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3.4 Unterschiede zwischen dem L2- und dem L3-Erwerb

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In den letzten Kapiteln wurde bis auf wenige Ausnahmen immer vom L1- und vom L2-, aber nur selten vom L3-Erwerb gesprochen. Lange Zeit sah man keine Notwendigkeit, zwischen dem Erwerb einer L2 und jenem einer L3 zu unterscheiden. Sharwood Smith (1994: 7; Hervorhebung im Original) beispielsweise definiert eine Zweitsprache folgendermaßen:

‘Second’ language will normally stand as a cover term for any language other than the first language learned by a given learner or group of learners […] irrespective of the number of other non-native languages possessed by the learner.

Der Terminus Zweitsprache1 (L2) wurde (und wird) als Begriff verwendet, der alle Sprachen miteinschließt, die sich ein Individuum nach dem Erwerb einer L1 aneignet (vgl. Hammarberg 2010: 92–93). Die fehlende terminologische Differenzierung lässt darauf schließen, dass die zugrunde liegenden Prozesse beim Erwerb einer L2 und jenem einer L3 als nicht unbedingt unterschiedlich angesehen wurden (bzw. werden) (vgl. Jessner 2006: 14). Diese Ansicht wird von der sich in den 1990er-Jahren herausbildenden Drittspracherwerbsforschung kritisch hinterfragt. Anlass dafür sind mehrere Studien, die zeigen, dass sich bi- und multilinguale Personen von monolingualen unterscheiden (für einen neueren Überblick vgl. Cenoz 2013: 74–77; De Angelis 2007: 115–120; Hirosh/Degani 2018; Jessner 2014: 180–181; Jessner/Megens/Graus 2016: 193–194; Peukert 2015: 1; Ruiz de Zarobe/Ruiz de Zarobe 2015: 398). Ein wesentlicher Unterschied ist beispielsweise, dass multilinguale Lerner auf mehrere Transferbasen zurückgreifen können. Außerdem haben sie „eine nachweislich höhere Bewusstheit in Bezug auf die Sprache(n) selbst als auch auf die eigene Mehrsprachigkeit und auf das eigene Lernen inklusive der eigenen Lernstrategien“ (Hufeisen 2003: 97). Hufeisen (2000: 209–214, 2010) versucht, diese Unterschiede im sogenannten Faktorenmodell2 herauszuarbeiten. Mit jeder neu gelernten Sprache werden weitere Faktoren, die den Erwerb beeinflussen, in das Modell integriert. Die wesentlichen Aspekte werden im Folgenden kurz angesprochen.

Das Faktorenmodell geht davon aus, dass die L1-Aneignung vor allem von neurophysiologischen Faktoren wie beispielsweise der generellen Spracherwerbsfähigkeit und von bestimmten lernerexternen Faktoren wie der Lernumwelt oder dem Input abhängt. Gemäß Hufeisen (2010: 202–203) kommen beim Lernen einer L2 weitere Einflussfaktoren hinzu:

 Zusätzliche lernerexterne Faktoren wie Art und Umfgang des Inputs

 Emotionale Faktoren wie Motivation oder (Lern-)Angst

 Kognitive Faktoren wie das metasprachliche Bewusstsein oder diverse Lernstrategien

 Linguistische bzw. sprachliche Faktoren (die L1 als erste Transferbasis)

Nun gibt es aber laut Hufeisen auch zwischen dem Lernen einer L3 und jenem einer L2 qualitative und quantitative Unterschiede. Zu der eben genannten Liste fügen sich beim L3-Lernen noch weitere Faktoren hinzu, zu denen unter anderem der Komplex der sogenannten ‚Fremdsprachenspezifischen Faktoren‘ zählt, den Hufeisen (2010: 201; Hervorhebung im Original) folgendermaßen beschreibt:

Sprachlernerfahrungen sind vorhanden, eventuell ein expliziertes und anwendbares Wissen darüber, wie an den neuen Sprachlernprozess erfolgversprechend herangegangen werden kann, eine vermutlich größere Gelassenheit gegenüber dem (wieder einmal) Neuen und Fremden. […] Diese […] Fremdsprachenspezifischen Faktoren […], die sich erst ab einer L2 einstellen und entwickeln, aber mit dem Lernen einer L3 wirksam werden können[, machen] […] den wesentlichen Unterschied zwischen dem Lernen einer L2 und dem Lernen einer L3 aus […].

Wie Abbildung 4 veranschaulicht, handelt es sich bei den fremsprachenspezifischen Faktoren beispielsweise um individuelle Fremdsprachenlernerfahrungen sowie um Fremdsprachenlernstrategien als auch um die Lernersprachen bzw. interlanguages (vgl. Selinker 1972) der bereits gelernten Sprachen, sei es die L2 im L3-Erwerb oder die L3, L4, Lx im L4-, L5-, Lx-Erwerb:

Abb. 4:

Lernen einer L3 im Faktorenmodell – fremdsprachenspezifische Faktoren (vgl. Hufeisen 2010: 204)

Im Unterschied zum L2-Erwerb, in welchem nur auf eine Sprache, die L1, zurückgegriffen werden kann, haben die L3-Lernenden zusätzlich noch mindestens eine weitere Sprache, die sie als Transferbasis nutzen können. Wie in Kapitel 3.3 dargestellt, beruht das Lernen einer L2 stärker auf dem deklarativen Gedächtnissystem als das Lernen einer L1. Damit geht einher, dass in einer L2 im Normalfall ein sowohl quantitativ als auch qualitativ stärker ausgeprägtes explizites Wissen vorhanden ist. Obwohl sich das L2-/L3-Lernen im Hinblick auf den Rückgriff auf das deklarative Gedächtnissystem gleicht, unterscheidet es sich dadurch, dass auf ein zusätzliches Sprachsystem (jenes der L2) zugegriffen werden kann, welches naturgemäß viel explizites Wissen bereitstellt.

Die eben dargelegten Unterschiede zwischen dem L1-, dem L2- und dem L3-Erwerb machen es notwendig, die Begrifflichkeiten der Erst-, Zweit- und Drittsprache voneinander abzugrenzen. Die häufige Praxis, alle Sprachen, die nach der L1 gelernt wurden, unter dem Terminus Zweitsprache zu subsumieren, greift zu kurz, da sie den im Faktorenmodell dargestellten Unterschieden nicht gerecht wird (vgl. Hammarberg 2010: 92–93). Oftmals wird für die Unterscheidung zwischen den gelernten Sprachen eine rein chronologische Darstellung herangezogen. Die erste gelernte Sprache wird als L1, die zweite als L2, die dritte als L3 usw. bezeichnet (vgl. Hammarberg 2010: 93). Diese Vorgehensweise ist insofern problematisch, als es häufig schwierig ist, eine chronologische Auflistung vorzunehmen, zumal Spracherwerb oftmals simultan stattfindet (vgl. Hammarberg 2010: 93–94, 2017: 7–9). Aus diesem Grund wird in der vorliegenden Arbeit eine andere Definition angewendet. Eine Drittsprache wird als jene Sprache definiert, die in der aktuellen Lebenssituation der Lernenden, die bereits über eine oder mehrere Erst- bzw. Zweitsprachen verfügen, erworben wird und der keine L1-Erwerbsprozesse zugrunde liegen:

[T]he term third language (L3) refers to a non-native language which is currently being used or acquired in a situation where the person already has knowledge of one or more L2s in addition to one or more L1s (Hammarberg 2010: 97; Hervorhebung im Original).

Diese Definition ermöglicht es, den L3-Begriff als eine Erweiterung der L2-Kategorie zu verstehen. So kann sich der Terminus L3 beispielsweise in einem Forschungskontext auf jene L2 der Probanden beziehen, die im Rahmen der Studie als Zielsprache im Fokus steht. Laut Hammarberg (2010: 97) hat die Verwendung dieser Terminologie den Vorteil, dass alle Sprachen, denen keine L1-Erwerbsprozesse zugrunde liegen, unter dem traditionellen Begriff der L2 subsumiert werden können und nur die im Fokus stehende Sprache als L3 bezeichnet wird. Termini wie L4, L5 etc. sind nicht nötig, was wiederum eine gewisse terminologische Klarheit schafft. Im Falle der vorliegenden Arbeit handelt es sich somit beim Spanischen um eine Dritt- oder Tertiärsprache (L3). Alle anderen nicht nativen Sprachen werden als Zweit- oder Sekundärsprachen (L2) bezeichnet; es handelt sich dabei um das Englische, das Französische und das Lateinische.

Transfer im schulischen Drittspracherwerb des Spanischen

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