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2.1.3 Unterscheidung von grammatikalischem und lexikalischem Aspekt

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Das Verhältnis von lexikalischem und grammatikalischem Aspekt ist Mittelpunkt zahlreicher Debatten. Vertreter des unidimensionalen Ansatzes nehmen an, dass grammatikalischer und lexikalischer Aspekt auf semantischer Ebene dasselbe ausdrücken (vgl. De Swart 1998; Verkuyl 1972, 1999). Befürworter des bidimensionalen Ansatzes hingegen sind der Meinung, dass lexikalischer und grammatikalischer Aspekt getrennt betrachtet werden müssen und unterschiedliche aspektuelle Informationen kodieren (vgl. Depraetere 1995; Smith 1997, 2012). Im Folgenden wird ein Überblick über die verschiedenen Positionen geliefert.

Depraetere (1995) nimmt das imperfective paradoxon (vgl. Dowty 1979: 133–138) als Ausgangspunkt, um die Wichtigkeit der Unterscheidung von (A-)Telizität und (Un-)Begrenztheit (en. (un)boundedness) zu betonen. Sie definiert beide Konzepte folgendermaßen:

(A)telicity has to do with whether or not a situation is described as having an inherent or intended endpoint; (un)boundedness relates to whether or not a situation is described as having reached a temporal boundary (Depraetere 1995: 2–3).

Demnach kann eine Situation als begrenzt oder unbegrenzt dargestellt werden, und zwar unabhängig davon, ob sie einen inhärenten Endpunkt besitzt. Das Prädikat write a nursery rhyme in Beispielsatz 13 ist zwar telisch, wird aber durch die Verwendung der progressive-Form als unbegrenzt dargestellt:

(13) She is writing a nursery rhyme. (telisch, unbegrenzt)
(Beispielsatz aus Depraetere 1995: 3)

Auch Smith (2012: 2581) unterscheidet zwei Arten aspektueller Information, die zwar miteinander interagieren, aber voneinander unabhängig sind. Die Situation selbst hat ihre inhärente Semantik, welche durch den grammatikalischen Aspekt semantisch sichtbar gemacht werden kann. Grammatikalischer Aspekt operiert gewissermaßen auf der inhärenten Semantik der Verbalphrase. Im Gegensatz zu Vendlers (1957) Zeitschemata verwendet Smith eine fünfteilige Gliederung und spricht von sogenannten Situationstypen,1 die vom Verb und dessen Argumenten bestimmt werden. Die aspektuelle Grundbedeutung dieser Situationstypen kann durch zusätzliche Information, wie beispielsweise Adverbien oder grammatikalische Morpheme, geändert werden (vgl. Smith 2012: 2585–2586).2 Dieses Phänomen, das in der Literatur als situation type shift oder coercion bezeichnet wird, wird nach einem kurzen Überblick über Vertreter des unidimensionalen Ansatzes näher beschrieben. Diese sind der Meinung, dass grammatikalischem und lexikalischem Aspekt dieselben aspektuellen Konzepte zugrunde liegen (vgl. De Swart 1998; Verkuyl 1972, 1999). Im Unterschied zu Depraetere (1995) unterscheiden sie also beispielsweise nicht zwischen (A-)Telizität und (Un-)Begrenztheit.

Verkuyl (1999) geht von zwei aspektuellen Grundbedeutungen aus, die er als durativ und terminativ bezeichnet.3 Für die aspektuelle Interpretation eines Satzes schlägt er eine kompositionelle Analyse vor. Ein Verb kann prinzipiell den Wert [+/- ADD TO] haben, je nachdem ob es statisch [- ADD TO] oder dynamisch [+ ADD TO] ist. Im ersten Schritt verbindet sich das Verb mit seinen Argumenten, die wiederum die Werte für eine spezifische oder unspezifische Quantität ausdrücken, das heißt, die Werte [+/- SQA] haben können. Ist das Verb statisch, so ist der [SQA]-Wert der Argumente belanglos und der aspektuelle Wert des Satzes bleibt durativ. Wenn das Verb hingegen dynamisch ist, hängt die Interpretation von den entsprechenden [SQA]-Werten ab. Damit ein Satz als terminativ interpretiert werden kann, müssen sowohl [ADD TO]- als auch [SQA]-Werte positiv sein. Dies wird von Verkuyl (1999: 131) als plus principle bezeichnet. Aus dieser kompositionellen Analyse ergeben sich drei grundlegende aspektuelle Kategorien, die in Tabelle 4 zusammengefasst sind:

Nominalphrase [+/- SQA] [- SQA] [+ SQA]
Zustand Prozess Ereignis
Verb [- ADD TO] [+ ADD TO] [+ ADD TO]

Tab. 4:

Dreiteilige Klassifikation der Aspektkategorien nach Verkuyl (1999: 131)

De Swart (1998: 351) übernimmt eine solche dreiteilige Taxonomie und unterscheidet ebenfalls zwischen den Aspektklassen der Zustände (statisch, atelisch), der Prozesse (dynamisch, atelisch) und der Ereignisse (dynamisch, telisch). Auf den Eventualitäten (= ein Überbegriff für unterschiedliche Situationen), aus denen sich durch eine entsprechende Klassifizierung die drei Aspektklassen ergeben, operieren Tempus- und Aspektoperatoren, und zwar in der Reihenfolge, die durch die nachstehende syntaktische Struktur wiedergegeben wird: [Tempus [Aspekt* [Eventualitätsbeschreibung]]] (vgl. De Swart 2012: 765).4

Prinzipiell reicht die Aspektklasse der Eventualitätsbeschreibung aus, um die Aspektualität eines Satzes adäquat zu interpretieren. Folglich sind in den Sätzen 14 und 15 keine Aspekt-Operatoren notwendig. Der Vergangenheits-Operator PAST und die Aspektklasse allein sind ausreichend, um die Situation adäquat zu deuten (vgl. De Swart 1998: 352–353):

(14) Anne was ill. (Zustand, unbegrenzt)
[PAST [Anne be ill]]
(15) Anne wrote a letter. (Ereignis, begrenzt)
[PAST [Anne write a letter]]

Aspekt-Operatoren kommen dann zum Einsatz, wenn die in der Aspektklasse kodierte aspektuelle Information neu interpretiert werden muss. Wenn der Sprecher die Information in Satz 15 beispielsweise in einer progressiven Lesart darstellen möchte, muss der inhärente Endpunkt der Situation aufgehoben werden. Die dafür notwendige Änderung der Aspektklasse wird durch den Aspekt-Operator PROG durchgeführt. Er erzeugt einen Wechsel von einem Ereignis zu einem Prozess:

(16) Anne was writing a letter.
[PAST [PROG [Anne write a letter]]]

Solche aspectual shifts können entweder durch explizite Aspekt-Operatoren oder durch einen kontextuell erzwungenen Re-Interpretationsprozess vonstattengehen. Letzteres nennt De Swart coercion:

The view of coercion as an eventuality description modifier implies that coercion is of the same semantic type as an aspectual operator […]. The main difference between grammatical operators and coercion is that coercion is syntactically and morphologically invisible: it is governed by implicit contextual reinterpretation mechanisms triggered by the need to resolve aspectual conflicts (De Swart 1998: 360; Hervorhebung durch den Verfasser).

Im Unterschied zu Aspekt-Operatoren ist dieser als coercion bezeichnete kontextuell erzwungene Re-Interpretationsprozess syntaktisch und morphologisch unsichtbar. Um ihn in der syntaktischen Struktur sichtbar zu machen, führt De Swart unterschiedliche coercion-Operatoren ein (z. B. Ceh), deren Funktionsweise anhand des folgenden Beispiels veranschaulicht wird:

(17) John played the sonata for eight hours.
[PAST [FOR eight hours [Ceh [John play the sonata]]]]

Die Beschreibung der Situation John play the sonata, bei der es sich um die Aspektklasse Ereignis handelt, führt durch die Verbindung mit der Adverbialphrase for eight hours zu einem Konflikt aspektueller Werte, da for-Adverbialphrasen nur mit den Aspektklassen der Zustände oder der Prozesse kombiniert werden können (vgl. ebd.: 356). Durch die Verwendung des coercion-Operators Ceh wird die Aspektklasse Ereignis zu einer homogenen Situation5 uminterpretiert, was die Verbindung mit der Adverbialphrase for eight hours möglich macht. Salaberry (2008: 63) kritisiert an De Swarts Argumentation, dass nicht ganz klar ist, warum es sich in Beispiel 17 um einen impliziten coercion-Prozess (Ceh) und nicht um die Anwendung eines expliziten Aspekt-Operators (for eight hours) handeln sollte. Trotz dieses durchaus berechtigten Einwandes stellt De Swarts Analyse insofern einen wichtigen Beitrag dar, als sie eine Lösung für die Interaktion von lexikalischen, grammatikalischen sowie pragmatischen Elementen vorschlägt und die Wichtigkeit des Kontextes für die aspektuelle Interpretation eines Satzes betont.

Die Kernaussage dieses Kapitels ist, dass grammatikalischer und lexikalischer Aspekt miteinander interagieren. Im Laufe der Arbeit wird diesbezüglich von prototypischen und nicht prototypischen Kombinationen gesprochen. Der semantische Prototyp von telischen Prädikaten wie auch von perfektivem Aspekt ist, dass sie Situationen gewissermaßen begrenzen. Bei statischen Prädikaten und imperfektivem Aspekt ist genau das Gegenteil der Fall. In diesen beiden Kombinationen von lexikalischem und grammatikalischem Aspekt wird demnach ein sehr ähnlicher semantischer Prototyp sowohl auf lexikalischer als auch auf grammatikalischer Ebene ausgedrückt. Man spricht daher auch von prototypischen Kombinationen. Im Falle der Kombination von statischen Prädikaten und perfektivem Aspekt bzw. von telischen Prädikaten und imperfektivem Aspekt trifft Gegenteiliges zu und man spricht von nicht prototypischen Kombinationen (vgl. McManus 2011: 17, 2013):

statisch telisch
perfektiv nicht prototypisch prototypisch
imperfektiv prototypisch nicht prototypisch

Tab. 5:

Prototypische und nicht prototypische Kontexte

Im nächsten Kapitel wird ein System vorgestellt, das es ermöglicht, Tempus- und Aspektsysteme durch die Analyse der internen temporalen Beschaffenheit von Situationen zu beschreiben. Solche Systeme werden üblicherweise als zeitrelational bezeichnet (en. time-relational approaches; vgl. Gvozdanovic 2012: 784–791).

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