Читать книгу Transfer im schulischen Drittspracherwerb des Spanischen - Lukas Eibensteiner - Страница 11
2.2 Der zeitrelationale Ansatz von Klein (1994)
ОглавлениеDas Kleinsche System baut auf jenem von Reichenbach (1947) auf. Im Zentrum von Reichenbachs Überlegungen steht das Jetzt des Sprechens, der Sprechzeitpunkt (en. point of speech, abgekürzt als S), also ein deiktisches „an der Sprechsituation orientiertes Zeitintervall“ (Vater 2007: 32).1 Vom Sprechzeitpunkt ausgehend, ist es dem Subjekt möglich, zeitliche Referenz zu einem Ereignis, das versprachlicht werden soll, herzustellen. Dieses findet zu einem bestimmten Zeitpunkt, dem Ereigniszeitpunkt, statt (en. point of event, abgekürzt als E). Prinzipiell ist es allein mit diesen beiden Zeitpunkten möglich, die temporalen Relationen der Vor-, Gleich- und Nachzeitigkeit darzustellen:
Vorzeitigkeit: | [E < S] |
(E vor S) | |
Gleichzeitigkeit: | [E = S] |
(E gleichzeitig mit S) | |
Nachzeitigkeit: | [S < E] |
(S vor E) |
Formen, deren Semantiken durch diese grundlegenden Relationen beschrieben werden können, werden auch als absolute Tempora (vgl. Comrie 1985: 36) oder basic tenses (vgl. Klein 2009b: 43) bezeichnet.
Zur Darstellung jener Tempora, die keine direkte Relation zum Sprechzeitpunkt herstellen, führt Reichenbach einen weiteren zeitlichen Bezugspunkt ein, den Referenzzeitpunkt (en. reference point, abgekürzt als R).2 Dieser kann im selben Satz festgelegt oder durch den Kontext gegeben sein. Er wird beispielsweise benötigt, wenn man über ein Ereignis sprechen will, das vor einem Ereignis stattgefunden hat, das wiederum vor dem deiktischen Zentrum liegt. Als Beispiel kann das deutsche Plusquamperfekt in Beispielsatz 18 genannt werden (vgl. Heinold 2015: 80):
(18) | Peter: „Maria hatte die Fenster schon geputzt, als ich heimkam.“ [E < R < S] |
Die Fettmarkierung von Peter verweist darauf, dass es einen Sprechzeitpunkt gibt, zu welchem Peter die Äußerung tätigt. Die Tätigkeit (E), über die gesprochen wird (Maria Fenster putzen), findet in der Vergangenheit statt und liegt somit vor dem Sprechzeitpunkt. Zwischen dem Sprechzeitpunkt und dem Ereigniszeitpunkt liegt aber noch ein weiteres Ereignis (ich heimkommen), das durch den Referenzzeitpunkt dargestellt wird (kursiv). Diese Relation (E < R < S) kann auf einer Zeitachse folgendermaßen dargestellt werden:
Abb. 2:
Die temporale Relation des Plusquamperfekts
Das für diese Arbeit relevanteste Problem des Reichenbachschen Systems ist, dass es die aspektuelle Opposition von perfektiv und imperfektiv nicht befriedigend ausdrücken kann (vgl. Haßler 2016: 19; für weitere Kritikpunkte vgl. Klein 2009b: 45; Stowell 2012: 187–189). In seinem System werden beispielsweise sowohl das spanische imperfecto als auch das perfecto simple gleichermaßen beschrieben:
(19) | Ayer fui al colegio. |
E = R < S | |
(20) | Ayer iba al colegio. |
E = R < S |
Das Tempussystem von Klein (1994, 2009a, b) baut auf jenem von Reichenbach auf. Dadurch, dass Klein nicht von Zeitpunkten, sondern von Zeitspannen spricht (vgl. Klein 2009a: 22), lassen sich aspektuelle Relationen darstellen. Um diese Zeitspannen zu benennen, verwendet Klein zwar andere Begrifflichkeiten, die aber durchaus gewisse konzeptuelle Ähnlichkeiten zu den Zeitpunkten Reichenbachs aufweisen:
Reichenbach (1947) | Klein (1994) |
Sprechzeitpunkt | Zeit der Äußerung (en. time of utterance, TU) |
Ereigniszeitpunkt | Zeit der Situation/Situationszeit (en. time of situation, TSit) |
Referenzzeitpunkt | Topikzeit (en. topic time, TT) |
Tab. 6:
Gegenüberstellung von Reichenbach (1947) und Klein (1994)
Klein (1994: 36–48) veranschaulicht das Zusammenspiel der drei Zeitspannen anhand der folgenden Situation: Ein Richter fragt einen Zeugen, was er beim Betreten eines Raumes, in welchem ein toter Mann auf dem Boden lag, gesehen hat. Darauf antwortet dieser das Folgende:
(21) | A man was lying on the floor. |
– – – – – [–] – – – – – < TU |
Durch eine sogenannte questio (= die Frage des Richters), die entweder explizit gestellt wird oder implizit durch den jeweiligen Kontext vorgegeben ist, wird die Topikzeit festgelegt (dargestellt durch die eckigen Klammern [ ] in Beispielsatz 21). Sie fokussiert jene Zeitspanne, über die tatsächlich eine Aussage gemacht wird. Klein (1994: 4) beschreibt sie folgendermaßen: „[The topic time] is the time span to which the speaker’s claim on this occasion is confined.“ In Beispielsatz 21 bezieht sie sich demnach auf diejenige Zeitspanne, zu welcher der Raum betreten wurde. Die Situationszeit hingegen nimmt auf die Zeitspanne von a man lie on the floor Bezug (dargestellt durch – – – – – –). Sie ist nicht auf die relativ kurze Zeitspanne der Topikzeit beschränkt. Der Mann lag auf dem Boden, sowohl bevor der Zeuge den Raum betreten hat als auch danach.
Beispielsatz 21 stellt exemplarisch dar, dass die Topikzeit in der Situationszeit eingeschlossen ist und vor der Zeit der Äußerung liegt (= die Aussage vor Gericht). Es ist die Relation von TSit und TT, welche es ermöglicht, aspektuelle Informationen darzustellen: „Aspects are ways to relate the time of situation to the topic time: TT can precede TSit, it can follow it, it can contain it, or be partly or fully contained in it“ (ebd.: 99). Es gibt also verschiedene Möglichkeiten, wie TT und TSit zueinander in Bezug treten können. TT kann wie in Beispielsatz 21 vollständig in TSit enthalten sein (= TT incl TSit). Die damit einhergehende Unbegrenztheit von TSit im Hinblick auf TT erzeugt die für die Beschreibung des imperfektiven Aspekts so bekannte Innenperspektive (vgl. ebd.: 108).
Eine zweite Möglichkeit ist, dass TT (nur teilweise) in TSit enthalten ist (= TT at TSit). Klein (1994: 102–103) veranschaulicht diese TSit-TT-Relation anhand desselben Beispiels. Allerdings bittet der Richter den Zeugen nun, alle Ereignisse zu schildern, die er zwischen zwei und fünf Uhr erlebt hat. In dieser dreistündigen Zeitspanne, bei welcher es sich um die Topikzeit handelt, ist es durchaus möglich, dass eine Freundin des Zeugen, Mary, um halb drei eingeschlafen und um halb fünf wieder aufgewacht ist. In diesem Fall ist TSit vollständig in TT enthalten. Laut Klein stellt diese Relation den perfektiven Aspekt dar, da Anfang und Ende der Handlung in der TT und somit in der Perspektive des Sprechers eingeschlossen sind:
(22) | Mary slept. |
[ – – – – – – – – ] |
Klein (1994: 108) hält fest, dass es sich bei all den verschiedenen Beziehungen zwischen TSit und TT um rein temporale Relationen handelt, welche die eher metaphorische Beschreibung der Begrenztheit fassen können:
These definitions are strictly in terms of temporal relations. But it appears that they neatly reflect the intuitions behind more metaphorical characterizations such as ‘seen from the inside’ or ‘completed’. In the case of the IMPERFECTIVE, for example, the time for which an assertion is made falls entirely within the time of the situation; this gives the impression that the situation is, so to speak, seen from its inside.
Die Beziehung zwischen TT und TSit eignet sich demnach, um perfektiven und imperfektiven Aspekt darzustellen. Im Unterschied dazu beschreibt die Relation zwischen TT und TU die genuin temporalen Eigenschaften der Vor-, Gleich- und Nachzeitigkeit. In den genannten Beispielen liegt TT vor TU, weshalb die Situation als in der Vergangenheit liegend interpretiert wird. Wenn sich TT simultan zu TU befindet, wird eine gegenwärtige Situation beschrieben; wird sie nach TU situiert, handelt es sich um die Zukunft.
Bevor im nächsten Kapitel darauf eingegangen wird, wie perfektive und imperfektive Aspektualität in den für diese Arbeit wichtigen Einzelsprachen ausgedrückt wird, ist es sinnvoll, die wesentlichen Inhalte der letzten beiden Kapitel noch einmal zusammenzufassen. Hinsichtlich des lexikalischen Aspekts wird eine dreiteilige Klassifikation verwendet, die auf den folgenden Begrifflichkeiten beruht:
Zustände: | [- dynamisch], [- telisch] |
Aktivitäten: | [+ dynamisch], [- telisch] |
Telics: | [+ dynamisch], [+ telisch] |
Bezüglich des grammatikalischen Aspekts wird zwischen perfektivem und imperfektivem Aspekt unterschieden (begrenzt vs. unbegrenzt), wobei letzterer in eine habituelle, eine kontinuative und eine progressive Komponente unterteilt wird. Zur Beschreibung der Tempussysteme der Einzelsprachen wird auf das Kleinsche Systems zurückgegriffen. Diesbezüglich werden die Begrifflichkeiten der Äußerungszeit (TU; auch Sprechzeitpunkt), der Situationszeit (TSit) und der Topikzeit (TT; auch Referenzzeit) übernommen. Temporale Unterschiede werden durch die Relation von TU und TT ausgedrückt, aspektuelle durch die Beziehung von TT und TSit. Vorzeitigkeit wird demnach als TT vor TU beschrieben. Perfektiver Aspekt wird durch die Inklusion von TSit in TT (oder graphisch durch [– – – – –]) dargestellt; imperfektiver durch das Enthaltensein von TT in TSit (oder graphisch durch – – – [– – –] – – –). Da Klein hauptsächlich zwischen perfektiv und imperfektiv unterscheidet, werden im Folgenden die Semantiken der Kontinuität und Habitualtität nicht mithilfe seines Systems erläutert.3 Eine stark simplifizierte Darstellung des Aspektualitätsverständnisses der vorliegenden Arbeit findet sich in Abbildung 3:
Abb. 3:
Darstellung des Aspektualitätsverständnisses der vorliegenden Arbeit
Im Folgenden wird darauf eingegangen, wie das Deutsche, das Englische, das Lateinische, das Französische und das Spanische die Opposition von perfektiv/imperfektiv versprachlichen.