Читать книгу Jahresabschluss nach dem Schweizer Rechnungslegungsrecht - Marco Gehrig - Страница 60
3.3.4 True and Fair View, Fair Representation, Faithful Representation als Generalnorm
ОглавлениеDie Börsenkrise in den USA von 1929-32 ist ohne Zweifel durch eine völlig ungenügende Transparenz in der Unternehmungsberichterstattung verschärft worden. In den USA wurde deshalb im Zusammenhang mit der strengen Regelung des Börsenhandels als Folge des Crashs schon 1932 eine Fair Presentation als Kernpunkt der Rechnungslegung gefordert.
Der englische Gesetzgeber hat 1948 in § 149, Companies Act, für die Darstellung der Vermögens-, Finanz- und Ertragslage das Erfordernis True and Fair View aufgestellt. Trotzdem fand dieser Begriff erst nach Jahrzehnten mit der Erarbeitung der 4. und 7. EU-Richtlinie Eingang in Theorie, Gesetzgebung und Praxis der Rechnungslegung von Kontinentaleuropa. Das mag auch damit zusammenhängen, dass selbst im Ursprungsland über den Inhalt dieses Konzepts Unklarheiten bestanden und noch immer bestehen. In den umfangreichen Publikationen zu diesem Problemkreis wird immer wieder auf drei Aspekte aufmerksam gemacht: Erstens fehlt eine genaue Definition der True and Fair View, zweitens bestehen Abgrenzungsschwierigkeiten, und drittens sind Zweifel anzubringen, ob ein True and Fair View für sämtliche EU-Mitgliedstaaten dasselbe bedeutet. Überdies fehlt eine möglichst sinngetreue Übersetzung des englischen Begriffs in die deutsche Sprache. Zudem wurde in der Fachliteratur kritisch bemerkt, «that what is true is not necessarely fair».
In der schweizerischen Fachliteratur und Rechnungslegungspraxis erscheint der Begriff erst spät. 1994 wurde er in FER 2/1 sowie in der AFVEBK 46 zur Buchführung von Anlagefonds und in BankV 23 verankert.
Aufgrund einer eingehenden Untersuchung kommt Cotting zu folgender Definition der True and Fair View:118 True and Fair View ist eine Generalnorm, die sicherstellt, dass jegliche Information in der finanziellen Berichterstattung über die Lage der Unternehmung:
• den Tatsachen oder vernünftigen Schätzungen entspricht und damit frei von der Absicht bewussten Vorurteils, von Entstellungen, Täuschungen, Manipulationen oder Unterdrückung wesentlicher Tatsachen ist,
• den Bedürfnissen der externen Risikokapitalgeber und anderen Adressaten
• nach brauchbaren, zuverlässigen, vergleichbaren und verständlichen Informationen gerecht wird,
• Transparenz und Vertrauen schafft.
In IASB-F 46 werden im Titel die Begriffe True and Fair View und Fair Presentation als gleichwertig aufgeführt. Wegen der bereits erwähnten Unklarheiten wurde der Ausdruck True and Fair View vermehrt durch die in den USA verwendete Fair Presentation, im Vorentwurf des Rechnungslegungsrechts als «getreue Darstellung» (faithful representation) umschrieben, ersetzt. Die anerkannten Standards der Rechnungslegung verlangt die Fair Presentation nach wie vor nicht ausdrücklich. Für bestimmte Unternehmen ist jedoch ein Abschluss nach einem anerkannten Standard zur Rechnungslegung (Swiss GAAP FER, IFRS) zwingend.