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Schwer atmend verließ der Mann die Villa am Osterdeich. Zunächst riss er sich die FFP2-Maske von Mund und Nase, dann trat er aus dem Eingangsportal. Die ersten Sonnenstrahlen des beginnenden Frühlings trafen sein Gesicht. Was viele Menschen nach diesem langen Winter als angenehm empfinden würden, löste bei ihm keine Wirkung aus. Schweiß hatte sich auf seiner Stirn gebildet. Die Geister der Vergangenheit, die er glaubte, besiegt zu haben, krochen wieder in ihm hoch. Er öffnete mit zittrigen Händen die ersten beiden Knöpfe seines Oberhemdes und schnappte nach Luft. Noch stand er im Garten der Villa aus der Gründerzeit, in der sich die psychotherapeutische Praxis von Frau Dr. Müller-Lubinski befand. Nach seinem ersten Zusammenbruch, der in einer Katastrophe geendet war, hatte er schon einmal in einer psychotherapeutischen Praxis Zuflucht gesucht. Die therapeutischen Gespräche hatten damals die Traumata seiner Kindheit abgemildert, so dass er arbeitsfähig gewesen war. Zwar litt er weiterhin unter Schlaf- und Essstörungen, auch seine klaustrophobischen Anfälle waren nicht ganz verschwunden, aber er hatte ein halbwegs normales Leben führen können.

Er öffnete die Gartenpforte und trat auf den Osterdeich. Die Straße, die diesen Namen trug, befand sich auf der Deichkrone dieses mächtigen Bauwerks, das die Bremer Altstadt vor den Fluten der Weser schützte. Sein Blick fiel auf das Weser-Stadion, das direkt gegenüber lag. Schon lange hatten hier keine Spiele mehr vor Publikum stattgefunden. Die Pandemie hatte sein Verhältnis zum Fußball verändert. Gern war er früher zu den Heimspielen des SV Werder gegangen, aber durch die lange Abstinenz vom Live-Erlebnis hatte das Suchtpotential des Fußballs bei ihm keine Wirkung mehr gezeigt. Lange musste er warten, bis er die stark befahrene Straße überqueren konnte. Nachdenklich stieg er die Treppe zum Stadion hinunter, steuerte irgendwo hinter dem Stadion eine Bank an, von der aus er einen freien Blick auf die Weser hatte.

Der Hass hatte sich langsam wieder seiner bemächtigt. Im Prinzip hatte er es kommen sehen. Um dem zu entkommen, hatte er sich nun erneut in psychotherapeutische Behandlung begeben. Frau Dr. Müller Lubinski war sehr zielstrebig auf das gestoßen, was ihm in seiner Kindheit angetan worden war. Immer bohrender wurden ihre Fragen nach der Art und Weise, wie er seinen ersten Zusammenbruch verarbeitet habe. Ob etwas Außergewöhnliches vorgefallen sei. Hilfesuchend hatte er an die stuckverzierte Decke der Praxis gestarrt. Darüber konnte er auf gar keinen Fall reden. Der Ausweg, den er für sich gefunden hatte, war tief in seiner Seele vergraben. Niemand, auch keine Therapeutin, sollte daran rühren. Über die Grausamkeiten, die ihm persönlich angetan worden waren, konnte er Auskunft geben, wie eingeübt, fast schon routiniert, aber sein Zusammenbruch und die daraus resultierende Handlung musste Tabu bleiben.

Ein Binnenschiff tuckerte gemächlich weserabwärts. Es hatte Sand geladen. Hinter dem Steuerhaus war ein Auto festgezurrt. Der Schiffer wollte wohl im Hafen seine Mobilität nicht aufgeben. Diese Beobachtungen lenkten ihn kurzfristig ab. Aber als das Schiff verschwunden war, kamen die schwarzen Gedanken sofort zurück. Er hatte Hilfe gesucht, aber diese Hilfe nicht bekommen. Im Gegenteil, seitdem er die Villa verlassen hatte, kroch der Hass immer stärker in ihm hoch. Es gab für ihn nur ein Gegenmittel. Er musste diesen Hass wieder in Energie umwandeln, auch wenn er Angst vor den fürchterlichen Folgen hatte. Nachdem er einen Entschluss gefasst hatte, ging es ihm etwas besser. Langsam stand er von der Bank auf. Er wusste, was er zu tun hatte.

Zerbrochen auf Wangerooge

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