Читать книгу Religionsgeschichte Anatoliens - Manfred Hutter - Страница 31
2.3.2 Lokale Tempel bzw. kleinere Schreine
ОглавлениеNeben den Tempeln, die auch Wirtschaftseinrichtungen95 waren, gab es kleinere Schreine, wahrscheinlich nicht nur im Zusammenhang mit den Palastanlagen, sondern in kleineren Ortschaften anstelle eines »voll ausgestatteten« Tempels. Dabei ist terminologisch zu beachten, dass man die Unterscheidung zwischen Schreinen bzw. Kulträumen sowie Räumen, in denen neben anderen primären Aktivitäten auch kultische Handlungen vollzogen werden konnten, nicht unbeachtet lassen soll. Der archäologische Nachweis solcher Schreine ist aber bisher strittig, wobei zwei Fundkomplexe zu nennen sind.
Zum althethitischen Grabungsbefund von İnandık gehören um zwei Höfe agglutinierend angelegte Räume. Der Ausgräber Tahsin Özgüç hat dieses Bauensemble als Tempel (für den Wettergott) interpretiert.96 Die Abweichung der Architektur von anderen bekannten Tempeln im Hethiterreich erklärte Özgüç dahingehend, dass die Tempel oder Schreine der althethitischen Zeit noch nicht so klare Baustrukturen wie in späterer Zeit aufwiesen. Dirk Mielke widerlegte diese Annahme, indem er zeigen konnte, dass das Bauensemble in İnandık ein profaner lokaler Herrschersitz vom Ende der althethitischen Zeit war. Dass in einem der Räume auch Kulthandlungen vollzogen werden konnten, widerspricht dieser Interpretation nicht; eine reliefierte Vase, Libationsgefäße in Form von Stierfiguren und das Modell einer Tempel-Cella als Kleinfunde illustrieren dies.
Der zweite archäologische Fundkomplex, der nach der Deutung des Ausgräbers Tayfun Yıldırım einen kleinen Tempel oder lokalen Schrein darstellen könnte, ist das so genannte Gebäude I aus Hüseyindede,97 ein Ort, der ca. 45 km nordwestlich von Ḫattuša und 60 km westlich von İnandık liegt. Das Gebäude I (23 mal 16 Meter) ist deutlich größer als die anderen Bauten des Ortes und liegt auf dem höchsten Punkt des Grabungshügels. Zwar betont Yıldırım, dass die typische Architektur eines Tempels mit Torbau, größerem Innenhof und einer klar identifizierbaren Cella fehlt, so dass man Gebäude I nicht mit den monumentalen Tempelanlagen in Ḫattuša auf eine Ebene stellen sollte. Da aber in diesem Gebäude vier reliefierte Vasen gefunden wurden, die kaum für den Alltagsgebrauch, sondern für Kulthandlungen verwendet wurden, schlägt Yıldırım vor, dieses Gebäude als kleinen lokalen Schrein aus dem 16. Jahrhundert zu interpretieren. Aber auch in diesem Fall ist es – analog zu İnandık – wahrscheinlich, den Fundkomplex als einen größeren »Landsitz« zu interpretieren.
Beide Grabungsbefunde sind trotz der strittigen Interpretation insofern religionsgeschichtlich aufschlussreich, als sie wenigstens teilweise erkennen lassen, dass Kulthandlungen auch außerhalb der großen Tempel und Feste stattgefunden haben, wobei das »Bildprogramm« auf den reliefierten Vasen, auf das noch einzugehen sein wird, unsere Kenntnisse über die Durchführung von Kulthandlungen bereichert.