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b) Unternehmensindividuelle Profilierung der konkreten Unternehmensstrategie und -philosophie
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Schwierigkeiten für die Entwicklung einer konkreten Unternehmensphilosophie ergeben sich praktisch vor allem aus der Pluralisierung der Wertesysteme im Zuge der Spezialisierung und Differenzierung industrieller und post-industrieller Gesellschaften. Werthaltungen von Belegschaft und Gesellschaft lassen sich konkret nur empirisch ermitteln[219]. Allerdings hat die Wirtschaftswissenschaft ein allgemeines Spektrum herausgearbeitet, innerhalb dessen sich die Unternehmensziele im Einzelfall bewegen und das den Spielraum abbildet, in dem sich ein Unternehmen im Außen- und Innenverhältnis positionieren kann.
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So ist etwa nach dem sog. St. Gallener Management-Konzept zunächst zu fragen, ob eine Unternehmung ihre Legitimation aus der Befriedigung der Eigentümerinteressen (shareholder) oder aus der Bereitstellung eines Nutzens für vielfältige Bezugsgruppen (stakeholder) erhält[220]:
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Der Shareholder Value-Ansatz macht die Maximierung des Unternehmenswertes zum Mittelpunkt unternehmerischen Handelns und deckt sich insoweit mit dem traditionellen Ziel der langfristigen Gewinnmaximierung[221]. Eine unternehmerische Betätigung ist demnach dann sinnvoll, wenn der erwirtschaftete Gewinn größer ist als die erwartete Mindestverzinsung des Eigenkapitals. Die Höhe der erwünschten Mindestverzinsung richtet sich nach der Höhe des eingegangenen Risikos. Zur Realisierung dieser Ziele beanspruchen die Eigenkapitalgeber grundsätzlich die uneingeschränkte Kompetenz zur Unternehmensführung. Manager sollen daher ausschließlich die Interessen der Eigenkapitalgeber vertreten und werden durch entsprechende Anreizsysteme, wie z. B. Aktienkaufoptionen, an dem geschaffenen Wert beteiligt.
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Kritiker werfen einem reinen Shareholder-Value-Ansatz vor, er vernachlässige soziale und ökologische Aspekte. Damit ist die Grundfrage angesprochen, ob und inwieweit eine Unternehmung über ihre Verpflichtung zum Erwerbsprinzip hinaus andere gesellschaftliche Anliegen internalisieren soll. Die Wahrnehmung gesellschaftlicher Anliegen liegt in dem Spannungsfeld zwischen völliger Ignoranz und hoher Sensibilität. Diesem Spannungsfeld korreliert eine minimale Wahrnehmung gesellschaftlicher Aufgaben oder eine deutliche Förderung der Bezugsgruppe entsprechender Interessen[222]. Eine solche Bezugsgruppe ist neben den unmittelbar am Wirtschaftsverkehr Beteiligten, wie Eigenkapitalgeber, Fremdkapitalgeber, Arbeitnehmer, Management, Kunden und Lieferanten, vor allem die allgemeine Öffentlichkeit[223]. Die allgemeine Öffentlichkeit legitimiert sich als Anspruchsgruppe gegenüber der Unternehmung, indem sie die notwendige Infrastruktur, Rechtsordnung und Umweltgüter zur Verfügung stellt und so zur Unternehmung beiträgt. Dafür erhebt sie gegenüber der Unternehmung den Anspruch auf die Zahlung von Steuern, auf die Einhaltung der Rechtsordnung und auf einen schonenden Umgang mit Umweltressourcen.
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In einem nächsten Schritt ist das Selbstverständnis der Unternehmung im Spannungsfeld von institutioneller und funktioneller Zweckbestimmung zu ermitteln[224]. In diesem Zusammenhang geht es um die Frage, ob die Rolle der Unternehmung in ihrer Erhaltung als Institution aus sich heraus und damit binnengerichtet oder außenbestimmt als Mittel zur Befriedigung sozialer/ökonomischer Interessen definiert werden soll. Außenbetrachtet wird das Unternehmen technokratisch als vollständig lenkbares und Werte schaffendes System zur Kapitalbeschaffung und Leistungserstellung gesehen. Ein binnengerichtetes, institutionelles Selbstverständnis der Unternehmung stellt dagegen die Leistungsfähigkeit und -bereitschaft der Humanressourcen, also der einzelnen Menschen, stärker in den Vordergrund, um auf diese Weise ein offenes und dynamisches „Sozialsystem“ zu etablieren.
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Diese Definitionsmöglichkeiten der Unternehmung in der Gesellschaft und als Organisation werden ergänzt durch das Verständnis der Rollen von Mitarbeitern und Management und die innerhalb des Unternehmens geltenden Regeln zur Handhabung von Macht und Konflikten.
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Je nachdem, ob der Unternehmungsführung ein rein ökonomisches oder ein komplexeres Menschenbild zugrunde liegt, wird das zwischen Mitarbeitern und Management bestehende Führungsverhältnis stärker von Vertrauen oder Misstrauen geprägt. Dem korrespondiert, dass eine Unternehmung entweder deutlich vom Management korrigierend gelenkt wird oder stärker zusammen mit den Mitarbeitern als evolvierendes System entwickelt wird. Im letzteren Fall verstehen sich Manager zunehmend als „Kultivateure einer spontanen Ordnung“[225].
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Die Zusammenarbeit von Mitgliedern einer Unternehmung wird entscheidend durch den Umgang mit Konflikten geprägt. Konflikte können formell zwischen Organisationseinheiten der Unternehmung oder informell zwischen verschiedenen Mitarbeitern innerhalb der Unternehmung bestehen und strukturelle oder personenbedingte Ursachen haben. Die Vorgaben zur Lösung derartiger Konflikte liegen zwischen einer autoritären Problemlösungs- und Konfliktordnung einerseits sowie einer horizontal angelegten und nicht auf formalen Weisungsbeziehungen beruhenden Kooperation andererseits[226]. In jedem Fall wird das Management versuchen, die negativen Folgen von Konflikten – wie die Funktionsstörungen, Instabilitäten, Abnahme von Rationalität und Unzufriedenheit beim Einzelnen – zu vermeiden. Die positiven Folgen von Konflikten – wie die Entwicklung neuer Aktivitäten in Wettbewerbssituationen, die Reformulierung von innerbetrieblichen Normen und die mit dem Konflikt verbundene, veränderte Selbstwahrnehmung – wird das Management für das Unternehmen nutzen. Die dazu gehörige ordnungspolitische Konzeption steht in einem Spannungsfeld von Steuerung durch Weisung und Steuerung durch Verhandlung. Ressourcen des Unternehmens werden administrativ mittels Verteilungsschlüsseln, Entscheidungen von oben (top-down), dezentral durch internen Wettbewerb oder durch Abstimmungsprozesse unter Gleichrangigen verteilt.