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Um zwölf Uhr nachts war Shane noch immer wach. Nur mit einem Handtuch um die Hüften geschlungen stand er im dunklen Zimmer und blickte vom fünften Stock hinunter auf die Mitchell Street, in die allmählich Ruhe einkehrte. Aus dem erleuchteten Eingang des Kinos auf der gegenüberliegenden Straßenseite kamen ein paar Menschen, meist jüngere Pärchen, die den Abend genossen.

Musste er sich vorwerfen, bei McNulty über sein Bauchgefühl hinweggegangen zu sein? War er wirklich der Täter gewesen? Ein Mann mit einem nicht gerade hohen Intelligenzquotienten, einer der sich verbal kaum ausdrücken konnte, der von Kollegen auf den Fischtrawlern, ohnehin meist rauen Sonderlingen, als schweigsam, jährzornig und eiskalt beschrieben wurde, das passte einerseits – andererseits nicht. Einerseits war er der brutale, irre Killer, andererseits hatte man im Profiling einen sehr intelligenten, detailliert vorausplanenden Täter beschrieben.

McNulty war einer gewesen, der sich für die dreckigsten Arbeiten meldete, einer, der besonders schnell und geschickt auch die größten ins Netz gegangenen Fische ausnehmen und zerlegen konnte. Physisch und psychisch traute man ihm die Taten zu. Er war wegen versuchter Vergewaltigung vorbestraft. Er hatte seinen Job verloren. Er war extrem frustriert. Und er gestand.

Alle waren froh und erleichtert gewesen über seine Verurteilung und das Ende der Ermittlungen: Die Kollegen, die Öffentlichkeit, und die Medien, die sich mit der Überführung der „Bestie“ in den Schlagzeilen wochenlang gute Auflagen sicherten. McNulty war in eine geschlossen Anstalt eingewiesen worden. Nach zwei Jahren brachte er sich um, schaffte es, sich mit einem Socken selbst zu ersticken. Ein merkwürdiger Selbstmord, genauso merkwürdig wie vieles an diesem Fall.

Aus dem Kino kam nun niemand mehr. Am Eingang wurden die Lichter abgeschaltet. Weiter rechts die Straße hoch, saßen noch Gäste auf der Terrasse des Pubs.

Nach McNultys Tod hatte sich niemand mehr mit dem Fall befasst. Vielleicht hätte man bei den Ärzten und beim Pflegepersonal nachforschen sollen, ob er ihnen gegenüber einen Partner erwähnt hatte. Konnte er, Shane, sich dieses Versäumnis vorwerfen? War es überhaupt ein Versäumnis? Er hatte in der Zeit genug zu tun gehabt. Die Scheidung war gerade überstanden, neue Fälle beschäftigten ihn, und er kämpfte gegen den Alkohol.

Er musste schlafen, sonst würde er Morgen den Tag kaum überstehen. Seine Glieder waren bleischwer, in seinen ohnehin schon dröhnenden Kopf stachen hunderte von Nadeln. Den Anruf Carols hatte er aufgeschoben – und jetzt war es zu spät. Er legte sich wieder ins Bett und starrte ins Dunkel. Der Kühlschrank der Kochzeile sprang immer wieder an, brummte und schaltete sich mit einem kurzen rüttelnden Geräusch wieder aus. Als die Umrisse schärfer wurden, weil sich seine Augen an das spärliche von außen hereindringende Licht gewöhnt hatten, machte er sie zu. Langsam dämmerte er weg, und wäre gleich eingeschlafen, wenn nicht sein Handy geschrillt hätte.

Reflexhaft griff er in Richtung des aufleuchtenden Displays.

„Shane?“ Tamaras Stimme. Er vermutete sie noch in London.

„Tamara? Was …“ Weiter kam er nicht. Die Schallleitung war zu langsam. Sie hatte schon mit ihrer Antwort angesetzt bevor sie seine Frage gehört hatte.

„Ich bin am Flughafen in Bangkok. Ich habe gerade in den Nachrichten von dem Mord in Darwin gehört. Sag’ mal, so einer ist doch auch in Brisbane vor sieben oder acht Jahren passiert.“

Er stöhnte, während er sich aufsetzte. „Was, selbst in diesem verdammten Bangkok bringen sie das?“ Es kam ihm vor als wisse bereits die ganze Welt von seinem Irrtum.

„Es war ein australischer Nachrichtensender. Hattest du damals nicht mit dem Fall zu tun?“

„Ja. Ich hab’ ermittelt“, antwortete er schlecht gelaunt. Nun legte auch sie noch den Finger in seine Wunden.

„Tatsächlich? Oh, Shane – mir fiel das nur ein und ich wollte … sag’ mal wie viel Uhr ist es eigentlich bei dir? Ich bin zeitlich völlig durcheinander! Wo bist du überhaupt?“

„Noch in Darwin. Man hat mich angefordert.“

„Weil du damals den Fall … Sie schwieg einen Moment. „Wann kommst du zurück?“

„Mal sehen. Ab Montag bin ich jedenfalls kein Detective mehr. Hier versuche ich Costarelli zu unterstützen – und mein Gewissen zu beruhigen.“

„Costarelli? Tony Costarelli?“

„Ja, kennst du ihn?“

Wieder Pause. „Tamara, bist du noch dran?“

„Ja, bin ich. Costarelli leitet den Fall?“

„Ja.“

Sie zögerte, dann sagte sie plötzlich eilig: „Ich ruf’ dich morgen von Brisbane aus an. Und sorry, dass ich dich so spät gestört habe.“

Er war wieder völlig wach.

Spurlos

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