Читать книгу Beter, Mönche und Gelehrte - Marc Witzenbacher - Страница 18

Mittler der Denkkulturen: Thomas von Aquin

Оглавление

Auf dem Weg nach Paris geschah es. Es ging ganz schnell. Sein Bruder fackelte nicht lange, setzte Thomas auf ein Pferd und floh mit ihm während einer Rast auf der kaiserlichen Festung Acquapendente auf eine Burg der Familie nach Kampanien. Der Entschluss des Thomas, kurz zuvor in einen Bettelorden einzutreten, hatte die Familie erzürnt. Mit dieser Entführungsaktion meinte man, den Mönchsbruder wieder zur Räson zu bringen. Schließlich war sein Weg vorgezeichnet. Nicht, dass sich gegen sein Leben als Mönch Widerstand regte, diesen Weg hatte man für den fünfjährigen Thomas bereits vorgezeichnet, als man ihn in das berühmte Benediktinerkloster Monte Cassino übergab. Aber der Eintritt in den erst rund 30 Jahre alten Bettelorden der Dominikaner widersprach dem Stand der adeligen Familie, aus der Thomas von Aquin stammte. Mit dem Hausarrest, den man dem störrischen Thomas nun auferlegte, erreichte die Familie allerdings nichts. Nach mehr als einem Jahr blieb der Wille des Thomas ungebrochen, er konnte schließlich nach Neapel zurückkehren und sein Studium wieder aufnehmen. Anschließend reiste er erneut nach Paris.

Eine abenteuerliche Episode, die der Geschichtsschreiber Ptolemäus von Lucca in seiner Kirchengeschichte beschreibt. Die genauen Angaben legen nahe, dass sich diese Szenen auch so abgespielt haben, schließlich war der Eintritt des adeligen Thomas von Aquin in den Prediger- und Bettelorden der Dominikaner eine kleine familiäre Revolution. Thomas war der dritte Sohn des Grafen Landulf, des Herrn von Aquino, einer kleinen Stadt, etwa 30 Kilometer von Neapel entfernt. Er wurde Anfang 1225 oder Ende 1224 auf der Schlossfestung Roccasecca geboren. Sein Vater Landulf wollte sich mit der Kirche gut stellen, denn das Auskommen mit allen politischen und gesellschaftlichen Mächten erwies sich als enorm wichtig für einen Lehnsherrn seines Standes. So entschied er sich, dem fünfjährigen Thomas eine Karriere als gelehrter Mönch im Kloster Monte Cassino zu verschaffen, und übergab ihn im Jahr 1230 dem einflussreichen Abt. Die Familie des Thomas allerdings geriet während des Einmarschs Friedrichs II. nach Italien zwischen die Fronten geistlicher und weltlicher Macht. Thomas musste das Kloster verlassen und wurde zum Studium nach Neapel geschickt, um dort an der Artistenfakultät ein akademisches Leben zu beginnen, dem letztlich erst sein Tod ein Ende setzte.

Während des Studiums allerdings wechselte Thomas in den Dominikanerorden. Diese neuartigen Ordensleute waren 1231 nach Neapel gekommen und hatten dort wie überall, wo sie auftraten, eine enorme Anziehungskraft auf die jungen Leute ausgeübt. Sie brachen mit den herkömmlichen Privilegien, lebten in evangelischer Armut und predigten den einfachen Leuten das Evangelium. Diese neue Art zu denken faszinierte den außerordentlich klugen Thomas. Mit der Welt zu brechen und gleichzeitig ganz gegenwartsbezogen in ihr zu wirken, das war für Thomas die eigentliche Konsequenz der Inkarnation. Ganz eingebunden in die Kultur ihrer Zeit, versuchten die Dominikaner, Probleme ihrer Zeit im Licht der Botschaft aus der Ewigkeit zu lösen. Dabei nahm die Vernunft eine wichtige Rolle ein: Der Glaube führt die Vernunft zu sich selbst, ihre Aufgabe liegt letztlich im Verstehen des Glaubens. Die dominikanische Theologie lässt der Vernunft, ihren Methoden sowie ihren Gegenständen einen eigenen Wert. Diese Erkenntnisse sowie die radikal am Evangelium ausgerichtete Art zu leben waren der Ursprung der Theologie des Thomas von Aquin.

Nachdem er sich aus den Fängen seiner Familie befreit hatte, reiste Thomas also wie ursprünglich gedacht nach Paris. Dort traf er auf Albert den Großen, der sein wichtigster Lehrer werden sollte. Alberts Lebensaufgabe war es, das griechische Denken, insbesondere die Philosophie des Aristoteles, in die Theologie einzubringen und sie den Menschen verständlich zu machen. Seine Kommentare und Vorlesungen zu Aristoteles hatten Aufsehen erregt und ihn zu einer wichtigen Lehrautorität gemacht. Thomas folgte Albert nach Köln und kehrte 1252 schließlich wieder nach Paris zurück. Dort nahm er seine eigene Lehrtätigkeit auf, wurde 1256 zum Magister und übernahm die Leitung einer dominikanischen Schule und des Universitätskollegs Saint-Jaques. In diese Zeit fiel auch die Arbeit an seinem Sentenzen-Kommentar und der „Summa contra gentiles“ (Wider die Heiden). Sein Ruhm verbreitete sich schnell, Thomas übernahm Lehrtätigkeiten an mehreren italienischen Universitäten. Schließlich folgte er abermals einem Ruf nach Paris, wo er seine „Summa Theologiae“ schrieb, die er 1273 – gerade an die Universität Neapel zurückgekehrt – vollendete. In Neapel starb Thomas 1274 im Alter von nur 49 Jahren.

Thomas ist mit Sicherheit einer der wichtigsten Theologen des Mittelalters. Er besaß eine schier unglaubliche Schaffenskraft: Es heißt, er konnte mehreren Sekretären gleichzeitig unterschiedliche Werke diktieren. Auf ihn geht das in der späteren Theologie fruchtbar gewordene Miteinander von Glaube und Vernunft zurück. Er versuchte, auf der Basis der Philosophie des Aristoteles auf der einen Seite und den biblischen Schriften auf der anderen eine Synthese, die sowohl der philosophischen und theologischen Wissenschaft wie auch dem Glauben der Kirche gerecht wird – ganz im Sinne der dominikanischen Lebens- und Denkweise. Der Vernunft sprach er dabei eine „dienende Aufgabe“ zu, gleichzeitig habe sich die Theologie als vernunftgemäß zu erweisen. Sein theologisches Hauptwerk, die „Summa“, bildete die Grundlage für das mittelalterliche scholastische Denken.

Beter, Mönche und Gelehrte

Подняться наверх