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Ein Baumeister Europas: Robert Schuman

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Ernst, aber nicht humorlos, unbestechlich, fleißig und tief religiös, nüchtern, hager und kahlköpfig. So haben Zeitgenossen den deutsch-französischen Politiker Robert Schuman beschrieben. Mit Sicherheit war Schuman nicht das Idealbild eines großen Staatsmanns. Kein Mann der großen Gesten und scharf geschliffenen Reden, sondern eher des Ausgleichs und der leisen, aber durchaus bestimmten Töne. Erst spät geriet der zurückhaltende Schuman in das politische Rampenlicht. Das war 1947. Viele der großen Figuren der französischen Politik waren von der Bildfläche verschwunden, ihre allzu blumig ausgefallenen Ausmalungen einer starken französischen Position in Europa wie Seifenblasen zerplatzt. Da trat Robert Schuman auf den Plan, als 61-Jähriger wurde er Ministerpräsident der durch die Wirren der Nachkriegszeit schwer gebeutelten Republik. Bis dahin war Schuman ein Unbekannter, sprach sogar nicht einmal fließend Französisch, denn er stammte aus dem damals noch zu deutschem Gebiet gehörenden Lothringen. Dennoch fiel der unbestechliche Jurist auf. Vor allem durch seinen Fleiß, mit dem er wie ein Uhrwerk die schwierigsten Aufgaben meisterte. Ein Mann mit seinen Fähigkeiten war nun gefragt. Sachlich und unpathetisch mussten die anstehenden Probleme gelöst werden.

Schumans Leben liest sich wie der frühe Entwurf des heutigen Weltbürgers. Die Mutter Luxemburgerin, der Vater Lothringer, ein Zollbeamter. Beide gaben sie ihm eine tief religiöse Prägung mit auf den Lebensweg. In Bonn, München und Berlin studierte Schuman Jura, wurde an der Pariser Sorbonne zum Doktor promoviert und ließ sich anschließend in Metz als Anwalt nieder. Dem Staat gegenüber loyal diente Schuman im Ersten Weltkrieg als preußischer Reserveoffizier. Seine Treue galt aber vor allem seiner Kirche, der er in den politischen Wirren nicht nur eine wichtige Funktion zuschrieb, sondern ihre Stimme auch dort einbringen wollte. Als er seine Mutter mit 24 Jahren durch einen Verkehrsunfall verlor, spielte Schuman sogar mit dem Gedanken, Priester zu werden. Letztlich ließ er sich aber von seinem Freund Henri Eschbach davon überzeugen, dass diese Zeit vor allem dem Engagement der Laien gehören müsse: „Die Heiligen dieses Jahrhunderts tragen Straßenanzug!“

Als 1919 Lothringen wieder an Frankreich fiel, engagierte sich Schuman in der katholischen Gruppe „Démocrates Populaires“ und wurde Stadtrat in Metz. Sein Engagement sowie sein unerschütterlicher Glaube brachten ihn während des Zweiten Weltkrieges in große Schwierigkeiten. Er wurde von der Gestapo verhaftet und zur Kollaboration genötigt. Schuman widerstand den Angeboten und floh nach Südfrankreich. Dort pflegte er intensive Kontakte zur Widerstandsbewegung, versteckte sich in Klöstern und Kirchen, in denen oft nachts Versammlungen stattfanden. In einer dieser Zusammenkünfte, bei denen auch der Bischof von Metz teilnahm, verkündete Schuman fest entschlossen: „Hitler ist verloren! Dessen könnt ihr sicher sein!“ Da dies den Nazischergen nicht verborgen blieb, setzten sie eine hohe Prämie auf seinen Kopf aus.

Schuman entkam abermals und gründete nach Kriegsende mit Freunden die Katholische Volkspartei. 1946 wurde er französischer Finanzminister mit der schwierigen Aufgabe, das finanzielle Chaos der Nachkriegszeit in einigermaßen geordnete Bahnen zu lenken. Um einer drohenden Inflation Einhalt zu gebieten, scheute er sich nicht vor unpopulären Maßnahmen. Das machte ihn nicht berüchtigt, im Gegenteil: Aufgrund seiner Erfolge wurde er mit dem Amt des Außenministers betraut, kurze Zeit später wurde er Ministerpräsident.

Seinen Einfluss nutzte er dafür, seiner großen europäischen Idee Gestalt zu geben und mit dem Bau des europäischen Hauses zu beginnen. Auf einer Konferenz der Präsidenten von christlich-demokratischen Parteien in Luxemburg 1948 gehörte Schuman zu den treibenden Kräften einer „Deklaration über die europäische Zusammenarbeit“. Es war eine Zeit des Umbruchs und des drohenden Unfriedens: der tschechische Staatsstreich, die Gründung des Staates Israel, die Berlinblockade, der Koreakrieg und der damit einhergehende Konflikt zwischen Ost und West und die Gründung der NATO. Schuman hielt in diesen Zeiten an der aus seinem Glauben genährten Idee eines friedlichen Europas fest und verfolgte sie konsequent.

Damit hatte er Erfolg: Die Konferenz der europäischen Außenminister betraute Schuman mit dem Auftrag, eine gemeinsame Deutschland- und Europapolitik vorzulegen, die schließlich in die „Europäische Verteidigungsgemeinschaft“ mündete. 1953 unterzeichneten 26 europäische Staaten die von Schuman maßgeblich gestaltete „Straßburger Konvention für Menschenrechte“. Mit der Annahme der Römischen Verträge im Jahr 1957 schließlich wurde der Grundstein für die Europäische Union gelegt. Wesentliche Impulse der Verträge stammen von Robert Schuman. Die Staaten wussten, wem sie dies zu verdanken hatten, und machten Schuman, den „Vater Europas“, 1958 zum ersten Präsidenten des Europäischen Parlaments. Sein Glaube hinterließ dabei bis heute Spuren: Die Zahl der Sterne auf der Flagge Europas bezieht sich nicht auf die ursprünglich zwölf Mitgliedsstaaten, sondern verdankt sich einem biblischen Bild. In der Offenbarung des Johannes heißt es: „Dann erschien ein großes Zeichen am Himmel: eine Frau, mit der Sonne bekleidet; der Mond war unter ihren Füßen und ein Kranz von zwölf Sternen auf ihrem Haupt“ (Offb 12, 1). Sich so an einem Himmelszeichen zu orientieren, relativiert das menschliche Tun und Lassen, setzt dem menschlichen Streben nach Vollkommenheit eine Grenze. Das wohl wollte der Erbauer des zusammenwachsenden Europas vor Augen führen.

Robert Schuman steht bis heute für die Glaubwürdigkeit christlicher Werte in der Politik und er bleibt dafür ein Vorbild. Um dies zu verdeutlichen, läuft seit 1990 das Seligsprechungsverfahren für Robert Schuman. Im Bistum Metz wurde es 2004 abgeschlossen, die Unterlagen zur Seligsprechung des „Heiligen im Straßenanzug“ nach Rom weitergeleitet.

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