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Petersen machte sich an der Kaffeemaschine zu schaffen. Schon recht früh hatten sich die Rechtsmediziner aus Oldenburg angekündigt. Mit dem Flieger um 10:00 Uhr würden sie kommen. Petersen hatte schon mit dem Gepäckdienst telefoniert. Bodo sollte die Kisten der Rechtsmediziner zur „Weißen Düne“ fahren. Petersen selbst würde die Kollegen dann vom Flugplatz zur Fundstelle führen. Der Weg war nur kurz, so dass ihnen die Peinlichkeit eines langen Marsches, mangels Fahrzeug, erspart bleiben würde. Er hörte die Außentür klacken. Heike betrat mit einem halblauten „Moin“ das Dienstzimmer.

„Na, sind unsere Knochen noch da?“

Petersen nickte. „Ich glaube schon. Ronny hat laut Tagebucheintrag gegen 1:00 Uhr seine letzte Runde gemacht. Ich hab‘ ihm gesagt, dass er ausschlafen kann.“

Heike Wohlers zog ihre Jacke aus. Petersen stellte ihr ihren mit frischem Grünen Tee gefüllten Pott auf den Schreibtisch. Kurz erzählte er ihr von dem Ablauf mit den Rechtsmedizinern.

„Okay, die packen also nur die Knochen ein und hauen dann gleich wieder ab, habe ich das richtig verstanden?“

Wieder nickte Petersen und ließ sich in seinen Bürosessel fallen. Nachdem Heike Wohlers ihren ersten Schluck Tee getrunken hatte, fixierte sie Petersen. „Sag mal, wie siehst du Ronny? Ist er ein Rassist?“

Petersen hätte sich fast an seinem Kaffee verschluckt. „Sag mal, wie kommst du denn da jetzt drauf?“

„Na, ja, ich habe mich über den Vorfall in Bremen informiert. Hat ja viel Staub aufgewirbelt.“

„Du glaubst doch nicht wirklich, dass er vorsätzlich einen Marokkaner erschossen hat? Das ist doch wohl nicht dein Ernst. Er ist in eine unübersichtliche Situation geraten. Du weißt selbst, dass mir das auch hätte passieren können, damals in der Inselbahn, als ich dich befreit habe. Wenn es dumm gelaufen wäre, hätte ich Wartmann auch tödlich treffen können.“

Heike Wohlers nickte. Dagegen konnte sie nichts sagen. Schließlich hatte Petersen ihr das Leben gerettet. Er ließ sich jetzt aber in seinem Redefluss nicht stoppen.

„Wenn du als Streifenpolizist zu einem psychisch auffälligen Mann gerufen wirst, dessen Keller oder sonst was geräumt werden soll, da muss dann doch bitte schön die Betreuerin oder der Betreuer anwesend sein. Die Polizei kann doch so etwas nicht alleine lösen“, echauffierte sich Petersen.

„Ja, so genau wusste ich das ja nicht“, entschuldigte sich Wohlers.

„Wir müssen ihn mehr in unsere Arbeit einbinden und soziale Kontakte herstellen. Ich glaube, ich nehme ihn mal mit zum Magister.“

„Ja, ja, Kneipe und saufen, das verstehst du unter Herstellung von Kontakten.“

Heike Wohlers wollte witzig sein, aber sie merkte schnell an seinem Gesichtsausdruck, dass Petersen sauer wurde.

„Du stellst mich hier als Alkoholiker hin. Ja, in der Kneipe entstehen soziale Kontakte. Ich muss Ronny zum Beispiel mit den Jungs vom TuS bekannt machen, er spielte nämlich in Bremen in der Landesliga…“

„Entschuldigung“, unterbrach Wohlers ihn, „Lars, das sollte ein Scherz sein. Nun regt dich nicht gleich auf, war eben ein schlechter Scherz.“

In diesem Moment meldete sich das Diensttelefon. Gott sei Dank, dachte Heike Wohlers.

Kommissarin Mona Behrens, Petersens frühere Praktikantin, die jetzt beim OK (Organisierte Kriminalität) in Oldenburg arbeitete, war am Telefon.

„Moin, Lars, läuft der Betrieb auf der Insel langsam wieder an, nach der langen Durststrecke.“

„Moin, ja so langsam kommen die ersten Touris wieder. Ich glaube im Sommer wird das hier richtig voll. Urlaub in Deutschland ist wieder im Trend.“

„Du, weshalb ich anrufe, ich habe euren Bericht über die Diebstähle auf den Baustellen gelesen.“

„Was hat denn die OK damit zu tun?“

„Du, ich habe gerade etwas Luft. Wir haben soeben eine Großrazzia gegen einen dir bekannten Clan in Bremen und Achim abgeschlossen. Wir haben Betäubungsmittel im Kilobereich, Schusswaffen, Glückspielautomaten, Spielkonsolen und Ähnliches gefunden.“ Petersen merkte Mona bei ihren Ausführungen an, wie stolz sie auf den Ermittlungserfolg war.

„Glückwunsch, aber was ist mit den Diebstählen bei uns auf Wangerooge?“

„Ach so, ja, wir haben hier auch eine erhöhte Anzahl von Diebstählen auf Baustellen zu verzeichnen. Es drängt sich der Verdacht von Bandenkriminalität auf, deshalb sind wir von der OK mit im Spiel. Ein Bauunternehmer hatte vor einiger Zeit in Edewecht Anzeige wegen des Diebstahls eines Hochdruckreinigers und einer Bandsäge erstattet. Nun hat er auf einem Auktionsportal im Internet zweifelsfrei seine geklauten Maschinen wiederentdeckt. Wir sind also am Ball.“

„Und was können wir hier tun?“

„Ich würde euch bitten, dass eure Unternehmer auch mal auf dieses Portal gehen und nach ihren Maschinen suchen.“

„Okay, das geben wir weiter.“

„Ist deine Frau Kapitänin auf See? Hans Albers sang ja von der Seemannsbraut, habe ich von dir gelernt. Jetzt bist du keine Seemannsbraut, sondern ein ‚Seefrausbräutigam‘.“

Obwohl Mona eine Spitze landen wollte, musste Petersen herzhaft lachen. Der Hinweis auf Hans Albers gefiel ihm. „Sehr gut gegendert, ‚Seefrausbräutigam‘, absolut überkorrekt.“

In versöhnlichem Ton verabschiedeten sich beide voneinander.

„Schön, schön“, sagte er ungewollt mit wehmütigem Lächeln, halblaut zu sich selbst. Nach einem kurzen gedanklichen Rückblick auf die einmalige Beziehung zu der jungen Mona kamen ihm natürlich die leidenschaftlichen Momente dieser Beziehung in den Sinn. Er riss sich aber sofort wieder zusammen. Petersen war heilfroh, dass sie wieder einigermaßen normal miteinander umgehen konnten. Abrupt blickte er hoch zu Heike und gab ihr den Zettel mit dem Namen des Auktionsportals.

„Kümmerst du dich darum?“

Wohlers nickte und nahm sich den Zettel.

„Ich hole jetzt die Jungs von der Rechtsmedizin vom Flughafen ab“, merkte Petersen, inzwischen wieder ganz bei der Sache, an und griff sich seine Uniformjacke.

Die Bergung der Knochen stellte sich als völlig unspektakulär heraus. Die beiden Rechtsmediziner legten ganz vorsichtig die Knochen frei, um sie dann einzeln auf eine Plastikplane zu legen. Jeder einzelne Knochen bekam eine Nummer und wurde fotografiert. Nach Abschluss dieser Prozedur wurden die Knochen verpackt und in eine kleine wannenartige Kiste verstaut. Obwohl Petersen versuchte, den beiden Medizinern etwas über das Alter und die Beschaffenheit der Knochen zu entlocken, ließen sich die beiden zu keinen Äußerungen hinreißen.

„Das wird alles unsere Untersuchung in Oldenburg ergeben“, war die einzige Verlautbarung, die Petersen bekommen konnte. So war es kein Wunder, dass die beiden Rechtsmediziner schon den Flieger um 12:15 Uhr erreichten. Etwas missmutig trat Petersen den Rückweg zur Wache an.

Ein Anruf von Susanne verbesserte seine Stimmung. Sie hatte mit der „Potsdam“ für kurze Zeit in Helgoland festgemacht. Sie meldete sich mit ihrem Privathandy von den Landungsbrücken. Susanne schlug vor, mal ein gemeinsames Wochenende auf Helgoland zu verbringen, wo sie sich bei einer polizeilichen Fortbildung auf dem Felsen kennengelernt hatten. Petersen konnte diesem Gedanken sehr viel abgewinnen. Auf alle Fälle würde Susanne ihn in absehbarer Zeit besuchen, wenn ihre Schicht auf der „Potsdam“ beendet war.

Für den Abend hatte Petersen es geschafft, Ronny zu einem Kneipenbesuch zu überreden. Schon gegen 18:00 Uhr brachen sie auf. Auf dem Weg zum „Störtebeker“ gab Petersen eine kurze Charakteristik des Magisters zum Besten, um Ronny auf mögliche Provokationen vorzubereiten. Da es für Mai ein recht milder Abend war, saßen einige Kneipengäste auf der Terrasse. Die Anzahl der Gäste, die sich zur gleichen Zeit in der Kneipe aufhalten durften, war noch immer begrenzt. Auch die Theke war nach wie vor durch eine Plexiglasscheibe vom üblichen Gastraum getrennt. Nur auf der Verlobungsbank durften zwei Personen sitzen. Wie es der Zufall wollte, war die Bank frei, so dass Petersen und Ronny dort Platz nehmen konnten.

Lautstark wurden sie vom Magister begrüßt. „Da sind sie ja unsere Hobby-Archäologen auf dem Wege zur großen Berühmtheit. Die Entdecker des homo wangeroogemensis, einem Vorläufer des homo erectus. Ein Dorfpolizist geht in die Geschichte ein. Ich denke die Nachwelt wird dir in den Dünen ein Denkmal setzen.“ Dann ertönte, das für ihn typische donnernde Lachen.

Etwas irritiert sah Ronny Petersen an, der verschmitzt lächelte, aber verwundert war, dass der Magister etwas von diesem Fund wusste.

„Woher weißt du denn nun schon wieder davon?“

„Von ‚Fatzebook‘, da wurde es berichtet.“

Jetzt lachte Petersen laut. „Du und Facebook, das glaube ich nie und nimmer. Du kannst ja nicht mal dein Handy bedienen und dort in der Ecke steht ein Bakelit-Telefon.“

Wohl oder übel musste der Magister jetzt den Rückzug antreten. „Nee, hast ja recht, hat mir ein Gast erzählt. Die Sache mit euren Knochen hat schon die Runde gemacht. Du weißt ja, auf dieser Insel bleibt nichts geheim. Merk‘ dir das, Ronny, wir kriegen alles mit, was du hier treibst.“

Ronny schaute recht verunsichert in Richtung seines Nebenmannes. War das jetzt eine echte Warnung oder ein freundschaftlicher Rat?

Petersen, der die Irritation spürte, griff den Faden auf. „Das ist hier wie auf dem Lande. Wenn etwas passiert, geht sofort der Inselfunk auf Sendung.“

In diesem Moment betrat ein Spieler des TuS Wangerooge das Lokal und wollte in den Keller zur Toilette. Petersen stoppte ihn kurz und machte ihn mit Ronny bekannt. Nachdem der Spieler wieder aus dem Keller zurückkam und einen Schein ins Sparfach gesteckt hatte, nahm er Ronny mit nach draußen, um sich über Fußball zu unterhalten.

„Ist dein Kollege gut?“, fragte der Magister, „der TuS könnte eine Auffrischung gebrauchen.“

„Landesliga“, kam es von Petersen. Der Magister verzog anerkennend sein Gesicht.

„Das ist eine Hausnummer.“

Petersen beobachtete durch die Scheibe, wie Ronny sich angeregt mit mehreren Insulanern unterhielt. Auftrag erfüllt, sagte er zu sich selbst. Im Anschluss fachsimpelte er mit dem Magister über Neuerscheinungen auf dem CD-Sektor.

Zerbrochen auf Wangerooge

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