Читать книгу Mama im Unruhestand - Lucinde Hutzenlaub - Страница 26
ОглавлениеWeihnachten
Dass Geburtstage im Hause meiner Eltern nicht besonders hoch im Kurs standen, ist das eine. Aber auch andere große Feste wie beispielsweise Weihnachten waren für sie nie etwas, das sie gerne zu Hause gefeiert haben. Oder überhaupt. Am liebsten waren sie auch dann unterwegs, wenn alle anderen Familien sich zahlreich und freudestrahlend um liebevoll geschmückte Tannenbäume versammelt haben. Ich war immer neidisch und hatte das Gefühl, etwas zu verpassen. Woraus sich diese Aversion bei meinen Eltern entwickelt hat, kann ich überhaupt nicht nachvollziehen, denn beide kommen aus großen Familien, und nachdem ich selbst eine habe, scheint mir das doch eine ideale Zeit, um ebendieses zu zelebrieren. Obwohl, seitdem ich selbst schon das eine oder andere Weihnachtfest organisiert, vorbereitet und dafür gesorgt habe, dass alle anderen glücklich sind, könnte ich mir durchaus vorstellen, dass vielleicht doch genau das der Grund war, warum sie das nicht mehr wollten.
Jedenfalls waren wir an Weihnachten in meiner Kindheit nun mal nur zu dritt und dementsprechend unabhängig. Keine Großeltern, Tanten, Onkel, Cousins und Cousinen, die gerne das Fest der Liebe mit uns verbringen wollten, und ein eher eingeschränktes Bedürfnis meiner Mutter, Plätzchen zu backen (»Die dann doch keiner isst – oder alle dein Vater, und das bekommt ihm gar nicht!«) oder gar ein Festmahl zuzubereiten. Wir haben Weihnachten immer in einer Pension im Kleinwalsertal verbracht, direkt an der Talstation vom Walmendingerhorn, mit lauter ebenfalls feierunwilligen Menschen, die meist aus Fernsehkollegen meines Vaters bestanden, weil die Pension einem befreundeten Ehepaar gehörte, das ebenfalls beim SDR arbeitete. Kinder gab es keine. Außer mir. Sonst hätten meine Eltern vielleicht auch ganz auf Weihnachten verzichtet. So aber kamen sie aus dieser Weihnachtsnummer nicht völlig raus. Außerdem war die Köchin auf meiner Seite.
Die Pension war in einem wunderschönen alten Walserhaus untergebracht, es gab dort einen – ach, was sage ich: zwei! riesige Weihnachtsbäume, die ich mit der Köchin schmücken durfte. Ich durfte außerdem beim Backen helfen und konnte, aufgrund unserer Freundschaft, auch verhindern, dass ich am 24. Dezember Karpfen essen musste. Wir beide aßen nämlich Käsespätzle. So. Und ich bekam den Schokopudding nicht nur mit einem winzigen Sahnetuff, wie alle anderen, nein, auf meinem war ein schönes, schnörkeliges Sahne-L wie Lucinde.
Die Gastgeberin (eine sehr kluge Rechtsanwältin) spielte mit mir stundenlang Elfer raus! und mogelte so offensichtlich, dass selbst ich es bemerkte und jedes Mal gewann. Mein Selbstwertgefühl steigerte sich durch diese Elfer-raus!-Abende enorm. Denn mein Vater ließ mich nie gewinnen. Egal bei welchem Spiel.
An Heiligabend fuhren wir alle bis mindestens um drei Uhr nachmittags Ski, duschten dann heiß, machten uns schön und ließen uns verwöhnen. Irgendwann, als ich schon ein bisschen älter war, so ungefähr 17, baute ich einmal auf der letzten Abfahrt noch eine Skihütte und diverse Wodka Feige ein. An dieses Weihnachten erinnere ich mich nicht mehr ganz so gut. Aber es war wohl sehr lustig. Sagen alle.
In meiner Vorstellung war das alles trotzdem irgendwie falsch und meine Sehnsucht nach einem Oma-Opa-Vater-Mutter-Kind-Weihnachten ungebrochen. Wenn ich nur damals schon gewusst hätte, wie gut mein Weihnachten in Wirklichkeit war … Aber dazu musste ich es eben erst mal ausprobieren.
Nachtrag:
Ich habe mich wirklich sehr bemüht, Weihnachten meiner eigenen Idealvorstellung anzugleichen, seitdem ich selbst Kinder habe. Ich backe Plätzchen wie verrückt, der Baum biegt sich unter Schmuck und Kerzen, wir gehen in die Kirche, das Essen ist üppig, wir packen andächtig und nacheinander unsere Päckchen aus, nachdem die Kinder zusammen vor dem brennenden Kamin musiziert haben, lieben uns und sind dankbar, dass wir uns alle haben.
Ernsthaft? Das haben Sie geglaubt? Leider entspricht das zwar nach wie vor meinem Idealbild, aber leider ü-ber-haupt nicht der Realität. In Wirklichkeit und ganz unter uns sehne ich mich manchmal nach diesen Weihnachtsfesten im Kleinwalsertal, mit diesen vielen unbekannten Menschen, dem Sahne-L, das jemand auf meinen Nachtisch zaubert. Das Gras ist eben doch immer viel grüner – oder in diesem Fall der Schnee viel weißer auf der anderen Seite der Berge.