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Costarelli trommelte mit den Fingern auf die Schreibtischplatte. Shane ließ sich dadurch nicht aus der Ruhe bringen. Ein drittes Mal betrachtete er auf dem Bildschirm die Fotos, er wusste, er würde sie noch viel öfter ansehen. Valerie Tate lag in einer geraden Haltung, mit auf der Brust gefalteten Händen, wie in einem Sarg. Das schrecklich: Sie war nackt - und der Mörder hatte sie ausgeweidet. Ein langer Schnitt klaffte vom Brustbein bis hinunter zum Schambein. Das alles wollte er nicht mehr sehen.

„In ein paar Tagen wäre nicht mehr viel übrig gewesen“, sagte Costarelli, „ich meine, viel ist es ja sowieso nicht. Der Aborigine, der die Leiche gefunden hat, hat behauptet, seinen Onkel gesucht zu haben. Der hatte sich mit `nem Karton Wein in die Büsche geschlagen und kam nicht mehr. Der Alte hat vor der Leiche gesessen und sie angestarrt.“ Das Neonlicht in dem engen Büro, das zwar Fenster nach außen und eine moderne Einrichtung, wie helle Möbel aus Holz und einen sauberen Teppichboden hatte, aber dennoch stickig wirkte, brannte in Shanes Augen.

„McNulty hat sein Opfer ebenfalls ausgeweidet.“ Costarelli spielte mit einem Stift.

Shane legte die Bilder nebeneinander auf den Tisch. Beim Anblick von Toten war ihm bereits als junger Polizist klar geworden, dass das Wort friedlich selten zu einem Toten passte.

„McNulty hat die Eingeweide vergraben.“

„Unsere Leute suchen noch.“ Costarelli zeigte mit seinem kräftigen, behaarten Finger auf ein Foto. „Hier, der Schnitt in der Carotis. Er hat sie geschächtet, das Blut rauslaufen lassen.“

Shane betrachtete die blasse Haut des Opfers.

„Um die Leiche herum ist das Blut in den Boden gesickert.“ Costarelli kratzte sich im Nacken. „Es sieht ziemlich nach McNulty aus, was?“

McNulty war tot.

„Was war McNultys Motivation?“

„Ein ausgeprägter Minderwertigkeitskomplex. Die Psychiater haben das so erklärt. Er hat unter seiner Machtlosigkeit gelitten. Er war Aborigine, hat früh Eltern und Verwandte und damit seine Wurzeln verloren, wurde hin – und hergeschubst, hat im Heim gelebt. Dann hat er sich seine Macht auf einer anderen Ebene bewiesen. Er hat sich des Innersten einer Frau bemächtigt. Stell’ dir vor, du greifst in den Körper von einem Lebewesen, reißt Lungen, Leber, Herz heraus. Es gehört alles dir.“

Costarelli massierte seine Schläfen.

„Okay“, Shane konzentrierte sich wieder. „McNulty war ein Einzelgänger. Keine Freunde, keine attraktive Erscheinung.

Klein, sehnig, unscheinbar. Er machte Gelegenheitsarbeiten, und arbeitete auf Fischtrawlern. Mit dem Messer konnte er umgehen.“ Shane zwang sich, die Fotos erneut zu betrachten. Mit unglaublicher Präzision und Kaltblütigkeit war der Mörder vorgegangen. Die Bilder, die ihn vor acht Jahren – auch nach der Aufklärung des Falls - monatelang nicht in Ruhe gelassen hatten, stiegen wieder auf, nahmen von ihm Besitz und verdrängten alles andere: die Freude auf Carol, die Erinnerung an die letzten gemeinsamen Wochenenden. Präsent waren jetzt das verschlagene, hagere und dunkle gegerbte Gesicht McNultys, sein kindlich-trotziger Tonfall, sein Lispeln, die vom Meerwasser aufgerissenen Hände, die wässrigen, stets zusammengekniffenen Augen. McNulty hatte ihn mit seiner stupiden Art gereizt. Shane hatte ihn gehasst. Die Nachricht von McNultys Tod in der Psychiatrischen Anstalt hatte er mit großer Erleichterung aufgenommen. Erst dann waren die Bilder verblasst. Und jetzt stieg alles wieder hoch. Patty Benson, achtundzwanzig, hatte ein Ranger hundertzwanzig Kilometer von Brisbane entfernt in der Nähe eines Seitenwegs der Straße nach Warwick gefunden. Ihm waren die aasfressenden großen Vögel aufgefallen, die auf den zwei großen Felsbrocken saßen, die man von der Straße aus sehen konnte.

Ein anonymer Anrufer berichtete, McNulty habe im betrunkenen Zustand erzählt, wie er die Frau umgebracht hatte. In McNultys Wagen fand man Haare von Patty und Fasern ihrer Kleidung. Im Kofferraum zwischen Werkzeug, leeren Flaschen, einer schmutzigen Decke und Gummilatschen lag Pattys Unterwäsche. McNulty gestand wenige Stunden nach seiner Festnahme.

Die Verteidigung plädierte auf vermindert schuldfähig, da Richard McNulty einen niedrigen Intelligenzquotienten hatte und psychisch extrem labil war.

„Lassen wir mal McNulty beiseite, woran habt ihr damals gedacht, wer hätte so etwas tun können?“ Tony Costarellis Frage holte ihn wieder in die Gegenwart zurück.

„Wir dachten zuerst an einen Jäger oder an einen Farmer. Jeder Farmer hat ein Gewehr, die meisten können Tiere schlachten und tun es auch. Jäger, Farmer, Fischer…“

„Ärzte?“

„Auch Ärzte.“ Shane nickte.

Costarelli spielte mit der Zigarette, die er nicht anzünden durfte. „Valerie Tate, unsere Tote, war bis vor einem dreiviertel Jahr verlobt. Mit Fraser Bowman, einem Medizinstudenten. Er arbeitet zurzeit auf einer Perlenfarm, zwei Flugstunden von hier. Wir überprüfen ihn gerade. Ich hab’ jemanden zu Valeries Eltern nach Perth geschickt. Sie sind natürlich total geschockt. Sie sagen glatt, sie könnten sich vorstellen, dass Bowman das getan hat. Er hat ihre Tochter schlecht behandelt. Aber natürlich können wir darauf nicht viel geben.“ Costarelli unruhig wippte in seinem Sessel. „Wir befragen die Nachbarn, die Arbeitskollegen, die Kanzlei. Wir durchsuchen ihre Adressen, ihr Handy. Wir warten auf Ergebnisse der Spurensicherung. All meine Leute sind unterwegs. Morgen früh haben wir ein Meeting.“ Er sah müde aus, kniff sich mit Daumen und Zeigefinger in die Nasenwurzel.

„Was ist mit der Datenbank? Wir hatten damals nachgeforscht, ob es ähnliche Fälle in anderen Ländern gab.“ Shane erinnert sich an die schlaflosen Nächte, in denen er ins Büro zurückgefahren ist und weitergearbeitet hat.

„Und?“

„Wir bekamen damals eine Nachricht aus Papua Neuguinea. Allerdings: McNulty war niemals dort gewesen.“ Sie hatten diese Info nach McNultys Geständnis nicht weiter beachtet. Sie schwiegen einen Weile.

„Du hast mich hier ganz schön überfahren. Hast du vorher mit Brisbane telefoniert?“ Insgeheim hoffte er, Costarelli würde nein sagen und er könnte die nächste Maschine nach Brisbane nehmen.

Costarelli grinste schief und zog ein Schreiben von einem Stapel.

„Vom Commissioner persönlich. Er hat eingewilligt.“

Shane überflog das Papier und seuftze.

„Ich höre übrigens in drei Monaten auf“, sagte Costarelli.

„Warum?“ Costarellli war nicht älter als fünfzig, so weit er wusste.

Costarelli wollte wohl etwas sagen, behielt es aber für sich, und sagte nur: „Irgendwann ist für jeden Schluss. Ein paar Tage früher oder später…“

„Du hast Recht, Tony. Nach uns machen andere unseren Job.“

„Eben. Jeder ist ersetzbar. Kein Grund zur Traurigkeit.“

„Du sagst es, Tony: Jeder könnte sich in den alten Fall reinarbeiten, Tony. Ich hab meine letzte Woche und die will ich in Brisbane verbringen.“

Costarelli runzelte die Stirn, sein Blick wurde durchdringend. Er griff auf den Papierstapel rechts von sich und legte die Seite vor Shane.

„Lies das!“

Es handelte sich um den Bericht der Spurensicherung. Auf dem Stein neben der toten Valerie Tate war ein Zeichen, eine Art ovales Ornament aufgesprüht worden: Dasselbe Zeichen hatten sie auch vor acht Jahren bei der Leiche von Patty Benson gefunden. Sie hatten es nicht deuten können. Und McNulty hatte geschwiegen.

Shane sah auf, direkt in Costarellis Augen.

Costarelli zögerte einen kurzen Moment, dann schlug er eine vor sich liegende Mappe auf und gab ihm die Kopie einer Mail.

„Ist hier angekommen.“

Alles Gute, Detective Shane O’Connor – genießen Sie Ihren wohlverdienten Ruhestand!“

„He, was soll das, Tony? Woher weiß der Kerl das?“

Costarelli hustete bevor er antworten konnte.

„Er muss sich doch nur als Journalist ausgeben und nach dir in Brisbane fragen, Shane.“

„Da draußen laufen so viele mit Scheiße im Kopf rum, Tony!“ Shane schüttelte den Kopf. „Was ist mit dem Absender?“

Costarelli hustete wieder. „Wurde als SMS von einer Telefonzelle in der Innenstadt, Nähe der Post geschickt. Meine Leute sind bereits dort gewesen, aber was denkst du, wie viel Fingerabdrücke die da gefunden haben?“ Er klappte die Mappe zu.

Shane stöhnte. „Ich hab meine letzte Woche anders geplant, Tony.“ Er warf einen Blick auf seine Uhr. In einer Stunde wäre er zu Hause gewesen, hätte Carol gesehen.

„Wir können uns unser Schicksal nicht aussuchen, Shane!“

„Deine Sprüche waren schon immer unübertroffen“, brummte Shane und stand auf. „Okay, zeig mir ihre Wohnung.“

Costarelli grinste müde.

Spurlos

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