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2.3.4.1 Das Französische

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In diesem Kapitel wird die Unterscheidung von perfektiv/imperfektiv im Französischen dargestellt. Da sowohl das passé composé als auch das passé simple zum imparfait in Opposition treten, werden die drei Formen kurz beschrieben und voneinander abgegrenzt. Im Anschluss wird sowohl der conjunction test durchgeführt als auch das Kleinsche System auf das Französische angewandt. Am Ende des Kapitels wird auf die Periphrase être en train de und die unterschiedlichen Ausdrucksmöglichkeiten für die habituelle Semantik eingegangen.

Das Französische kennt die Unterscheidung zwischen perfektiv und imperfektiv nur in der Vergangenheit (vgl. Chevalier et al. 1988: 339–348; Dethloff/Wagner: 2014: 253–257, 263–268; Garey 1957; Mitko 2000; Smith 1997: 193–226; Viguier 2012). Der imperfektive Aspekt wird mithilfe des imparfait ausgedrückt; das passé simple und das passé composé bilden „den perfektiven Pol der Aspektopposition“ (Mitko 2000: 193). Ersteres wird für Ereignisse verwendet, die keinen Bezug zum Sprechzeitpunkt aufweisen. Es stellt eine Handlung als in sich abgeschlossenes Ganzes und als vergangen dar:

Le passé simple […] exprime un fait complètement achevé à un moment déterminé du passé, sans considération du contact que ce fait, en lui-même ou par ses conséquences, peut avoir avec le présent (Grevisse 1986: 1292).

Das passé simple „ist auf den schriftlichen Bereich beschränkt und eignet sich besonders gut zum Einsatz im narrativen Bereich, wo es die Ereignisse in der Handlungssequenz darstellt“ (Mitko 2000: 193). Aber auch in Bereichen der mündlichen Kommunikation, in welchen eine konzeptionelle Schriftlichkeit vorliegt, kann es verwendet werden (z. B. in Radiobeiträgen oder im Fernsehen).

Das passé composé hingegen „wird im Distanz- wie im Nähebereich verwendet und ist heute […] ambivalent zwischen einem Perfekt und einem Perfektivum der Vergangenheit“ (ebd.). Im klassischen Französisch wurde es für Handlungen gebraucht, die nicht vollständig vergangen waren bzw. einen gewissen Bezug zum Sprechzeitpunkt hatten. Heute ist diese ursprüngliche Differenzierung weitgehend verschwunden und sowohl das passé composé als auch das passé simple werden als bedeutungsgleich angesehen. Ähnlich wie beim deutschen Perfekt hängt beim passé composé die Relation zwischen der Topik- und der Äußerungszeit und damit die Frage, ob die perfektische oder die perfektive Lesart zu Tage tritt, vom kontextuellen Umfeld ab (vgl. ebd.: 89). In Beispielsatz 47 wird die Topikzeit durch die Ergänzung je n’ai plus faim maintenant simultan zum Sprechzeitpunkt gesetzt, wodurch die Perfekt-Lesart erzeugt wird. In 48 und 49 hingegen ist die Topikzeit wegen des Adverbiums hier vom Sprechzeitpunkt losgelöst und es setzt die perfektive Lesart ein:

(47) J’ai déjà mangé; je n’ai plus faim maintenant.
– – – – – – – < [ TU ]
(Beispielsatz aus Smith 1997: 209)
(48) Hier il a mangé une pizza.
[– – – – – – ] < TU
(49) Hier il mangea une pizza.
[– – – – – – ] < TU

In seiner perfektiven Variante stellt das passé composé eine Handlung als begrenzt und als in sich abgeschlossen dar und tritt (gemeinsam mit dem passé simple) in Opposition zum imparfait (vgl. Mitko 2000: 85–87). Die Verwendung als Perfektivum ist wesentlich häufiger und hat somit einen höheren Stellenwert im französischen Verbalsystem (vgl. ebd.: 167). Dass die Perfektivität Teil der Semantik der zusammengesetzten Form ist, wird durch den conjunction test bestätigt. Ein Kontext, der die Situation bis in die Gegenwart andauern lässt, erzeugt eine unlogische Lesart. Dies trifft sowohl auf telische (Beispielsatz 50) als auch auf statische Prädikate zu (Beispielsatz 51):

(50) *L’été passé ils ont construit une cabine ; peut-être qu’ils la construisent encore.
(51) *Jean a été malade hier soir et il est malade maintenant.
(Beispiele aus Smith 1997: 194–195)

Das imparfait hingegen betrachtet das Ereignis als unvollendet und betont dessen Unbegrenztheit: „L’imparfait montre un fait en train de se dérouler dans une portion du passé, mais sans faire voir le début ni la fin du fait“ (Grevisse 1986: 1290). Diese Unbegrenztheit ist dafür verantwortlich, dass das Imperfekt für eine korrekte Interpretation eines sprachlichen oder kontextuellen Ankers bedarf. Es handelt sich somit um ein primär anaphorisches Tempus (vgl. Mitko 2000: 120; Smith 1997: 204; Viguier 2012: 99–100). Diese Unbegrenztheit, aus der sich die Unfähigkeit ergibt, die für die Interpretation notwendigen Konturen sichtbar zu machen, zwingt den Sprecher, eine Innenperspektive einzunehmen. Die Fähigkeit der perfektiven Verbformen hingegen, die Grenzen sichtbar zu machen, ermöglicht es einerseits als Anker für das Imperfekt zu dienen und erzeugt andererseits ein Zurücktreten vom Sachverhalt (eine Außenperspektive), wodurch die Situation in den Vordergrund tritt und als Ganzes sichtbar wird. Daraus ergibt sich auch die „textlinguistische Funktion der Markierung von ‚Vordergrund‘ und ‚Hintergrund‘ einer Erzählung [und] ist damit die Folge der aspektuellen Struktur der Verbformen“ (Mitko 2000: 120; Hervorhebung im Original).

Mithilfe des Kleinschen Systems können das passé composé und das imparfait folgendermaßen voneinander abgegrenzt werden (vgl. auch Mitko 2000: 83–87). Zur Veranschaulichung wird auf die in Kapitel 2.2 genannten Beispiele in etwas modifizierter Weise eingegangen. Der Richter fragt beispielsweise, was der Zeuge zwischen 14 und 17 Uhr gemacht hat, woraus sich ein Topikzeit-Intervall von drei Stunden ergibt. Der Zeuge könnte das Folgende antworten:

(52) J’ai pris un café avec des amis.
[ – – ]

Die Situationszeit ist in der Topikzeit enthalten, wodurch die Grenzen der Handlung sichtbar werden. Der Sachverhalt wird somit als (abgeschlossenes) Ganzes betrachtet. Fragt die questio des Richters allerdings danach, was der Zeuge beim Betreten des Raumes gesehen hat, wird das Topikzeit-Intervall auf einen kurzen Moment reduziert. Der Zeuge könnte antworten:

(53) Un homme mangeait.
– – – – – [ – ] – – – – –

In diesem Beispiel ist die Topik- in der Situationszeit enthalten, woraus sich die für das Imperfekt so charakteristische Innenperspektive ergibt. Die Handlung wird dadurch als im Verlauf befindlich interpretiert und es tritt die progressive Lesart zutage, welche im Französischen auch mithilfe der Periphrase être en train de ausgedrückt werden kann (vgl. Bertinetto 2000: 561; Chevalier et al. 1998: 332; Dahl 1985: 90; Momma in Druck):

(54) Il est en train de se ruiner.
(Beispielsatz aus Smith 1997: 200)

Die Konstruktion weist typische Merkmale einer Progressivperiphrase auf. Beispielsweise kann sie weder mit statischen Prädikaten noch mit perfektiven Tempora verwendet werden (vgl. Smith 1997: 200–201). Obwohl sie systematisch gebildet werden kann, wird sie aufgrund ihrer geringen Frequenz (vgl. Dahl 1985: 90) und der Fakultativität nicht als grammatische Option im Standardfranzösischen angesehen (vgl. Smith 1997: 201).

Das imparfait besitzt darüber hinaus die Fähigkeit, Habitualität auszudrücken (Beispielsatz 55). Zusätzlich dazu können im Französischen aber auch Periphrasen – wie in Beispielsatz 56 avoir l’habitude de – zur Versprachlichung dieser Semantik benutzt werden (vgl. McManus 2011: 39–40):

(55) Quand nous étions à Strasbourg, nous allions tous les jours au lac.
(56) Quand nous étions à Strasbourg, nous avions l’habitude d’aller tous les jours au lac.

Abgesehen von diesen Grundbedeutungen besitzt das imparfait noch zahlreiche modale Nebenbedeutungen, auf die nicht näher eingegangen wird, da sie für die vorliegende Studie nicht von Relevanz sind (für eine ausführliche Übersicht vgl. Dethloff/Wagner 2014: 266–268; Grevisse 1986: 1292; Viguier 2012: 108–115).

In diesem Kapitel wurde dargestellt, wie das Französische die Unterscheidung von perfektiv und imperfektiv, die es aus dem Lateinischen übernommen hat, ausdrückt. Im Gegensatz zum Spanischen hat das analytische Perfekt, das passé composé, die synthetische Form, das passé simple, weitgehend aus dem gesprochenen Französischen verdrängt. In seiner perfektiven Lesart drückt es den perfektiven Aspekt aus und tritt somit in Opposition zum imparfait. Im nächsten Kapitel wird dargestellt, wie die aspektuelle Opposition im Spanischen versprachlicht wird.

Transfer im schulischen Drittspracherwerb des Spanischen

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