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dd) Vorverlagerungen der Steuerungswirkung durch die Strafbarkeit des Versuchs – Besonderheiten in wirtschaftsstrafrechtlichen Fallkonstellationen
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Wenn der Täter weiß oder zumindest für möglich hält, dass sein Verhalten ein tatbestandlich geschütztes Rechtsgut verletzen kann, bedarf es doch andererseits einer Begründung, weshalb der tatsächlichen Rechtsgutsverletzung eine grundsätzlich strafbarkeitsbegründende Funktion zukommen und der Versuch nur unter bestimmten weiteren Umständen (§ 23 Abs. 1 StGB) strafbar sein soll. Der Gedanke der Verhaltenssteuerung würde an sich eine Begründung für die Strafbarkeit der (nur) versuchten Tat erst gar nicht verlangen, da mit der Vornahme der (straf)rechtlich missbilligten Handlung der hinreichende Beitrag des Täters bereits erbracht ist[315].
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Ein – freilich schwacher – Legitimationsversuch könnte historisch argumentierend darauf verweisen, dass die tatsächliche Verletzung herkömmlich erst den äußeren Anlass für das öffentliche Einschreiten und in der Folge den Ausspruch der Sanktion gegeben hat[316]. Heute ist es geläufig, den Strafgrund des Versuchs subjektiv in der Betätigung des rechtsfeindlichen Willens[317], in dem Eindruck der Tat auf die Allgemeinheit[318] oder objektiv in der (konkreten) Gefährdung des angegriffenen Rechtsguts zu suchen[319]. Der Wert dieser Ansätze wird wiederum vor dem Hintergrund der individuellen Freiheitsinteressen deutlich: Die Anerkennung der allgemeinen Handlungsfreiheit mit dem daraus resultierenden Recht des Einzelnen auf Freiheit seiner Person schützt den Einzelnen vor staatlichen Zugriffen, solange aus seinem Verhalten keine Gefahren für Dritte resultieren[320]. Der Eintritt des Erfolgs dokumentiert regelmäßig eine solche Gefahrschaffung und wird damit zur grundsätzlichen Voraussetzung, um das Verhängen einer Sanktion insgesamt als verhältnismäßig erscheinen zu lassen. Die Versuchsstrafbarkeit für schwerwiegende Delikte als Strafbarkeit der erst im Ansatz dokumentierten Gefährlichkeit fügt sich in dieses Konzept dann als eine wegen der besonderen Bedeutung des Rechtsguts noch verhältnismäßige, weitergehende Inanspruchnahme des Einzelnen ein[321]. Im Bereich vor einer dokumentierten Gefährlichkeit sind indessen selbst weniger einschneidende präventive Eingriffe der Hoheitsgewalt nur unter engsten Voraussetzungen zulässig; Raum für repressives Vergehen besteht unterhalb dieser Einschrittsschwelle nicht[322].
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Der Gedanke eines solchen, in der gesetzlichen Regelung des Versuchs zum Ausdruck kommenden Interessenausgleichs kann aber noch – unter anderem – zwei weitere Eigenheiten der Versuchsdogmatik erklären: die Vorverlagerung der Strafbarkeit (zeitlich) vor die tatbestandsmäßige Handlung sowie die durchweg mildere oder gar nicht erst eintretende Sanktion, wenn der Täter nach dem Überschreiten des Versuchsstadiums Handlungen vornimmt, um den Eintritt des Erfolges zu verhindern.
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So darf die Hoheitsgewalt schon wegen ihres Schutzauftrages gegenüber dem angegriffenen Rechtsgutsträger oft nicht zuwarten, bis der Täter die tatbestandsmäßige Handlung tatsächlich vornimmt. Andererseits darf der Zugriff auf den Täter nicht beliebig in den Bereich der Vorbereitungshandlungen hineinreichen. Insbesondere unter prozessualen Aspekten wären bei einem zu frühen Zugriff auf den Täter Beweisprobleme hinsichtlich der tatsächlich beabsichtigten Tat vorprogrammiert, die der Effizienz des Strafverfahrens als Verfahren zur Sanktionierung von unerwünschten Verhaltensweisen kontraproduktiv wären.
Angesichts dieser komplexen Interessenlage ist es schwierig, den Zeitpunkt, bis zu dem die Versuchsstrafbarkeit vorverlagert werden sollte, allgemeingültig festzulegen. Kriterien hierfür sind die räumlich-zeitliche Nähe zur tatbestandsmäßigen Handlung, die objektive Neutralität bzw. der objektiv-deliktische Sinnbezug einer Handlung, die Tätervorstellung und der Grad der persönlichen Entschlossenheit; in Grenzbereichen wird man über eine Kasuistik nur schwer hinauskommen. Gerade im Wirtschaftsstrafrecht gehört der Umgang mit Risiken indessen oft zur täglichen Arbeit. Wo Risiken eng mit der Berufsausübung verbunden sind, kann daher nicht jede Gefahrschaffung zur Überschreitung der Versuchsschwelle ausreichen. So kann organisatorisch zwar an einzelnen Punkten ein erhebliches Risiko geschaffen worden sein, an anderer Stelle können aber zugleich Maßnahmen ergriffen worden sein, um die Realisierung dieses Risikos zu verhindern. Dabei kann sich aus der Arbeitsteilung durchaus ergeben, dass Risikoschaffung und Maßnahmen zur Risikovermeidung personell auf unterschiedliche Stellen aufgeteilt sind. Notwendig ist in diesen Fällen stets eine Gesamtbetrachtung aller Umstände. Andererseits können der stereotype Ablauf der Ereignisse und feste Produktionsketten dazu führen, dass sich schon weit im Vorfeld des eingetretenen Schadens vorgenommene Manipulationen planmäßig in einem Erfolg niederschlagen. Ein Versuch kann hier also auch gegeben sein, obwohl bei einer naturalistischen Betrachtung eine räumlich-zeitliche Nähe zu einer Rechtsgutsverletzung noch nicht festgestellt werden kann. So kann etwa in der wissentlichen Auslieferung schadhafter Fahrzeugtanks bereits der Versuch einer Körperverletzung an potentiellen Unfallopfern liegen, auch wenn mit dem Auftreten der ersten gravierenden Unfälle erst in einigen Monaten zu rechnen ist[323].
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Ähnliche Erwägungen legitimieren die Strafmilderung bzw. -losigkeit beim Rücktritt vom Versuch: Insbesondere in Fällen, in denen die Strafbarkeit des Versuchs auf Verhaltensweisen jenseits der tatbestandsmäßigen Handlung vorverlagert wurde, scheint es konsequent, wenn der Täter straflos bleibt oder zumindest milder bestraft wird, falls er aus autonomen Gründen von der weiteren Begehung der Tat ablässt. Gründe, die eine normale Versuchsstrafe rechtfertigen würden, sind hier nicht mehr ersichtlich; Handlungs- und Erfolgsunrecht sind nicht verwirklicht worden und selbst ein Gesinnungsunrecht wird häufig nur in ganz abgeschwächter Form vorliegen. Aus Gründen der Rechtssicherheit ist es außerdem vorzugswürdig, den Strafausschluss- bzw. -milderungsgrund gesetzlich zu normieren und so mit Gewissheit zum Gegenstand der Hauptverhandlung zu machen und nicht lediglich im Rahmen der reinen Strafzumessung zu berücksichtigen. Dagegen erscheint gerade im Wirtschaftsstrafrecht angesichts des in der Regel sehr rational handelnden Tätertyps die Hoffnung, ein Täter würde allein aufgrund des Angebots der Straffreiheit zum Ablassen von der Tat motiviert oder er würde mit dem Rücktritt seine Rechtstreue unter Beweis stellen[324], weniger berechtigt als in anderen Kriminalitätsbereichen. Der homo oeconomicus wird schließlich bereits per definitionem als Menschentyp verstanden, der den Rechtsbruch in Kauf nimmt, wenn ihm dies nur mit hinreichender Sicherheit zu seinem eigenen Vorteil gereicht.