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Gleich links vom Qantas-Gebäude begann der Park, in dem einige Ruinen - die Reste des historischen Darwin - standen und sich in Richtung Arafura-Sea der moderne kastenförmige Bau, des Supreme Court erhob. Die hohen, schlanken Säulen, die die Vorderfront bestimmten, verliehen ihm das Nötige ehrwürdig Konservative.

Alison war etwas klar geworden: Sie musste dieser Frau ins Auge sehen. Sie musste wissen, wer sie war. Christine hatte gesagt, sie arbeite im Gericht. Das Parliament House lag nur wenige Straßen vom Writer’s Center entfernt.

„Ich muss vor der Mittagspause noch was erledigen, Meg!“, sagte sie und nahm ihre Handtasche.

„Bringst du mir ein Sandwich mit?“

„Was für eins?“

„Was du kriegen kannst. Ich bin heute nicht wählerisch!“

Alison nahm den Wagen, fuhr zurück auf die McMinn Street und parkte in der Bennett Street. Auf dem Weg durch den kleinen Park überlegte sie, ob sie Christine anrufen solle. Sie brauchte Unterstützung, eine Aufmunterung, jemanden, der ihr sagte, dass es richtig war, was sie nun tun würde. Sie hätte auch Meg fragen können, aber vielleicht hatte sie es nicht getan, weil sie ahnte, dass Meg ihr davon abgeraten hätte. „Sprich zuerst mit Matthew“, hätte Meg gesagt, und das klang auch vernünftig. Aber sie wollte nicht vernünftig sein. Sie war wütend. Mit Matthew würde sie später reden, heute Abend.

Entschlossen blieb sie im kühlen Schatten unter den Bäumen stehen und wählte Christines Nummer.

„Hast du einen Moment Zeit?“

Die Antwort kam zögernd, um nicht zu sagen, widerwillig.

„Was ist los?“ Im Hintergrund hörte Alison Föngeräusche. Sie verdrängte den Gedanken, dass sie in einem unpassenden Augenblick angerufen haben könnte. Jetzt hatte ihre sonst geübte Rücksichtnahme keinen Platz.

„Weißt du, wo ich gerade bin? Vor dem Supreme Court. Ich will sie sehen.“

„Alison“, kam es im leicht genervtem Tonfall. „Die Tussi ist mehr als zehn Jahre jünger, also frisch und knackig. Da kannst du noch so oft in die Gym rennen, den Kampf hast du doch schon verloren. Warum haust du Matthew nicht einfach die Wahrheit um die Ohren? Sag’ ihm, was du weißt und stell’ ihn vor die Wahl: Du oder die Scheidung!“

„Und wenn er sich für sie entscheidet?“ Sie hatte gar nicht so laut werden wollen.

Christine lachte auf. Es war ein kurzes, böses Lachen, das Alison an ihre Jugendzeit erinnerte. Da hatte Christine oft so gelacht, wenn sie Alisons Kleider angezogen oder ihren Lippenstift benutzt hatte.

„Er ist nicht der einzige Mann auf diesem Planeten, Alison!“

„Und wenn ich mit ihr rede?“

„Mit wem? Valerie Tate?“ Christines Stimme überschlug sich, als sei diese Idee das aller Idiotischste, das sie jemals gehört hatte. Dann aber senkte sie ihre Stimme. „Ich meine, warum schickst du nicht jemanden zu ihr? Jemanden, den sie ernst nehmen muss.“

„Willst du damit sagen, dass sie mich nicht ernst nimmt?“ Alison wurde immer klarer, dass es ein Fehler war, ihre Schwester anzurufen.

„Ach, Alison, komm schon!“ Christine stöhnte. „Pass’ auf, ich hab’ nicht ewig Zeit, aber wenn du unbedingt bei dieser Schnecke Eindruck machen willst, dann geh’ nicht selbst hin, sondern beauftrage jemanden. Leute, die ihre Rechnungen nicht bezahlen, die kriegen doch auch Besuch von solchen – na, wie heißen sie noch?“

„Inkasso-Unternehmen.“

„Genau. Ich denke dabei aber an die von der übleren Sorte, an die, die zwei Schlägertypen losschicken, die nicht zimperlich sind, die keine Probleme haben mit ´nem gebrochenen Finger oder ´nem ausgekugeltem Arm.“ Alison hörte ihre Schwester kichern.

Die Vorstellung, dass zwei brutale Kerle einer Frau die Finger brachen oder den Arm ausrenkten, entsetzte sie.

„Nein, Christine, ich kann das nicht!“

„Klar, kannst du das!“ Christine war auf von ihrer Idee begeistert. „Ich sag’ dir, so ein Typ vor der Tür kann schon ganz schön was bewirken! Er wird ihr nur eine kleine Kostprobe geben, die sie schnell überwunden hat. Aber sie wird sich dran erinnern. Dann verfolgt er sie ein paar Mal und schon kriegt sie es mit der Angst zu tun. So toll kann Matthew gar nicht sein, dass sie das alles ihm zuliebe erträgt!“

„Nein ...“

„Mein Gott, Alison!“ Der Fön im Hintergrund wurde endlich ausgeschaltet, „erst rufst du mich an und jammerst mir die Ohren voll, und dann machst du den Rückzieher! Sei doch einmal in deinem verdammten Leben nicht Daddys Liebling!“

„Lass’ Dad aus dem Spiel!“

„…und Dad“, fuhr Christine unbeirrt fort, „kriegt von all dem doch gar nichts mit! Du wirst es dir mit dem lieben Sugardaddy schon nicht verderben!“

„Du bist gemein, Christine.“ Hätte sie sich nicht denken können, dass Christine insgeheim triumphierte, dass sie, die Vorzeige-Schwester und Lieblingstochter auch einmal einen Schicksalsschlag ertragen musste?

„Hör’ zu, Schwesterherz“, sagte Christine, „wenn du nichts unternimmst, dann verschon’ mich in Zukunft mit diesem Bullshit. Ich muss jetzt weitermachen.“ Ohne sich zu verabschieden legte sie auf.

Alison fühlte sich noch niedergeschlagener als vor dem Telefonat. Eben noch war sie voller Elan auf das Gerichtsgebäude zugegangen, fest entschlossen, ihrer Widersacherin zu begegnen. Jetzt würde sie am liebsten zurück zum Wagen schleichen.

Komm’ schon, Alison, sieh ihr in die Augen!

Sie straffte Rücken und Schultern und hob ihr Kinn, wie schon einmal heute Morgen. Dann stieg sie die breiten Stufen zum Gerichtsgebäude hinauf.

Der Mann vom Sicherheitspersonal lächelte freundlich als sie auf ihn zukam. Sie fragte nach Valerie Tate.

„Die Verhandlung hat noch nicht wieder angefangen. Vielleicht treffen Sie sie noch oben.“

Sie wollte schon losstürmen, als er auf ihre Handtasche zeigte.

„Die muss ich noch untersuchen.“ Sie überließ sie ihm. „Und wenn ich Sie bitten dürfte.“ Er wies auf den Metalldetektor. Bebend vor Unruhe ging sie durch den Rahmen. Glücklicherweise piepste nichts, und es war offensichtlich, dass sie weder unter ihrem dünnen Sommerkleid noch in ihren Schuhen eine Waffe oder eine Bombe versteckt haben konnte. Er gab ihr die Tasche zurück.

„Saal Nummer neun, erster Stock!“

Sie lief zur Treppe, was ihr als der schnellere Weg erschien als den Aufzug zu nehmen. Der Teppich, mit dem die Stufen und auch die obere Etage ausgelegt waren, schluckte jedes Geräusch. Jetzt erst wurde ihr klar, dass sich sowohl im Erdgeschoss wie auch im ersten Stock die Räume nur an den Seiten befanden; und die Mitte, diese große, hunderte von Quadratmetern große Fläche ganz ohne Säulen und Zwischenwände auskam. An der kürzen Vorder- und Rückfront boten große Glasflächen den Blick nach draußen. Vor der Scheibe, hinter der Palmen wogten und das Meer türkisblau leuchtete, hoben sich auf einer Sitzgruppe die Silhouetten von vier Personen ab. Zwei davon waren Frauen. Sie hatten das Gesicht in ihre Richtung gewandt.

Woher sollte sie wissen, wer Valerie Tate war – vielleicht befand sie sich im Gerichtssaal? Sie bemerkte einen Sheriff im blauen Hemd, der am Treppengeländer lehnte.

„Entschuldigen Sie!“

Er sah auf. Sein Gesicht war sonnenverbrannt.

„Ich suche Valerie Tate.“

Er hob die Hand und deutete auf die Sitzgruppe.

„Die Linke von den beiden.“

Alison wäre am liebsten wieder umgekehrt. Sie holte Luft und ging auf die Sitzgruppe zu. Beide Frauen sahen sich ähnlich: glattes, dunkles, schulterlanges Haar, gleichmäßige Züge, unauffällige Nase – und beide trugen Schwarz. Die Ältere trug eine schwarze Robe, Valerie Tate eine weiße Bluse. Valerie Tate - die Sechsundzwanzigjährige, die mit ihrem Mann schlief.

„Ms Tate?“, fragte sie als sie bis etwa zwei Meter herangekommen war. Tatsächlich sah die junge Frau auf. „Ich muss mit Ihnen sprechen.“ Alison achtete nicht auf die anderen drei Personen, in deren Unterredung sie eben geplatzt war. Valerie Tate sah sie an als ahne sie, wen sie vor sich hatte. Hatte Matthew ihr ein Bild gezeigt: Und das ist meine Frau?

„Ma’am“, das war die Ältere. „Wir sind gerade in einer Besprechung.“ Ihr Ton war autoritär.

„Es ist wichtig.“ Alison sah dabei Valerie Tate an, die endlich aufstand, eine Entschuldigung murmelte und ihr zum Fenster mit dem Palmen- und Meerausblick folgte. Dort angekommen drehte sich Alison zu ihr um.

Valerie Tates Gesicht war verschlossen und arrogant.

„Ich bin Alison Griffith, Matthews Frau.“

Das Gesicht zeigte keine Regung. Kein Hochziehen der Augenbrauen, kein Erbleichen, kein Erröten, dieselbe starre Miene, derselbe nichts sagende Blick.

„Wir sind seit achtzehn Jahren verheiratet, wir haben eine Tochter. Wir haben unser gemeinsames Leben. Lassen Sie meinen Mann in Ruhe. Sie sind jung genug. Suchen Sie sich jemand anders.“ Ihre Stimme hatte gezittert, aber was spielte das für eine Rolle? Ihre Worte waren klar und deutlich gewesen.

Endlich veränderte sich Valerie Tates Ausdruck. Alison bemerkte ein leichtes Zucken der Mundwinkel.

„Alison, es tut mir leid. Aber Matt liebt mich.“ Sie sprach ohne Angst, ohne Aggressivität, ohne Hochmut – als sei es das Selbstverständlichste von der Welt, dass Matthew nicht seine Frau sondern sie, Valerie Tate, liebte.

Alison schluckte ihre Wut herunter und erwiderte:

„Wenn Sie ihn auch lieben, dann lassen Sie ihn in Ruhe. Sie zerstören sein Leben!“

Valerie Tate lächelte nachsichtig.

„Alison, Matt ist verrückt nach mir. Ich bin schwanger. Er will sich scheiden lassen.“

Alison brachte kein Wort hervor.

„… es tut mir leid für Sie, Alison, wirklich.“

Diese Person brachte es auch noch fertig, aufrichtig zu klingen.

„Und jetzt entschuldigen Sie mich, Alison, ich habe eine wichtige Verhandlung vorzubereiten.“ Valerie Tate drehte sich auf dem Absatz um und ging gelassen zurück zur Sitzgruppe.

Alison schluckte. Oh, wie hatte sie sich blamiert! Sie hätte vor Wut schreien können! Und dann hätte Sie etwas darum gegeben, im Erdboden zu versinken! Die drei anderen Personen standen auf und steuerten auf eine breite Tür auf der linken Seite zu. Valerie Tate warf ihr noch einen kurze Blick zu, dann verschwand auch sie hinter der Tür.

Auf dem Weg zurück zu ihrem Wagen dachte Alison an die Schlägertypen; und dann hakte sich ein Gedanke in ihrem Hirn fest: wie würde sich Matthew wohl fühlen, wenn er von seiner jungen Geliebten verlassen würde?

Sie fuhr wieder ins Büro, besorgte im letzten Augenblick Megs Sandwich, brachte irgendwie den Nachmittag herum und fällte schließlich eine Entscheidung. Sie würde heute Abend etwas Besonderes kochen, sie würde herausfinden, ob er sie noch immer liebte – und dann würde sie Matthew ganz offen fragen, warum er sich von ihr abgewendet hatte. Und vielleicht, dachte sie, vielleicht haben wir ja noch eine Chance...

Spurlos

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