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2. Die besondere Bedeutung des Handlungsunrechts gegenüber dem Erfolgsunrecht bei der Begründung von Strafe
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Verboten kann nur sein, was prinzipiell verbietbar ist. Verbietbar ist nur, was einer normativen Steuerung zugänglich ist, also nur eine menschliche Verhaltensweise[288]. Der rein tatsächliche Eintritt des Erfolges scheidet dagegen als Verbot per se aus[289]. Das traditionelle Strafrecht scheint an diesem Punkt inkonsistent, hängt die Strafbarkeit doch beim dominierenden vorsätzlichen Erfolgsdelikt – soweit nicht bereits der bloße Versuch strafbar ist – gerade vom Eintritt des Erfolges ab[290]. Tatsächlich handelt es sich dabei aber nur um eine scheinbare Inkonsistenz.
Gerade der Erfolgseintritt dokumentiert das Gewicht des Normverstoßes und fordert damit den Einsatz des Strafrechts in besonderem Maße heraus[291]. Bereits Hans Welzel hat pragmatisch den Erfolg als den äußeren Umstand qualifiziert, der die Behörden in der Rechtswirklichkeit zum Einschreiten veranlasst[292]. Welzel hat außerdem darauf hingewiesen, dass der Erfolg einen intensiveren Deliktswillen oder eine besondere Sorgfaltswidrigkeit indiziert[293].
Auf tiefere Wurzeln deutet möglicherweise der Verweis auf dem Strafrecht eigene atavistische Momente der Vergeltung – Vergeltung für das in der Gestalt des tatbestandlich umschriebenen Erfolgs eingetretene Übel[294]. Das Übel – und also der Erfolg – würde damit gar zur Voraussetzung von Strafrecht. Weniger dramatisch könnte der schlichte Hinweis darauf klingen, die Gesellschaft hätte sich seit Macchiavelli[295] daran gewöhnt, Handlungen nicht als solche, sondern nach ihren Konsequenzen zu beurteilen. Begründen lässt sich eine solch konsequentialistische Betrachtung der Straftat über den bloßen Verweis auf Gewohnheiten hinaus aus dem Gedanken der Verhältnismäßigkeit. Der grundlegende Gedanke der allgemeinen Handlungsfreiheit in einer aufgeklärten Gesellschaft erlaubt grundsätzlich riskante Handlungen, wenn und solange daraus kein Schaden entsteht[296]. Nur riskantes Verhalten ist ein Verhalten, dem die bloße Möglichkeit eines Schadenseintritts anhaftet, ohne dass sich das Schadenspotential zu einer Gefahr spezifiziert hat. In diesem Fall kann damit noch nicht prognostiziert werden, dass es bei ungehindertem Verlauf mit einer hinreichenden Wahrscheinlichkeit zu einem Schaden kommen wird, sodass es in der Regel an einer Grundlage für ein Verbot eines solchen Verhaltens und für Maßnahmen zur Gefahrenabwehr fehlt[297].
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Nur riskantes Verhalten an sich kann im Einzelfall zwar eine Abweichung vom normativ erwünschten Verhalten – z. B. ein Verstoß gegen Vorsorgepflichten – und eine Regelübertretung sein; es ist aber grundsätzlich noch kein strafwürdiger Abfall von elementaren Rechtsgeboten. Das „nur riskante“ Verhalten ist demnach ein Fall, in dem die Rechtsordnung aufgrund „mangelnden Interesses“ grundsätzlich nicht intervenieren will[298]. Die besondere Bedeutung des Erfolgs – und normativ des Erfolgsunrechts – ist damit nicht nur gewohnheitsrechtlich-atavistisch oder prozessual abgesichert, sie ist material fundiert.
Die Schwere des Pflichtverstoßes, der besondere Deliktswille oder die besonderen Vergeltungsbedürfnisse aufgrund des Erfolgseintritts werden dadurch nicht als Konsequenzen einer auf sonstigen Prämissen beruhenden Dogmatik[299] desavouiert. Sie finden vielmehr Eingang in die Bewertung der Strafwürdigkeit des Versuchs, bilden dort aber nur einige der maßgebenden Faktoren.
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Zusammengefasst gilt also: Die traditionelle Aufgabe des Strafrechts als hoheitliches (Teil)Instrumentarium zur Aufarbeitung von Konflikten setzt den Verletzungserfolg als Auslöser für den zu bewältigenden Konflikt regelmäßig voraus, wenn nicht ausnahmsweise bereits die typisierbare und hinreichend konkretisierte Gefahr einer Rechtsverletzung ein strafrechtliches Rechtsverhältnis zwischen dem Handelnden, der Gemeinschaft und dem Gefährdeten entstehen lässt[300].