Читать книгу Spurlos - Manuela Martini - Страница 7

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Der Staatsanwalt hatte ihn gewarnt. „Lassen Sie sich nicht einschüchtern! Wenn Sie spürt, dass Sie unsicher werden, macht Sie sie fertig. Alex Winger ist `ne Knallharte.“

Die Einschätzung war nicht übertrieben, und Shane machte sich auf den nächsten Angriff gefasst.

„Detective, als Sie ins Haus stürmten, hatten Sie weder einen Haftbefehl, noch einen Durchsuchungsbefehl, korrekt?“ Die Stimme der Anwältin war schneidend und durchdringend, dabei hätte sie in ihrer tiefen Tonlage durchaus auch angenehm klingen können.

Shane versuchte seinen Ärger herunterzuschlucken. Was zum Teufel hatte er in diesem Zeugenstand zu verlieren? Und warum musste er sich dieser arroganten Anwältin mit den kalten blauen Augen aussetzen? Sie wandte ihren Blick von ihm auf das Papier in ihrer Hand, berührte kurz die altertümliche blonde Lockenperücke auf ihrem schulterlangen, dunklen Haar. Dabei klimperten ihre schmalen Goldarmreifen. Sie tat alles, um ihn durch ihre scheinbare Gelassenheit und ihre Interesselosigkeit zu einer unbedachten Äußerung zu verleiten. Er kannte das Spiel.

„Korrekt“, antwortete er.

„Sie trugen Zivil, Detective?“

„Ich trage immer Zivil. Ich bin Detective der Mordkommission, seit über …“

„Wir wissen, was Sie sind, Detective.“ Alex Winger schnitt ihm das Wort ab, ohne ihn anzusehen.

Shane sah auf die andere Seite des Raums, wo sich die mit einer Glasscheibe vom übrigen Raum abgetrennte Kabine befand, in der zwei Sheriffs den Angeklagten bewachten. Der Angeklagte, Muhammad Solea, ein Schwarz-Afrikaner aus Nigeria, erweckte in seinem blütenweißen Hemd und der gelbschwarz gestreiften und sorgfältig geknoteten Krawatte, mit dem kurz geschorenen Haar und der Goldrandbrille den Anschein eines ehrbaren Bankangestellten. Verdammter Mistkerl, dachte Shane.

„Detective O’Connor“, drang Alex Wingers laute Stimme wieder durch den Raum, „Sie klopften also an die Tür des Hauses, in dem Sie den Angeklagten, meinen Mandanten, vermuteten? Korrekt?“

„Wir vermuteten nicht, wir wussten …“ Er brach ab. „Ja, ich klopfte.“

Ein kaum merkliches spöttisches Lächeln flog über ihr Gesicht ohne ihn wirklich anzusehen. Sie klimperte mit den Armreifen.

„Sie klopften? Nun: Sie schlugen mit der Faust an die Tür. Mehrmals. Als Ihnen die völlig verängstigte Aborigine-Lady öffnete, zeigten Sie nicht Ihren Ausweis, richtig?“

„Wir wussten, dass der Mörder im Haus …“

„Sie zeigten nicht Ihren Ausweis …!“

Er ballte seine rechte Hand zur Faust. „Nein. Ich zeigte ihn nicht.“

„Wie war die Reaktion der Frau?“

„Ich kann mich nicht genau erinnern. Wir standen unter Zeitdruck …“

Shane sah zum Staatsanwalt hinüber, der nervös auf seinem Sessel herum rutschte. Ganz anders als der Richter in seiner roten Robe, der in seinem Sessel kauerte als ob er schliefe. Wieder das Klimpern der Armreifen.

„Nun, Detective, ich sage Ihnen, wie Ihre Reaktion aussah: Die Aborigine-Lady war starr vor Schreck. Denn sie verstand nicht, was Sie wollten, sie war nicht in der Lage einzuschätzen, ob Sie von der Polizei waren oder ein Krimineller. Sie trugen weder Uniform, noch zeigten Sie einen Ausweis. Sie stürmten mit gezogener Waffe an ihr vorbei!“ Die Anwältin setzte die Brille auf und zitierte aus ihren Unterlagen: „Die Aussage der Aborigene-Lady: Der Mann mit der Waffe stieß mich an die Wand. Der Mann“, sie sah kurz auf, „das sind Sie, Detektive O’Connor – ich fahre fort“, Sie las weiter: „Ich prallte an die Wand, ich schrie, der Mann mit der Waffe riss die Tür zum Schlafzimmer auf. Ich hörte Poltern und Schreie. Der Mann rief: Auf den Boden, du Schwein! Dann krachte es und ich hörte dumpfe Schläge. Dann kam der Mann mit Muhammad heraus. Muhammad trug Handschellen und blutete aus der Nase und aus dem Mund.“ Sie setzte die Brille ab und sah auf. „Detective O’Connor, Sie haben nicht nur die Aborigine-Lady eingeschüchtert und verletzt, Sie haben auch meinen Mandanten, gegen den zu diesem Zeitpunkt kein Haftbefehl vorlag, körperlich versehrt. Er hatte eine gebrochene Nase und verlor einen Schneidezahn. Gehen Sie bei Ihren Festnahmen immer so vor?“ Provozierend direkt sah sie ihn mit ihren eisblauen Augen an.

Warum legte dieser verfluchte Staatsanwalt keinen Einspruch ein?

„Einspruch!“, kam es endlich.

„Stattgegeben“, brummte der Richter und machte eine müde Handbewegung.

Die Anwältin räusperte sich. „Sie sind äußerst brutal vorgegangen, Detective. Warum haben Sie nicht Ihre Marke gezeigt und meinen Mandanten einfach festgenommen?“

Nein, er würde nicht in ihre Falle tappen – er sagte so sachlich er konnte:

„Sie werden mit Sicherheit meine Akte gründlich studiert und dabei festgestellt haben, dass dieses Vorgehen eine Ausnahme war. Es war Gefahr im Verzug. Es bestand Fluchtgefahr. Wir hatten noch keinen Haftbefehl, weil wir den wichtigsten Hinweis in dem Moment bekamen, als wir uns zwei Straßen vor dem angeblichen Aufenthaltsort des Täters befanden. Da wollten wir nicht zurückfahren.“

„Sie hätten jemanden benachrichtigen können, Detective. Sie benutzen doch sicher so wie ich, auch hin- und wieder ein – wie nennt man das Ding, das man inzwischen überall mit herumtragen kann? – Handy, nicht wahr?“

„Einspruch, Euer Ehren, das …“ Der Versuch des Staatsanwaltes scheiterte kläglich. Eine Handbewegung des Richters ließ ihn verstummen. „Einspruch abgelehnt, fahren Sie fort, Mrs. Winger, aber ersparen Sie uns Ihre Polemik.“

„Ja, Euer Ehren. Danke.“

Die Assistentin, die neben Winger stand, in schwarzen langen Hosen und weißer, konservativer Bluse, beugte sich zu ihrer Chefin und flüsterte ihr etwas ins Ohr, worauf diese nickte. Die Assistentin drückte einen Ordner an sich und ging auf ihren hohen Schuhen mit schnellen, bestimmten Schritten zum Ausgang. Sie glich ihrer Chefin in auffallender Weise: schulterlanges, dunkles, glattes Haar, blasse Haut, blaue Augen. Shane war sicher, Alex Winger war eine verdammte Narzistin.

„Detective O’Connor“, fuhr Winger fort, „Sie haben seit einem Jahr gesundheitliche Probleme. Sie wurden bei einer Schießerei, verletzt.“

Was sollte das jetzt?

„Ja.“

„Damals wurde Ihr langjähriger Partner erschossen. Sie überlebten. Ihr Bein, Ihr Arm sind noch immer nicht wieder vollständig in Ordnung.“

Er antwortete nicht. Es war keine Frage. Es war eine Tatsache.

„Nicht nur Ihre psychische Verfassung hat gelitten, auch Ihre körperliche.“

Wieder antwortete er nicht, dachte an seine Schmerztabletten und seine Narben. Der Staatsanwalt starrte ihn ausdruckslos an. Shanes Wut wuchs. Er hatte einen Mörder und Dealer gestellt, warum stahlen sie seine Zeit?

„Detective O’Connor, könnte man annehmen, dass Sie infolge Ihrer psychischen und körperlichen Situation heftiger und aggressiver reagiert haben?“ Ihre Stimme hatte einen mitfühlenden Unterton bekommen.

Nein, so billig war er nicht zu haben. Sein Puls lag sicher bei 90, er fühlte sein Blut kochen, und seine Schläfen pochten, aber er hielt sich unter Kontrolle.

„Meine Verletzungen sind so gut wie auskuriert. Ich hätte auch vor Jahren in diesem Fall nicht anders gehandelt. Es ging darum, den Mörder zu fassen, ihn an einer Flucht zu hindern. Und das ist uns gelungen.“

Den Punkt hatte er gemacht.

„Mit wir“, fuhr die Anwältin unbeeindruckt fort während sie das Schreiben überflog, „meinen Sie: sich selbst und Detective Tamara Thompson.“

„Korrekt.“ Seine Partnerin war im Moment bei einer Fortbildung in London und bereits per Videokonferenz im Verhandlungsraum befragt worden. Shane warf einen Blick schräg hinter sich auf die Jury: Ein Haufen nachlässig gekleideter Männer und Frauen, die in drei Reihen auf der dem Angeklagten gegenüberliegenden Seite des Raums saßen. Einige von ihnen unterhielten sich leise miteinander. Von den elf Personen erweckten nur vier den Eindruck, sich ihrer Rolle und Aufgabe bewusst zu sein. Mindestens zwei hätten Junkies sein können: Ausgemergelte Gestalten mit farblosem, dünnen Haar und dürren Beinen in abgetragenen Shorts.

Der Richter lehnte sich ein wenig nach vorn.

„Sofort, Euer Ehren!“ Alex Winger blätterte überraschend nervös in einem Schnellhefter.

Der Staatsanwalt hatte den Blick auf seine Unterlagen konzentriert, zog dabei an den weiten Ärmeln seiner Robe, und schob sich die gelockte Perücke aus der Stirn. Die breite Tür aus dunklem Holz öfffnete sich, Wingers Assistentin kam zurück. Der strapazierfähige dunkelrote Teppich schluckte das Geräusch ihrer hart aufsetzenden Absätze. Sie gab ihrer Chefin ein Papier.

„Mrs. Winger …?“

„Entschuldigen Sie, Euer Ehren!“ Tatsächlich war sie für Sekunden aus der Ruhe gebracht worden, doch jetzt sah sie auf, nahm ihre Brille ab.

„Detective O’Connor, vor fünf Jahren“, begann sie dann langsam und musterte ihn arrogant, „haben Sie einen Journalisten angegriffen und ihm ins Gesicht geschlagen. Korrekt?“

Er holte Luft. Beruhige dich, sagte er sich, sonst hat sie dich genau da, wo sie dich haben will.

„Einspruch!“ Der Staatsanwalt sprang auf als sei er plötzlich aus einem Traum erwacht, doch der Richter sagte nur gelangweilt, „Einspruch abgelehnt, fahren Sie fort, Mrs. Winger!“

„Danke, Euer Ehren. Sie haben ihm also ins Gesicht geschlagen.“ Der kühle Blick der Anwältin ließ nicht von ihm ab.

„Es gab eine Vorgeschichte, er hatte …“

„Sie haben ihm ins Gesicht geschlagen, korrekt?“ Ihr Ton wurde schärfer. Er kapitulierte.

„Korrekt.“

„In diesem Fall war weder Gefahr im Verzug noch hatte der Journalist jemanden getötet oder hatte dies vor. Richtig?“

Er nickte. Ein kaum merkliches Zucken ihres Mundwinkels verriet ihren Triumph. Sie hatte ihn endlich da, wo sie ihn haben wollte: auf dem Boden. Nun musste sie nur noch wie ein Jäger den Fuß auf die erlegte Beute stellen.

„Detective O`Connor“, sie setzte ihre Lesebrille ab, und sah ihm in die Augen. Komm’ schon, dachte er, komm’ schon, bringen wir’s hinter uns. Versetz’ mir den Todesstoß!

Sie lächelte mitfühlend.

„Sie haben im Grunde selbst eingesehen, dass Sie den Anforderungen physisch und psychisch nicht mehr gewachsen sind.“ Sie ließ die Akte sinken. „Sie haben genau zwei Wochen nach der Festnahme meines Mandanten Ihre vorzeitige Entlassung aus dem Polizeidienst eingereicht.“ Sie genoss die plötzliche Aufmerksamkeit aller im Raum befindlichen Menschen. „Das ist doch korrekt, oder?

Sie hatte ihn erlegt. Er war tot. „Das ist doch korrekt, oder?“, wiederholte sie. Er nickte endlich, nahm sich zusammen, und sagte so klar wie möglich: „Das ist korrekt, ja.“

„Sie sind nur noch“ sie sah auf ihre Notizen, „ja, Sie sind noch genau sieben Tage Detective der Homicide Squad Queensland. Und dann“, ihr Lächeln wurde intensiver, er konnte ihren Anblick kaum noch ertragen. Er zwang sich, den Blick nicht abzuwenden. Nein, diesen Triumph wollte er ihr nicht auch noch gönnen. Er wollte mit offenen Augen sterben.

„Und dann“, fuhr sie fort, „sind Sie Pensionär. Frührentner, ist das richtig?“

„Ja, das ist richtig.“ Er hatte versucht, so emotionslos wie möglich zu antworten. Er hoffte, es war ihm einigermaßen gelungen.

Ihr zufriedenes Nicken, ihr triumphales Lächeln - dann Schluss.

„Danke, Detective. Keine weiteren Fragen.“

Auch der Staatsanwalt hatte keine weiteren Fragen, und Shane durfte den Zeugenstand verlassen. Als Shane heute Morgen in Darwin angekommen war, hatte ihn der Staatsanwalt auf die Anwältin vorbereitet. Er hatte nicht untertrieben.

Geschlagen aber irgendwie erleichtert stieß Shane die schwere Holztür des Gerichtssaals auf und atmete durch als sie sich hinter ihm schloss, und er im großen, lichtdurchfluteten Foyer stand.

Oft hatte er in seinem Berufsleben vor Gericht aussagen müssen, und er hasste es noch genauso wie am Anfang. Nicht selten musste man sich von arroganten Anwälten wie der letzte Dreck behandeln lassen. Doch das war sein vorletzter oder vielleicht letzter Auftritt gewesen. Morgen würde er zurück nach Brisbane fliegen, und in einer Woche wäre er kein Detective mehr. Dann konnten sie ihn alle mal.

Spurlos

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