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„Wir haben immer noch keinen Kaffee!“ Die Goldarmreifen von Alex Winger klimperten als sie die Hände in die Hüften stemmte und sich ungehalten nach dem Gerichtsdiener umsah. Halb zehn. Shane saß in der ersten Reihe der rot gepolsterten Sitze und sah zum wiederholten Mal auf seine Uhr. Er hätte auch nichts gegen einen Kaffee gehabt. Der Staatsanwalt warf nervöse Blicke auf seine Armbanduhr und rückte erneut die gelockte Perücke zurecht. Man schien auf etwas oder jemanden zu warten. Vielleicht hatte sich der Richter verspätet?

Shane wollte nach Hause. Er hasste dieses Klima, die feuchte Hitze, von der die Einwohner behaupteten, sie sei trocken und erst ab August feucht. Er wunderte sich nicht, dass die holländischen Seefahrer, die als erste Europäer im siebzehnten Jahrhundert auf die nördliche, unwirtliche Küste des Kontinents stießen, recht bald wieder die Flucht ergriffen – um sich, wie andere Europäer auch, zweihundert Jahre lang nicht mehr sehen zu lassen.

Gestern Abend hatte er allein in einem Pub in der belebten Mitchell-Street ein paar Bier getrunken und war dann ein paar Meter weiter in seinem Hotel ins Bett gesunken. Er schlief schlecht, die Aircondition heulte und rasselte die ganze Nacht gerasselt und er lag da, und dachte an sein neues Leben, das er ab nächster Woche führen würde. Wie ginge es mit Carol weiter, wenn sie sich öfter sehen würden? Gab es für sie beide überhaupt eine Zukunft oder würden Gewohnheit und Alltag nach und nach ihr Leben besiegen? Er dachte an seinen Vater, dem er noch immer nicht die Frage nach seiner Rolle im Korruptionsfall der Polizei gestellt hatte. Und schließlich dachte er an Jack. Jacks Frau hatte durch den Schock ihren kleinen Sohn viel zu früh zur Welt gebraucht, doch er hatte die kritischen Monate überlebt und entwickelte sich gut. Seine, Shanes Tochter, hatte sich zum Glück von ihrem ehemaligen Berufswunsch abgewendet: Sie wollte nicht mehr Polizistin werden, sondern Anwältin. Er hoffte nur, sie würde sich nicht zu einem solchen Exemplar wie Alex Winger entwickeln.

Anwältin und Staatsanwalt sahen in immer kürzeren Abständen auf ihre Uhren. Schließlich stand Shane auf und ging hinaus. Einer der Sheriffs lehnte am Geländer und blickte auf.

„Warum geht’s nicht weiter?“, fragte Shane.

Der Sheriff verzog das Gesicht. „Wir warten auf die Akten.“

Shane sah seine kleinen gelben Zähne. „Und warum dauert das so lang?“

„Keine Ahnung.“ Der Sheriff gähnte und kratzte sich an seinem kurz geschorenen Kopf. Die Fingernägel waren bis auf die Nagelhaut abgekaut.

„Ist manchmal `ne langwierige Sache, so was.“

Shane wusste nicht, was er meinte. Aber es war ihm gleichgültig. Er wollte nur endlich entlassen werden.

„Ich wollte eigentlich heute noch abfliegen.“

„Nur mit der Ruhe.“ Der Sheriff nickte bedächtig. Nebenan wurde die Tür aufgerissen, und der Staatsanwalt kam so schnell auf Shane zu, dass sich sein schwarzer Umhang bauschte.

„Die Verhandlung wird unterbrochen. Es gibt ein Problem, Detective.“

Das wusste er bereits. Er versuchte sich an die späteren Abflugzeiten zu erinnern.

„Die Verteidigung hat Ihre Akten nicht.“ Shane hörte den schadenfrohen Unterton.

„Warum holt sie sie dann nicht? Mrs. Winger scheint doch sonst so pragmatisch.“ Shane sagte es ironischer als beabsichtigt. Und wenn schon. In einer Woche hätte er mit all dem nichts mehr zu tun. Staatsanwälte, Verteidiger, Richter.

„Ihre Assistentin hat sie. Und die ist heute Morgen nicht erschienen.“

„Vielleicht hat sie verschlafen? Warum fährt keiner zu ihr?“ Sollte er etwa wegen des Katers einer Anwaltsgehilfin oder ihres defekten Weckers sein Flugzeug verpassen?

„Schon längst geschehen, aber…“ Der Staatsanwalt schüttelte den Kopf.

„Dann kann es ja nicht mehr so lang dauern, oder wohnt sie vielleicht in Alice Springs?“

„Sie wohnt in Darwin“, sagte der Staatsanwalt ohne die geringste Spur von Humor. „Aber sie ist nicht zu Hause. Und telefonisch ist sie nicht zu erreichen. Ehrlich gesagt, das ist seit drei Jahren noch nie bei ihr vorgekommen.“

Da war Shane sicher. The Shark hätte sie sofort hinausgeworfen. In diesem Moment sah er hinter dem Rücken des Staatsanwalts Alex Winger aus dem Saal kommen. Sie strahlte dieselbe Unnahbarkeit wie bei der Verhandlung aus. Zwei Meter vor ihnen blieb sie stehen, und Shane fragte sich, ob sie allgemein körperliche Nähe nicht ertragen konnte, oder nur seine nicht.

„Ich bin sicher, Herr Kollege, es klärt sich auf“, sagte sie und wirkte tatsächlich auf einmal ein wenig unsicher.

Dieser rang sich ein Lächeln ab. „Sicher. Was ist, kommen Sie runter in die Cafeteria?“

Sie winkte ab. „Ich muss noch telefonieren.“

„Was ist mit Ihnen, Detective?“

Er hatte außer ein paar Tassen Kaffee noch nichts im Magen.

„Ja, warum nicht.“

Auf der Treppe kam ihnen schnaufend Louise Woolfe entgegen. „Ich hab’s schon gehört, Valerie Tate ist unauffindbar.“

Der Staatsanwalt und blieb stehen. „Ja, seltsam.“

„Hoffentlich ist nichts passiert“, Louise schob den Riemen ihrer Handtasche wieder auf die Schulter als ihr Handy klingelte. „Ja, Mister Hoffman, ich bin schon auf dem Weg.“ Zu Shane sagte sie: „Ich muss los. Meine Sachverständigen erwarten mich. Ich hoffe, wir kommen heute zu einem Abschluss.“

Spurlos

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