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Ich will mich ja nicht einmischen, aber

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Am Telefon passiert es eher selten, weil außer mir keiner zuhört, aber wenn die Kinder dabei sind, untergräbt meine Mutter gern mal meine Autorität.

O nein, das tut sie nicht, um mich zu ärgern. Hoffe ich jedenfalls. Wenn es ihr Ansinnen wäre, würde es allerdings sehr gut funktionieren.

Ich bemühe mich ja seit Anbeginn meiner Mutterschaft, eine einigermaßen klare Linie in der Erziehung meiner Kinder zu fahren. Das gelingt mir – wenn man meinem Mann glauben darf – nicht wirklich gut. Ja, ich gebe zu, ich bin großzügig, inkonsequent und viel zu verständnisvoll. Zumindest für die strengen Anforderungen meines Mannes, der da gerne mehr Linie drin hätte, und das behauptet er sehr hartnäckig, obwohl die Kinder sich freuen, wenn ich mal abends weggehe und er mit der Betreuung dran ist. O-Ton William: Bei Papa dürfen wir alles! Aber sag’s ihm nicht!

Sehen Sie?! Erziehung ist Ansichtssache. Und ich bemühe mich sehr, möchte aber zu meiner Verteidigung anmerken, dass ich diesbezüglich nicht wirklich die besten Vorbilder gehabt habe, denn meine Eltern haben mich mit bedingungsloser Liebe überschüttet, mir alle Optionen offen gelassen und immer alles verstanden. Zumindest die Dinge, die ich ihnen erzählt habe. Ich habe mich also bezüglich der nachhaltigen Strenge in der Erziehung um beinahe hundert Prozent gesteigert. Außerdem bin ich doch auch ohne klare Linie ganz okay geworden, oder etwa nicht?

Aber selbst ich sehe im Nachhinein, dass es vermutlich kein Fehler gewesen wäre, mir das eine oder andere Mal etwas engere Leitplanken und weniger Ausfahrtmöglichkeiten zu bieten. Sowohl schulisch, als auch … sonst. Sagt sogar meine Mutter, und die gibt sonst nie irgendwas zu.

Wenn ich nun aber in ihrer Anwesenheit versuche, es besser zu machen, fällt sie mir in den Rücken. Jedes einzelne Mal.

Und zwar, in dem sie jede – absolut jede – meiner Entscheidungen lautstark infrage stellt und meine Position untergräbt, was meine Kinder sehr witzig finden, sofort durchschauen und für ihre Zwecke nutzen. Sobald ich etwas entscheide, kommt meine Superoptimierungsmutter und hat eine viiiiiiiieeeel bessere Idee, will wissen, ob ich mir das wirklich gut überlegt habe, ob es überhaupt sein muss und ob es, genauer betrachtet, zielführend ist.

Ihren eigenen Lösungsansatz trägt sie vor, während meine Kinder feixend danebenstehen und ich meine Hände zu Fäusten balle. In den Hosentaschen, damit es keiner sieht.

Denn wer muss es später ausbaden?

Wer hat die übermüdeten Kinder?

Die Diskussionen?

Wer muss sich anhören, dass er (vielmehr sie) wohl eine viel schönere Kindheit hatte mit einer wirklich liebenden Mutter, nicht so wie meine Kinder, die immer nur im Haushalt helfen müssen und nie irgendwas dürfen?

Na?

Ich.

An all das denkt meine Mutter nicht, wenn sie ihr Plädoyer hält. Die Einleitung ist übrigens immer gleich und beginnt mit: »Also, ich will mich ja nicht einmischen, aber …«

Zum Beispiel neulich, als meine Mutter zum Abendessen bei uns war:

»Also, Lucinde, ich will mich ja nicht einmischen, aber jetzt lass sie doch morgen einfach zu Hause, wenn sie sich nicht gut fühlt!«

»Mama, ich lass sie doch zu Hause, wenn sie sich nicht gut fühlt – und FIEBER hat, oder wenigstens SCHNUPFEN, HUSTEN, HALSSCHMERZEN oder irgendwas, das auf eine ERKRANKUNG hinweist, die weder was in der Schule zu suchen hat, noch vorbei ist, sobald das Kind morgen früh mal richtig wach ist!«

»Aber man braucht doch kein Fieber, damit es einem schlecht geht! Man kann sich auch bei erhöhter Temperatur schon elend fühlen.«

»Mama, es ist jetzt beinahe zehn Uhr abends, und dieses Gefühl kam gerade eben. Ganz plötzlich. Ich sage dir, man kann sich auch elend fühlen, weil man den ganzen Tag mit Freunden unterwegs war und danach auf dem Laptop heimlich Serien geschaut hat und einem dann plötzlich einfällt, dass morgen ein Vokabeltest ist.«

»Also, nein. Das würden die doch nie machen. Oder, Kinder? Das würdet ihr doch nie machen?«

Natürlich NICHT. Einhelliges Kopfschütteln. Gemeinschaftliches unschuldiges Kinderlächeln. Na wartet.

»Mama, ich kenne meine Kinder mittlerweile.«

»Ach komm schon, Lucinde. Schau sie dir doch an: Die Augen sind ganz glasig!«

Das kommt vom Serienschauen.

»Und fühl mal, ihre Stirn! Ganz warm!«

Ja, 37,3 Grad Celsius ist ja auch nicht gerade kurz vor dem Gefrierpunkt.

»Und außerdem: Was nützt es dir, wenn du sie in die Schule schickst und sie die Arbeit verhauen? Geht es dir dann besser?«

Nichts und nein. Oder vielleicht doch ja? Immerhin ist es ja vermutlich Teil meines Erziehungsauftrages, meinen Kindern beizubringen, ihre Aufgaben pflichtbewusst zu erledigen, und wenn sie das nicht hinkriegen, wenigstens die Konsequenzen zu tragen.

»Ach, Lucinde, deine Kinder sind so selten krank! Ein Tag zu Hause ist doch tatsächlich nicht so schlimm.«

Nicht? Aber … und der Erziehungsauftrag?

»Wenn du mich fragst, kommt es doch nur darauf an, dass sie ihre Vokabeln gut können. Und spätestens morgen Mittag ist das sicher der Fall. Nicht wahr, Kinder?«

»Na klar, Oma Moses!«

»Siehst du?«

Was soll ich sagen? Ich sehe vor allem sehr zufriedene Oma- und Kindergesichter. Und das noch entspannte von meinem Mann, der gerade eben nach Hause gekommen ist und von seinen Kindern freudig begrüßt wird. Meine Mutter zieht sich schnell Jacke und Schuhe an und verabschiedet sich mit einem verschwörerischen Augenzwinkern. Oh oh. Es wird nicht leicht werden, meinem Mann zu erklären, dass morgen vermutlich kein Wecker klingeln wird. Wie hat sie noch mal argumentiert? Es klang selbst in meinen Ohren völlig in Ordnung. Ach, ich finde, Kindererziehung ist wirklich nicht leicht. Vor allem nicht, wenn man sich zu dritt daran versucht.

Mama im Unruhestand

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