Читать книгу Zerbrochen auf Wangerooge - Malte Goosmann - Страница 15
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ОглавлениеMona Behrens und ein Kollege waren mit gemischten Gefühlen nach Ganderkesee, ein Ort zwischen Bremen und Oldenburg, gefahren Der Kollege war auf das Kaufangebot in dem Auktionsportal eingegangen und wollte nun den Stemmhammer der Marke Hilti abholen. Das Navi ihres Dienstfahrzeuges zeigte ihnen den Weg in ein Neubaugebiet in Ganderkesee. Als sie die besagte Adresse gefunden hatten, klingelten sie bei dem Verkäufer an der Haustür. Ein dreißig- bis vierzigjähriger Mann mit schütteren Haaren in einem ballonseidenen Jogginganzug öffnete ihnen. Mona zeigte ihren Dienstausweis und ihr Kollege drängte den verdutzten Mann in den Hausflur. Bei der darauf folgenden Befragung gab er zu, den Stemmhammer von einem Mann, der auf der Nordseeinsel Wangerooge arbeitete, erworben zu haben. Kommissarin Behrens erläuterte dem Mann, dass damit der Tatbestand der Hehlerei nach Paragraph 259 StGB erfüllt sei. Beide Beamten nahmen den Mann, der sich kooperativ zeigte, zur Vernehmung mit nach Oldenburg. Nach der Vernehmung wurde dieser wieder auf freien Fuß gesetzt. Zeitgleich durchsuchten Beamte mit Unterstützung des SEKs die besagte Lagerhalle in Edewecht. Bei dieser Aktion wurden zwei verdächtige Personen festgenommen, die in der Lagerhalle Gegenstände sortierten. Die Beamten entdeckten eine Vielzahl von Werkzeugen und Baumaschinen. Der Gesamtwert des Diebesgutes wurde auf einen Wert von 250.000€ geschätzt. Bei den anschließenden Vernehmungen zeigte sich den Beamten das Netzwerk einer Diebesbande, welche im gesamten norddeutschen Raum agierte. Zusätzlich konnte die Polizei Krefeld einen Mann festnehmen, der bei einem Einbruch Goldschmuck und Münzen stehlen wollte. Der Wohnsitz des Mannes war Edewecht. Auch er schien zu besagter Diebsbande zu gehören.
Nachdem die Beamten in Oldenburg ihre Ermittlungsergebnisse zusammengetragen hatten, griff Mona Behrens zum Telefon und wählte die Nummer des Polizeipostens Wangerooge. Diesmal meldete sich Lars Petersen.
„Moin, was verschafft mir die Ehre, mit der Organisierten Kriminalität zu sprechen?“
„Haha, du kannst es nicht lassen. Ich brauche eure Hilfe.“
In kurzen Worten schilderte sie die Ermittlungsergebnisse und kam dann zu dem Punkt, der für die Wangerooger Kollegen von Bedeutung sein würde.
„Auf einer eurer Baustellen arbeitet ein Mann namens Dennis Genz. Dieser ist dem Haftrichter vorzuführen. Der Mann ist in Oldenburg gemeldet, aber hier nicht anzutreffen. Schafft ihr das alleine oder braucht ihr personelle Unterstützung? Wenn ich richtig informiert bin, seid ihr doch jetzt zu dritt, oder?“
„Was du alles so weißt? Okay, wir übernehmen!“
„Das ist jetzt aber ein Satz wie aus einem Kriminalfilm.“
„Joo, im Moment wird ja in Ostfriesland viel gedreht. Wir sind hier als Provinzbullen voll in Mode gekommen.“
Mona lachte laut „Fehlt eigentlich nur noch eine Serie um den eigenwilligen Kommissar Petersen mit seiner sexy Gitarre und dem skurrilsten Kneipenwirt aller Zeiten, auf dem heiligen Sandhaufen Wangerooge. Das wäre dann wohl der Stoff, aus dem die Träume sind.“
„Bloß nicht, ich bin hier sowieso bekannt wie ein bunter Hund. Obwohl, die schauspielerische Besetzung des Magisters wäre schon eine echte Herausforderung.“ Jetzt musste auch Petersen herzlich lachen.
„Deinen Humor hast du ja, Gott sei Dank, immer noch. Nach der Festnahme setzt ihr den Mann ins Flugzeug. Wir lassen ihn in Harle abholen und derjenige oder diejenige, die ihn begleitet, kann sofort zurückfliegen. Einverstanden?“
„Roger over out, zu Befehl!“
Mit diesen Worten hatte er das Gespräch beendet. Er konnte es einfach nicht lassen, dachte Mona. Dies „zu Befehl“ interpretierte sie als Spitze. Nach wie vor hatte er wohl ein Problem damit, dass sie jetzt in einer wichtigen Abteilung saß, während er den Dorfpolizisten auf Wangerooge gab, obwohl er es seit geraumer Zeit hätte anders haben können.
Auf Wangerooge rief Petersen seine Kollegen zusammen und informierte sie über den neuen Auftrag. Heike Wohlers suchte nach der Nummer des Poliers, der wegen der gestohlenen Werkzeuge in der Peterstraße auf der Wache war. Zum Telefonieren ging sie kurz ins Nebenzimmer. Mit den Worten „Baustelle im Westen“ kam sie wieder.
„Also, laut Aussage des Poliers arbeitet dieser Genz auf einer Baustelle im Westen. Er sprach von einem Hotelneubau. Lars, weißt du davon etwas?“
„Die Baustelle liegt bei dem alten „Westturm Café“. Scheiße, wie kommen wir denn dahin?“
Wohlers wusste, was jetzt kommen würde: Die Litanei über ein fehlendes Dienstfahrzeug. „Bitte, sag jetzt nichts“, grinste sie Petersen an, „sag lieber, wie wir vorgehen.“
Ronny verstand nur Bahnhof. Er blickte die beiden groß an, warum sollte Petersen nichts sagen?
„Also“, ergriff ein leicht verärgerter Petersen, der diese Spitze durchaus verstanden hatte, das Wort: „Wir haben zwei Fahrräder, mir als Dienstältesten steht das E-Bike zu, Ronny, du nimmst die alte Mühle. Du bist jung und sportlich. Zu zweit sollten wir das schon hinkriegen.“
Wohlers blickte Petersen böse an. „Was ist mit mir? Nur weil ich eine Frau bin, soll ich nicht mit?“
Petersen stöhnte laut auf. „Das hat nun mit dem Geschlecht nichts zu tun. Ich hätte dich gerne als ‚Back Up‘ hier.“
„Back Up, Back Up“, äffte sie ihn jetzt nach, „was soll das denn?“
„Falls der Junge uns entwischt oder nicht da ist, bist du hier und kannst dann sofort handeln.“
So richtig überzeugt war sie von seinem Argument nicht, ließ es aber dabei bewenden.
Einige Minuten später radelten die beiden Beamten auf dem Deich am Wattenmeer in Richtung Westen. Da Ronny diesen Teil der Insel noch nicht kannte, gab Petersen einige Hinweise zu diesem Ortsteil der Gemeinde Wangerooge, in dem sich vor allem sehr viele Schullandheime befanden. Vor der Wegabzweigung zum Hafen stellten sie ihre Fahrräder ab.
„Ich gehe von vorne direkt zur Baustelle und frage ganz offiziell nach diesem Genz. Du gehst hinter die Baustelle, falls der uns stiften geht, okay?“ Ronny nickte. Dann trennten sich die beiden Beamten. Petersen ging direkt vor das Gebäude, dessen Rohbau schon fast fertig war. Auf dem Gerüst sah er einen Mann, der irgendwelche Fugen verspachtelte.
„Moin, arbeitet hier ein Dennis Genz? Ich würde den gerne mal sprechen.“
Der Mann nickte und wies auf einen anderen Handwerker, der am rechten Ende des Gerüstes arbeitete. „Dennis, hier ist jemand, der dich sprechen will!“
Dennis Genz hatte den Beamten bislang nicht gesehen, da er intensiv an den Fugen kratzte. Er blickte sich jetzt aber um und sah den uniformierten Petersen. Sofort ließ er sein Werkzeug fallen und rannte auf dem Gerüst lang um die nächste Ecke.
„Scheiße“, stöhnte Petersen, „das muss doch jetzt nicht sein.“ Schnell lief er weiter nach rechts, um zu sehen, wo Genz abgeblieben war. Genz rannte direkt auf Ronny zu, der sich aber zu Petersens Entsetzen überhaupt nicht bewegte, so dass Genz mühelos an Ronny vorbeilaufen konnte.
„Ronny“, brüllte Petersen, aber dieser stand nur regungslos da und rührte sich nicht vom Fleck. Als Petersen näher kam, sah er in Ronnys blasses Gesicht. Sein kompletter Körper zitterte und er hatte ganz glasige Augen.
„Ich hätte nicht schießen können. Du kannst mich melden. Ich bin für den Polizeidienst nicht mehr zu gebrauchen.“
Am liebsten hätte Petersen Ronny in den Arm genommen, aber sie wurden beobachtet.
„Komm“, sagte er daher nur zu Ronny und beide gingen langsam zurück zu den Fahrrädern. Petersen zückte sein Diensthandy. „Jetzt kommt Heikes große Stunde“, murmelte er halblaut. „Heike, der ist uns abgehauen“, schilderte er die Situation, ohne allerdings das Verhalten von Ronny zu erwähnen. Ich denke, er wird über das Deckwerk versuchen, sich in Richtung Jan Seedorf zu bewegen.“
„Scheiße, jetzt habe ich kein Fahrrad. Bis ich da hinkomme, ist der über alle Berge.“
„Quatsch, wo soll der denn hin? Hol dir vom Fahrradverleih ein Rad. Im Notfall beschlagnahmst du es.“
Heike Wohlers schüttelte nur den Kopf über Petersens Vorschlag. „Wie sieht der Kerl denn aus?“
Petersen gab eine kurze Beschreibung von Genz durch. „Am besten versteckst du dich bei ‚Jan Seedorf‘ in den Dünen, da kommen beide Wege aus dem Westen raus. Wir kommen jetzt zurück. Nimm das Fernglas mit, damit du auch den Weg auf dem Deich im Auge hast. Wenn er da kommt, übernehmen wir wieder.“
„Okay, verstanden.“
Heike Wohlers nahm ihre Jacke und ging im Laufschritt zum Fahrradeverleih nebenan, in die Kapitän-Wittenberg-Straße. Der junge Mann dort gab ihr ohne große Formalitäten ein Fahrrad, so dass sie sich unverzüglich auf den Weg machen konnte.
Petersen legte jetzt seine Hand auf Ronnys Schulter. „Hör mal zu, sowas ist doch normal, nachdem, was du erlebt hast. Gemeldet wird hier gar nichts. Und geschossen wird hier bei so einer Sache sowieso nicht. Das ist ein Kleinkrimineller, der gefährdet hier niemanden. Und außerdem, wie soll der denn so schnell von der Insel kommen?“
„Du kannst dich nicht auf mich verlassen. Das ist bei Kollegen, die im Einsatz sind, absolut nicht zu entschuldigen.“
„Vielleicht geht es auch eine Nummer kleiner? Das ist ein langsamer Prozess, bis du wieder der alte bist, okay? Wir sind hier nicht in Bremen, wo Polizisten ständig angegriffen werden, deshalb bist du ja hier. Jetzt wird nicht aufgegeben.“
Ronny nickte zaghaft, als er sein Fahrrad aufschloss. Petersen wunderte sich über sich selbst. War er jetzt neben dem Inselsheriff auch noch der Inselpsychologe? Das wäre dann für den Magister die nächste Steilvorlage.
Sie stiegen gerade aufs Rad, als Heike Wohlers sich meldete: „Position erreicht, habe die Wege im Blick.“
„Sehr gut“, rief Petersen ins Funkgerät, „wir sind auf dem Weg.“
Heike Wohlers saß hinter einer Dünenkuppe und beobachtete den Weg, der aus dem Westen kam. Was ihr nicht ganz behagte, war die Tatsache, dass im Sommergarten des Inselgasthofs „Jan Seedorf“ einige Gäste saßen. Was, wenn es zu einer Konfrontation mit Genz kommen würde? Petersen hatte nichts von einer Waffe gesagt. Sollte sie noch einmal nachfragen? Zu spät. Langsam schlich ein Mann in Handwerkermontur den Weg entlang. Er schien völlig außer Atem zu sein. Sie musste einen Moment warten, bis dieser den Inselgasthof passiert hatte. Sie hatte große Bedenken, dass sonst Gäste in die Sache verwickelt werden könnten. Als er weit genug entfernt von ihnen war, richtete Heike Wohlers sich auf und ging seitwärts auf Genz zu. Sollte sie die Waffe ziehen? Sie entschied sich dagegen.
„Herr Genz“, rief sie, „bleiben Sie bitte einen Moment stehen.“
Genz erschrak sich und schien zu überlegen, was zu tun sei.
„Ich muss die Waffe doch wohl nicht ziehen, oder? Wir können doch alles ganz ruhig klären.“ Sie legte bei ihren Worten die rechte Hand auf ihre Waffe, die im Holster saß. Genz sah sie an und registrierte, dass die Hand der Polizistin auf der Waffe ruhte.
„Okay, es hat keinen Zweck mehr. Ich gebe auf.“
Heike Wohlers näherte sich ihm langsam. „Ich lege Ihnen jetzt Handschellen an. Bleiben Sie ganz ruhig. Das ist nur eine Vorsichtsmaßnahme, dass sie nicht wieder abhauen. Sie kommen sowieso nicht von der Insel.“
Genz nickte und ließ sich widerstandslos die Handschellen anlegen. In diesem Moment kamen Petersen und Ronny mit ihren Fahrrädern um die Ecke geschossen und staunten nicht schlecht, als sie Genz in Handschellen sahen.
„Kompliment, Frau Kollegin, gute Arbeit.“
Das war ja schon fast ein emotionaler Ausbruch, dachte Wohlers, selten von ihm gehört. Ronny schämte sich, warum war ihm das nicht gelungen? Als die drei Beamten mit ihrem Gefangenen in Richtung Polizeiposten gingen, legte Petersen noch einmal mit einem Lob nach, das in Richtung Ronny zielte.
„Gute Teamarbeit, ich freue mich schon, Oldenburg zu berichteten. Ronny, du wirst mit Genz nach Harle fliegen und gleich wieder zurückkommen.“
Ronny war nicht so ganz wohl in seiner Haut. Warum vertraute ihm Petersen, nachdem er so kläglich versagt hatte?
Petersen klopfte ihm auf die Schulter. „Du hast ja wohl keine Flugangst?“
Ronny schüttelte den Kopf. Irgendwie freute er sich, mal mit so einer kleinen Maschine fliegen zu können.