Читать книгу Transfer im schulischen Drittspracherwerb des Spanischen - Lukas Eibensteiner - Страница 18
2.3.4.2 Das Spanische
ОглавлениеWie das Französische kennt das Spanische die Unterscheidung zwischen perfektiv und imperfektiv nur in der Vergangenheit. Der perfektive Aspekt wird mithilfe des perfecto simple, der imperfektive mithilfe des imperfecto ausgedrückt (vgl. Alarcos Llorach 1978: 78–81; Real Academia Española 1974: 462, 2009: 1688–1690; Zagona 2012). Das perfecto compuesto kann, anders als im Französischen, nicht als reines Vergangenheitstempus fungieren, da seine Semantik eine Loslösung der Topikzeit von der Äußerungszeit nicht zulässt:
(57) | *He llegado ayer. |
[– – – – – –] < TU |
Wenn die Situation nicht am Tag des Sprechzeitpunktes stattfindet, benötigt das spanische Perfekt eine kontextuelle Spezifizierung (z. B. y por eso estoy cansado), die einen Gegenwartsbezug herstellt:1
(58) | He tenido un viaje largo y por eso estoy cansado. |
Dieser Gegenwartsbezug unterscheidet es vom perfecto simple. Die Real Academia Española (2009: 1688) definiert Letzteres als „una forma aspectualmente PERFECTIVA. Focaliza la situación en su totalidad y expresa, por tanto, que la acción descrita llega a su término“. Dass die Perfektivität Teil der Semantik dieser Form ist, wird durch den conjunction test bestätigt. Dies trifft wie im Französischen, aber im Unterschied zum Englischen, sowohl auf telische (Beispielsatz 59) als auch auf statische Prädikate zu (Beispielsatz 60):
(59) | *El verano pasado construyeron una casa; puede ser que aún la estén construyendo. |
(60) | *Juan estuvo enfermo ayer y aún lo está. |
(Beispielsätze in Anlehnung an Smith 1997: 194) |
Die Verwendung der perfektiven Verbform construyeron impliziert, dass das Bauen des Hauses abgeschlossen wurde. Die Information, dass man noch immer dabei ist, zu bauen, tritt in Konflikt mit dieser Abgeschlossenheit und ist der Grund für die mangelnde Grammatikalität des Satzes. Dieselbe Argumentation trifft auch auf Beispielsatz 60 zu.
Das imperfecto hingegen „presenta la acción en su curso, sin referencia a su inicio o su fin“ (Real Academia Española 2009: 1688). Per definitionem beschreibt es eine Situation, ohne die temporalen Anfangs- und Endpunkte zu fokussieren. Diese Unbegrenztheit führt wie auch beim französischen imparfait dazu, dass es einen Rahmen braucht, in den es sich integrieren kann:
[S]i se tiene en cuenta que el IMP, como pasado imperfectivo, codifica la instrucción de situar en el pasado una situación no delimitada, y que una situación sin límites temporales requiere un marco en el que integrarse para poder ser situada y ordenada temporalmente con respecto a otros eventos, entonces el carácter anafórico es un efecto producido por una propiedad más básica, semántica, que es la imperfectividad (Leonetti 2004: 489; Hervorhebung durch den Verfasser).
Die Imperfektivität ist demnach der Grund dafür, dass die Form einen Ankerpunkt braucht (vgl. ebd.: 482). Dieser kann laut Leonetti (2004: 483–487) explizit vorgegeben sein oder durch pragmatische Verfahren sowie das Weltwissen erzeugt werden. Durch die Argumentation, dass das Imperfekt einen Ankerpunkt braucht, weil es imperfektiv ist, versucht Leonetti gewissermaßen, die Position der Vertreter eines zeitrelationalen Ansatzes (vgl. Rojo 1974; Rojo/Veiga 1999) mit jener der boundary-Vertreter2 (vgl. Hernández Alonso 1984; García Fernández 2004) zu vereinen.
Die Analyse des perfecto simple und des imperfecto mithilfe des Kleinschen Systems kann durch die schon bekannten Beispiele aus Kapitel 2.2 veranschaulicht werden. So fragt der Richter den Zeugen, was er zwischen 14 und 17 Uhr gemacht hat, worauf dieser antwortet:
(61) | Tomé un café con mis amigos. |
[ – – ] |
Die Situationszeit von tomar un café ist in der Topikzeit (= zwischen 14 und 17 Uhr) enthalten, wodurch der perfektive Aspekt dargestellt wird. Wenn der Richter allerdings fragen würde, was der Zeuge beim Betreten des Raumes gesehen hat, wird das Topikzeit-Intervall verkürzt. Der Zeuge antwortet:
(62) | Entré sin hacer ruido. Miguel preparaba la comida. |
– – – – – [ – ] – – – – – |
In diesem Fall ist die Topikzeit in der Situationszeit inkludiert. Anfang und Ende der Handlung (preparar la comida) sind nicht in der Perspektive des Sprechers eingeschlossen. Durch die Einnahme dieser Binnenperspektive wird die Aktion als im Verlauf befindlich interpretiert. Diese progressive Lesart definiert Pérez Saldanya (2004: 216) folgendermaßen: „La acepción progresiva […] se caracteriza por presentar una situación en curso y por focalizar un punto del desarrollo de esta situación“. Durch die Fokussierung eines punktuellen Referenzzeitintervalls tritt in Beispielsatz 62 eine fokalisierende Lesart zu Tage. Das spanische imperfecto kann aber auch mit einem durativen Referenzzeitintervall kombiniert werden.3 Beispielsweise kann der Richter den Zeugen bitten, die Situation während eines Gesprächs mit Luis (= Topikzeit) zu beschreiben. Der folgende Satz wäre als Antwort möglich:
(63) | Durante la conversación con Luis, un hombre no paraba de mirarme. |
– – – – [ – – – – ] – – – – |
Die durative Topikzeit in Beispielsatz 63 hat zwar eine größere zeitliche Ausdehnung als in 62, ist aber noch immer in der Situationszeit eingeschlossen, weshalb eine imperfektive, durativ-progressive Lesart eintritt. Diese Semantik kann außerdem durch weitere Periphrasen zum Ausdruck gebracht werden (z. B. ir + gerundio, andar + gerundio oder continuar + gerundio; vgl. Martínez-Atienza 2004: 355).
Im Spanischen kann die progressive Bedeutung sowohl mit dem imperfecto als auch mit der Periphrase estar + gerundio ausgedrückt werden (vgl. Arche 2014: 801; Pérez Saldanya 2004: 216; Real Academia Española 2009: 1688; Martínez-Atienza 2004: 354). Die gerundio-Periphrasen stellen eine Handlung in ihrem Verlauf dar und betonen somit den prozesshaften Charakter derselben: „[El gerundio] presenta una visión de la acción en su desarrollo, una visión de la acción en curso“ (Yllera 1999: 3402). Diese verlaufsartige Semantik ergibt sich daraus, dass sich die Periphrase aus einem schon realisierten und einem noch zu realisierenden Teil zusammensetzt. Diese Idee findet sich schon bei Guillaume (1929: 15–17), wird von Alarcos Llorach (1978: 57–59) auf das spanische Gerundium angewandt und schließlich von Yllera (1999: 3394) in die Gramática descriptiva del español übernommen.4 Wie auch in anderen romanischen Sprachen weitet sich die Verwendung der Periphrase im Spanischen auf andere semantische Bereiche aus. Beispielsweise ist ein Wechsel von der prototypischen, fokalisierenden hin zu einer durativen Lesart erkennbar (vgl. García Fernández 2009: 259). Darauf deutet die Verwendung im nächsten Beispielsatz hin, in welchem auf ein unbegrenztes, duratives Zeitintervall Bezug genommen wird:
(64) | ¡Siempre te estás quejando! |
(Beispielsatz aus Yllera 1999: 3405) |
In den Kapiteln zum Deutschen, Englischen und Französischen wurde dargelegt, dass die entsprechenden Progressivperiphrasen nicht mit statischen Prädikaten kombiniert werden können. Dies trifft prinzipiell auch auf die spanische Periphrase zu (vgl. Yllera 1999: 3409). Kommt es trotzdem zu einer solchen Kombination, erfolgt eine Dynamisierung des Prädikats:
(65) | Estás siendo tonto. |
(Beispielsatz aus García Fernández 2009: 266) |
In Bezug auf die Vergangenheit kann estar sowohl mit perfektiver als auch mit imperfektiver Morphologie vorkommen. Tritt es mit imperfektiver Morphologie auf, kann es prinzipiell mit der progressiven Lesart des imperfecto ausgetauscht werden (vgl. Arche 2014: 801; Real Academia Española 2009: 1688, 1756; Yllera 1999: 3403):
(66) | Cuando sonó el teléfono, Eugenio se levantaba de la cama. |
(67) | Cuando sonó el teléfono, Eugenio se estaba levantando de la cama. |
(Beispielsätze aus Real Academia Española 2009: 1756) |
Wird das Hilfsverb mit perfektiver Morphologie verwendet, drückt die Periphrase ein Ereignis aus, das in seinem Verlauf dargestellt wird und während einer begrenzten Zeitspanne anhält: „Con estar en tiempo perfectivo […], la perífrasis indica una acción vista en su transcurso cuyo desarrollo ‘permanece’ durante un tiempo“ (Yllera 1999: 3405; Hervorhebung im Original).
Wie auch im Französischen kann das spanische Imperfekt Habitualität ausdrücken. Diese Semantik bezieht sich auf eine Situation „[que] se repite de manera más o menos regular un número indeterminado de veces durante el intervalo de tiempo que se toma como referencia“ (Pérez Saldanya 2004: 216). Die habituelle Lesart zeigt somit an, dass eine Handlung nicht ein Mal, sondern eine unbegrenzte Anzahl von Malen stattfindet:
(68) | Cuando era pequeño, las clases en el colegio empezaban a las ocho de la mañana. |
Habitualität kann außerdem mit periphrastischen oder lexikalischen Mitteln ausgedrückt werden, beispielsweise soler + Infinitiv oder tener la costumbre de + Infinitiv, aber auch mittels Adverbien wie habitualmente, generalmente oder siempre (vgl. Real Academia Española 2009: 1688; Martínez-Atienza 2004: 346).
Abgesehen von diesen Grundbedeutungen hat das imperfecto noch zahlreiche modale Nebenbedeutungen, auf die nicht näher eingegangen wird, da sie für die vorliegende Arbeit nicht von Relevanz sind (für eine genauere Darstellung vgl. García Fernández 2004: 90–94; Fernández Ramírez/Bosque 1986: 269–276).
In diesem Kapitel wurde gezeigt, dass sowohl das Spanische als auch das Französische und das Lateinische in der Vergangenheit zwischen perfektivem und imperfektivem Aspekt unterscheiden, dafür aber teilweise andere Formen verwenden. Im nächsten Kapitel werden die fünf Sprachen gegenübergestellt und es wird veranschaulicht, inwiefern sie sich bezüglich der Opposition perfektiv/imperfektiv unterscheiden.