Читать книгу Zerbrochen auf Wangerooge - Malte Goosmann - Страница 7
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ОглавлениеWieder stand Petersen am Bahnhof, aber diesmal nicht um eine neue Kollegin oder einen neuen Kollegen abzuholen. Nein, er hatte sich kurzfristig entschlossen, seine Kollegin Heike Wohlers, die aus ihrem Urlaub zurückkehrte, abzuholen. Zwar verstanden sich beide nicht unbedingt gut, aber in letzter Zeit war ihre dienstliche Zusammenarbeit deutlich besser geworden. Alles noch kein Grund, um sie auf dem Bahnhof zu empfangen. Aber er wollte sie kurz über ihren neuen Kollegen Ronald Rohde und dessen Vorgeschichte informieren. Dies in dessen Beisein zu tun, hatte er verworfen.
Auf dem Bahnsteig war einiges los, ein deutliches Zeichen, dass der Tourismus nach den Lockdowns langsam wieder in Gang kam. Zwar mussten immer noch Abstandsregeln eingehalten werden und die Maskenpflicht war an einigen Orten noch in Kraft, aber er empfand die Situation jetzt als wesentlich entspannter. Nicht zu vergleichen mit dem Horrorszenario des ersten Lockdowns, das ihm immer noch schwer im Magen lag. An einem dunklen Wintertag mussten sie, die Polizei, der Bürgermeister und die Freiwillige Feuerwehr mit dem Lautsprecher auf dem Fahrzeug, quasi die Touristen von der Insel treiben. Er hatte sich dabei sehr unwohl gefühlt, obwohl er die Notwendigkeit der Aktion absolut nicht in Frage gestellt hatte.
Das Pfeifen der Lokomotive riss ihn aus seinen dunklen Gedanken. Langsam rollte der Zug ein. Sie war eine der ersten, die aus dem vordersten Waggon stieg. Ihre blonden Haare wehten im Wind, als sie auf dem Bahnsteig stand. In ihrer Freizeitkleidung, Jeans, T-Shirt und Sonnenbrille, war sie kaum wiederzuerkennen. Als sie ihn sah, stutzte sie und machte sofort ein ernstes Gesicht. Die Falten auf ihrer Stirn zogen sich zusammen.
„Ist etwas passiert? Warum holst du mich ab oder hattest du Sehnsucht nach mir?“ Jetzt huschte doch ein Lächeln über ihr Gesicht.
Petersen grinste. „Nee, nee, alles okay. Ich hatte auch keinen Sehnsuchtsanfall…“
„Schade, also, was ist los?“
Auf dem Weg zu ihrer Wohnung im Bundeswehrsozialwerk berichtete Lars über die Vorgeschichte ihres neuen Kollegen. Heike hatte von dem Vorfall in Bremen in der Zeitung gelesen und auch das Video dazu im Netz gesehen.
„Und was denkst du, ist er stark traumatisiert?“, fragte sie ihn.
Petersen zuckte mit der Schulter. „Ich bin kein Psychologe. Aber nach den Gesprächen, die ich mit ihm geführt habe, glaube ich sagen zu können, dass er schon schwer unter der Situation leidet, was ja auch kein Wunder wäre.“
Heike Wohlers nickte. „Wir binden ihn in unsere Arbeit ein, anders geht es ja nicht und so stressig ist es ja auch nicht auf der Insel und der November ist ja vorbei.“
Eine deutliche Anspielung auf ihren letzten Fall im November des vergangenen Jahres. Nachdem Petersen Heike zu ihrer Wohnung gebracht hatte, ging er zurück zum Revier. Als er die Tür aufschloss, hörte er bereits das Klappern einer Tastatur. Er hatte Ronny doch für das Auspacken freigegeben. Tatsächlich saß Ronny in Zivil an dem Rechner, den Petersen ihm zugewiesen hatte und tippte munter irgendetwas ein.
„Moin, Ronny, was machst du da? Du solltest dich doch oben in Ruhe einrichten!“
„Ich war fast fertig, da hat es unten geklingelt. Ein Polier von einer Baustelle hat einen Diebstahl gemeldet. Ich habe die Anzeige aufgenommen und schreibe ein kleines Protokoll von dem Gespräch mit dem Polier.“
Nicht schlecht, dachte Petersen. Aber warum auch nicht? Ronny war ja nun kein Praktikant, sondern ausgebildeter Polizeimeister, der schon über ein gewisses Handwerkszeug verfügte. Er musste es unbedingt vermeiden, ihn nicht für voll zu nehmen, nur weil er durch diesen Vorfall in Bremen psychisch angeschlagen war.
„Okay, gib mal einen kleinen Bericht.“
Ronny drehte sich mit seinem Bürostuhl zu Petersen um. „Also, der Polier kam von einer Baustelle, Moment, ich muss eben nachsehen, ach ja, von der Peterstraße. Dort wurde in der letzten Nacht, möglicher Zeitraum 19:15 Uhr bis 7:00 Uhr morgens, hochwertiges Werkzeug entwendet. Eine genaue Liste bekomme ich noch. Aber wie ich es verstanden habe, handelte es sich um Akkuschrauber, Flex samt Zubehör, Bohrmaschine und Stemmhammer samt Zubehör. Alles von der Firma Hilti.“
„Wo war das Werkzeug gelagert?“
„Im Kellergeschoss eines noch unbewohnten Neubaus.“
Petersen runzelte die Stirn. „Wir sollten da hingehen und uns das ansehen.“
„Okay, ich ziehe eben meine Uniform an.“
Auf der Baustelle in der Peterstraße zeigte ihnen der Polier die Kellerräume, die nur mangelhaft gegen Einbruch gesichert waren. Auch die komplette Liste der gestohlenen Werkzeuge wurde ihnen übergeben.
„Was ist mit ihren Leuten?“, fragte Petersen den Polier.
„Eigentlich würde ich es ausschließen, dass es einer von meinen Männern war, aber die Hand würde ich dafür auch nicht ins Feuer legen“, beantwortete der Polier die Frage.
Auf dem Rückweg fragte Ronny: „Wenn es die Arbeiter nicht waren, was ist mit Insulanern?“
Petersen wiegte seinen Kopf hin und her. „Sicherlich auch möglich. Hier gibt es natürlich auch schräge Vögel, aber mit diesen Maschinen kannst du dann hier nicht öffentlich arbeiten und so eine Hilti, die würde auffallen. Auf alle Fälle müssen wir den Diebstahl öffentlich machen und vor Hehlerei warnen. Ich gebe das mal gleich an unsere Pressestelle in Wilhelmshaven durch und du könntest einen kleinen Bericht für den Inselkurier schreiben.
Am nächsten Morgen saßen alle drei Beamten zusammen in der Dienststelle. Petersen hatte Brötchen geholt, den Tisch gedeckt. Diese Art der Zusammenkünfte unter Kollegen hatte er in der Vergangenheit sehr vermisst. Selbst bei der Kanzlerin gab es eine morgendliche Runde, um die Abläufe des Tages zu besprechen. Er musste über sich selbst grinsen, ein Vergleich, der natürlich völlig unpassend war. Heike Wohlers und Ronny machten sich miteinander bekannt und dann gab Petersen einen kurzen Überblick zu den gestrigen Diebstählen. Kurz nachdem er fertig war, klopfte es an der Tür. Das Dienstzimmer betrat ein Mann in der Kleidung eines Bauarbeiters. Er hatte einen hellen, leicht beschmutzten Arbeitsanzug an. Auf dem Kopf trug er einen weißen Schutzhelm. Petersen ahnte, was jetzt kommen würde.
„Moin, wir sind beklaut worden“, brach es aus ihm raus. Der Mann atmete schwer. Anscheinend war er im Laufschritt zum Revier gekommen.
„Nun setzen Sie sich erst einmal hin. Sie sind ja ganz außer Atem. Trinken Sie mal einen Schluck Kaffee und dann erzählen Sie uns in Ruhe von dem Diebstahl.“
Während der Bauarbeiter einen Schluck Kaffee nahm, zückte Ronny einen Block, um sich Notizen zu machen.
„Bevor sie anfangen, wo ist Ihre Baustelle?“, fragte Heike Wohlers.
„In der Schulstraße, wir bauen da neue Appartementhäuser. Da, wo der Schützenverein seinen Schießstand hat.“
Wohlers und Petersen nickten, sie kannten die Baustelle. In der Folge berichtete der Mann über die gestohlenen Werkzeuge. Es kam Petersen wie ein Deja Vu vor. Fast haargenau fehlten die gleichen Werkzeuge wie gestern auf der Baustelle in der Peterstraße, lediglich eine kleine mobile Kreissäge und ein Fliesenschneider kamen noch dazu. Eine genaue Aufstellung der gestohlenen Gegenstände, teilweise sogar mit Typennummer, hatte der Mann schon dabei, was die Beamten ausdrücklich lobten. Nachdem der Bauarbeiter sich verabschiedet hatte und die Anzeige aufgenommen war, versuchte die Runde, eine Bestandsaufnahme zu machen.
„Das hat System“, begann Petersen, „ich glaube Insulaner können wir ausschließen. Wenn ich ein Werkzeug brauche, okay, da kann ich mir einen Diebstahl vorstellen, aber diese Serie sieht nach Profis aus.“
„Bandenkriminalität?“, warf Heike Wohlers fragend ein. „Aber wie bringen sie die Sachen zum Festland?“
„Genau, das ist die Schwachstelle, deshalb müssen wir diese Diebstähle öffentlich machen und sie der Bahn und den Speditionen melden.“
Petersen nahm die Listen der gestohlenen Sachen.
„Die Listen müssen veröffentlicht werden“, schlug Heike vor.
Petersen nickte.
„Wir sollten den Tatbestand der Hehlerei erwähnen“, schaltete sich jetzt Ronny ein.
„Sehr gut“, lobte Petersen, „den Hehlerei-Paragraphen sollten wir zitieren.“
Heike Wohlers ging an ihren PC und gab das Stichwort Hehlerei ein.
„Hier, ich hab’s, § 259 StGB. Der Tatbestand der Hehlerei ist erfüllt, wenn...“
„Okay, das kennen wir“, unterbrach Petersen Heike, die ihn daraufhin ärgerlich anfunkelte, „das muss alles öffentlich gemacht werden und kommt in unsere Mitteilung.“