glückliche Hand am Werk gewesen sein mußte, als man aus einem alten Bauernhaus einen Wohnsitz nach heutigem Geschmack machte. Wunderschön war es geworden, mit weißen Wänden und schwarzen Balken an der Decke und einem Kaminplatz mit Rundbank, die etwas tiefer lag, so daß man auf Stufen hinuntersteigen mußte. Dort saß man sicherlich herrlich, wenn das Feuer flackerte und draußen der Sturm heulte. Die Möbel waren alt, meist dunkel, sicherlich ererbt oder zusammengesucht; an der einen Wand stand ein schöner bunter Bauernschrank.

„Och, hier gefällt mir’s“, seufzte Petra unwillkürlich. Sie war noch nie bei Dagmar gewesen.

Diese nötigte ihre Gäste in ein zweites Zimmer, das an das erste anschloß und fast ganz ausgefüllt war von einem riesenhaften Tisch. Hier mochte früher das Gesinde gesessen und gegessen haben, als es noch Gesinde gab. Dagmar hatte den Tisch hübsch gedeckt mit dunkelroten Bechern und ein paar Kerzen in der Mitte, auch die Kaffeekanne stand schon parat auf einem schmiedeeisernen Stövchen, aus dem eine Wärmekerze herausschimmerte. Die Angekommenen setzten sich, und die Unterhaltung ging gleich los.

Dagmars Eltern waren mit den zwei jüngeren Schwestern nach Wien gefahren, zu einem berühmten Arzt, der die kleinste untersuchen sollte.

„Sie ist nicht meine richtige Schwester, sondern ein Waisenkind aus Korea. Meine Eltern haben sie adoptiert“, erzählte Dagmar. „Wir haben sie seit drei Jahren. Aber irgend etwas stimmt nicht bei ihr, und deshalb sind meine Eltern nach Wien gefahren. Es soll ein sehr guter Psychologe sein, zu dem sie sie bringen wollen, vielleicht kann er ihr helfen. Wir haben sie sehr lieb.“

Später führte sie ihren Besuch auf dessen Wunsch durch das ganze Haus. War schon der untere Teil wunderschön, so konnte man im oberen, wo die drei Mädchen wohnten, von einem Entzücken ins andere fallen. Die Räume dort waren nicht durch Türen voneinander getrennt, sondern gingen ineinander über; unter schrägen Wänden, die meist getäfelt waren, standen bunt zugedeckte Betten, mal hier eines und eines dort, bäuerliche Kommoden dabei, drehbare Lampen, bei denen man, unterm Fenster sitzend, lesen konnte, die aber auch eine Eisenbahnanlage beleuchteten, die die Kinder durch alle Räume hindurch auf der Erde aufgebaut hatten. Man mußte vorsichtig darüber wegsteigen und sich auch immerzu wegen schräger Balken bücken, auf denen buntes Spielzeug stand, Schwedenpferdchen, weiß und blau und rot, oder an denen die Kinder bunte Wimpel und hübsche Pferdebilder angepinnt hatten. Petra war begeistert von der Eisenbahn.

„Oh, mit der spielen wir auch!“ sagte sie sofort. „Abends, wenn die Pferde und Hunde versorgt sind und –“

„Ich denke, Eisenbahn spielen nur Jungen?“ fragte Mutter verwundert. Vater lachte.

„Heutzutage, da Mädchen in Hosen herumlaufen und Jungen lange Locken tragen, gibt’s diese Unterschiede nicht mehr. Am liebsten würde ich selber mitspielen.“ Er kniete schon am Transformator und schaltete ihn ein. Ein rotes Licht flammte auf, und aus dem Nebenraum kam eine winzige Lok angeschnauft, die nur darauf gewartet zu haben schien, lostuckern zu dürfen. Und nun war Vater nicht mehr wegzukriegen; er mußte noch den anderen Zug laufen lassen … Mutter stand ein bißchen wie auf Kohlen neben ihm, weil sie immer an ihre Jungen dachte. Frau Hartwig lachte und machte Petra ein Zeichen: Komm, wir lassen ihn spielen und gehen inzwischen zu den Pferden! Denn sie merkte natürlich, daß es die Mädchen dorthin zog.

Dagmar verstand den Wink und ging voran, die Treppe hinunter, und dann kamen sie in einen Raum, der früher wohl die Milchkammer gewesen sein mußte. Von dort aus ging es in den Stall. Schon der vertraute Geruch hätte einen geleitet.

Der Stall war groß und hell, enthielt Laufboxen, über deren Bretterwände die Köpfe der Pferde guckten. Sie reckten sich und bewegten die Lippen, weil sie hofften, etwas zugesteckt zu bekommen, und wieherten leise und vertraut. Man hörte das Wiehern kaum, denn es wurde übertönt von einem unausgesetzten Blaffen, einem „Wauwau“ und „Weffweff“, das einem in den Ohren gellte. Petra rannte dem Radau entgegen – da guckten über eine etwas niedrigere Bretterwand vier schwarze Köpfe mit schwarzen Nasen, blinkenden Augen, einer wie der andere, und rechts und links neben jedem Kopf sah man zwei dicke, merkwürdig unförmige Pfoten, schwarz mit weißen Tupfen. Wenn ein junger Hund große Pfoten hat, so kann man mit Sicherheit annehmen, daß er groß und wahrscheinlich auch dick werden wird. „Nach diesen Pfoten“, schrie Petra entzückt, als Dagmar ihr das erklärt hatte, „werden aus diesen vier Jungen elefantengroße Riesenhunde! So groß, daß man darauf reiten kann!“ Sie maß die vermutliche Höhe vom Boden her ab. „O Dagmar, wie schön! Dann haben wir sieben Hunde, einer schöner als der andere.“ Sie hatte die Mutter der vier Sprößlinge entdeckt, die ruhig an der Schmalseite der Box lag und zu ihnen aufblickte. „Drei erwachsene und vier junge, wie wunderbar! Hat sie die vier auf einmal gekriegt?“

Das war natürlich eine dumme Frage, aber Petra konnte in dem Tempo, in dem sie lebte, oft nicht überlegen. Dagmar lachte.

„Vier? Sieben! Sieben waren es. Und so dumm ist es gar nicht gefragt, es ging gar nicht auf einmal, ich habe zwölf Stunden bei ihr gesessen. Die andern drei sind schon verkauft.“

„Wie schade“, sagte Anja. „Aber das muß man wohl. Ich hab’ mal gehört, man darf einer Hundemutter nur sechs lassen. Wenn man ihr mehr läßt, werden sie alle miteinander mickrig. Die überzähligen muß man zu einer Amme bringen oder mit der Flasche aufziehen.“

„Eigentlich ja“, gab Dagmar zu. „Aber wir haben ihr alle sieben gelassen, sie waren alle gleich schön und stark. Nun bekommen wir eben keine Papiere für sie. Aber so schöne Hunde kann man auch ohne Papiere verkaufen. Die Leute, die sie kaufen, dürfen nur nicht mit ihnen züchten.“

Gerade kam Vater in den Stall.

„Hier seid ihr“, wunderte er sich, „na ja, ich hätte es mir ja denken können. Auf einmal wart ihr weg und ich allein mit meiner Eisenbahn. Und dann fand ich mich oben gar nicht zurecht. Das ist ja das reinste Labyrinth, ich kam und kam nicht an die Treppe. Schließlich hab’ ich eine kleine Tür gefunden, und als ich die aufmachte, stand ich im Freien. Auf einem winzigen, ein wenig vorspringenden Dachsims. Ja, Anja, du kannst es glauben! Und weil dort eine kleine freundliche Leiter hinunterführte, kletterte ich also hinab und kam von außen an den Stall. Ihr Haus ist wirklich etwas Besonderes, Dagmar!“

„Ach, Sie haben unsere Feuerleiter entdeckt“, sagte Dagmar und lachte. „Die haben wir gebaut, weil es da oben so verwinkelt ist. Cosy, unsere kleine Beinahe-Schwester, hatte die Idee. Sie meinte, wenn man innen nicht hinunterfindet, müßte man draußen etwas einrichten, um ausreißen zu können, wenn etwa einmal Feuer ausbräche. Unser Vater hörte sich das an und überlegte einen Vormittag lang, und dann ließ er die Luke und die Leiter bauen.“

„Und wie man sieht: Ich fand die Treppe wirklich nicht, obwohl kein Feuer ausgebrochen war“, sagte Vater. „Es hat also sehr wohl seine Berechtigung, dies so einzurichten.“

„Das müssen wir auch sehen! Da müssen wir auch runterklettern!“ rief Petra und zog Anja mit sich, aus dem Stall heraus und an die Längsseite des Hauses. Dort fanden sie wirklich das Leiterchen, und schon ging es in affenartiger Geschwindigkeit hinauf. Mutter, die etwas später kam, sah gerade noch Anjas Beine verschwinden.

„Wenn sie aber nun –“

„Du malst dir natürlich jetzt aus, daß sie nachts oder bei dickem Nebel zu der kleinen Tür herausfallen und sich Hals und Beine brechen“, sagte Vater belustigt und hakte Mutter unter, um sie ins Haus zu führen. „Denk doch ein einziges Mal daran, daß auch kleine Mädchen lieber mit ungebrochenen Beinen und Armen herumspringen und sich also schon ein bißchen in acht nehmen werden. Nicht wahr, Dagmar? Von Ihrer Leiter ist noch keiner gepurzelt?!“

Er zwinkerte Dagmar zu. Die lachte.

„Nein, wahrhaftig. Und Anja und Petra sind ja schon groß. Als Hedi, meine richtige Schwester – sie ist vier Jahre jünger als ich – zehn war, also ungefähr so alt wie Anja, fuhr sie uns jeden Tag den Mist weg. Ganz selbständig. Wir packen den täglich anfallenden Mist auf einen Wagen, der am Stallausgang steht, und vor den spannte sie ganz allein unsere Lotte, fuhr den Mistwagen weg, lud ihn ab und brachte ihn leer zurück. Einmal ging ihr die Stute durch, es passierte gottlob nichts, nur die eine Deichsel war verbogen, als Lotte endlich hielt und wir nachkommen konnten. Von da an aber sagte Vater, wir sollten jetzt den Mist gemeinsam wegfahren, es wäre doch sicherer. Ich meine also: Mit zehn Jahren ist man vernünftig genug, nicht nur selbständig arbeiten zu können, sondern sich auch in acht zu nehmen. Hedi war sehr geschickt abgesprungen, ebenso, wie Vater uns das erklärt hatte. Da werden die beiden ja auch aufpassen, daß sie nicht von der Leiter fallen. Daß ich diesen blöden Knacks gekriegt habe“ – sie lachte und hob die verbundene Hand ein wenig an –, „das war einfach Pech. Ich bin in der Küche ausgerutscht und hab’ mich auf eine dumme Art abgestützt, als ich auf dem Hosenboden landete. So was kann jedem immer und überall passieren. Küchen sind in jeder Wohnung, dazu braucht man nicht aufs Dach zu klettern.“

Das mußte Mutter zugeben.

„Aber ihr klettert trotzdem nicht –“, setzte sie an, brach dann aber schnell wieder ab. Was nützte es, den Kindern Vorschriften zu machen, wenn man sie für viele Tage hier allein ließ. Mutter kam die eine Woche, die vorgesehen war, wie eine Ewigkeit vor. Anja war noch nie so lange von ihr fort gewesen.

„Ich pass’ schon auf. Sie können unbesorgt sein“, tröstete Dagmar sie halblaut. „Ich bin es doch gewöhnt, auf Jüngere aufzupassen. Bei jeder Gelegenheit heißt es: du als Älteste … Das ist nun wieder der Tick meiner Eltern. Alles kommt immer auf mich.“

„Wie man sieht, haben demnach alle Eltern einen Tick“, sagte Frau Hartwig vergnügt. „Auch solche, die ein derartig schönes Haus bauten. Ja, Dagmar, Ihr Zuhause ist wunderschön, und ich gönne es Petra, daß sie eine Woche hier wohnen darf. Nur lassen Sie sie nicht gar zu sehr verwildern, bitte! Einmal am Tag waschen ist vielleicht nicht übertrieben …“

„O nein. Und – sie sind ja zum Helfen gekommen“, sagte Dagmar ernsthaft. „Die vielen Tiere machen eine ganze Menge Arbeit, so daß einem die Flausen vergehen. Es wird schon alles gut werden, Sie können ja immer mal anrufen, ob die Mädchen noch leben“, setzte sie lachend hinzu.

Dies war der Augenblick, da Mutter die Neueinrichtung des Telefons segnete, über das sie bisher immer nur geseufzt hatte. Ja, sie würde anrufen, jeden Abend …

Die schönsten Pferdegeschichten

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