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Der (ökonomische) Wert der Hausarbeit
ОглавлениеWährend Erwerbsarbeit, wie andere über Märkte organisierte Dienstleistungen oder Waren, in der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung (VGR) abgebildet wird, fallen die in privaten Haushalten erbrachten, wertschöpfenden Leistungen der unbezahlten Arbeit zunächst durch das ökonomische Raster. Private Haushalte (und damit auch Familienhaushalte) werden volkswirtschaftlich lediglich als konsumierende, wertvernichtende (oder sparende) Wirtschaftseinheiten sichtbar (vgl. exempl. Meier, von Schweitzer 1999; Richarz 2000; Thiessen 2004; Meier-Gräwe 2015b). Die Abgrenzung dieser beiden gleichermaßen gesellschaftlich relevanten Arbeitsbereiche nimmt mit Entstehung der Industriegesellschaft Einzug in das wirtschaftswissenschaftliche Denken (oft beschrieben als die Entstehung der sog. Nationalökonomie, die die heutige Volkswirtschaft bezeichnet). Eine Folge dieses neuen wirtschaftswissenschaftlichen Paradigmas verdeutlicht bereits 1920 der britische Nationalökonom Pigou mit dem Phänomen des sog. „Hausfrauenparadoxons“ (Pigou 1920, zit. in Thiessen 2004: 73). Dies ergibt sich für ihn daraus, dass Dienstleistungsarbeit von Frauen nur in das Bruttoinlandsprodukt (BIP) einfließt, wenn sie hierfür bezahlt werden, nicht jedoch, wenn sie diese Leistungen unentgeltlich erbringen, wie in ihrer Position als Hausfrau. „So sinkt das Sozialprodukt, wenn ein Mann seine Haushälterin oder Köchin heiratet.“ (ebd.) Die sich im Zuge der Industrialisierung etablierende geschlechtstypische Aufteilung auf die beiden Arbeitssphären (öffentlich und privat) bilanziert der sozialkritische Ökonom Galbraith als „Verwandlung der Frauen in eine heimliche Dienerklasse“ und damit „eine ökonomische Leistung ersten Ranges“ (Galbraith 1974: 51).14 Die ökonomische Nicht-Beachtung der Sorgearbeit in den „androzentrische[n] Wirtschaftsmodelle[n]“ (Meier-Gräwe 2015b: 6) wurde später insbesondere durch die Frauenforschung der 1970er Jahre kritisiert. Um die in privaten Haushalten geleistete Arbeit sichtbar werden zu lassen, solle auch sie ökonomisch sichtbar werden. Zu Beginn der 1990er Jahre führte diese Kritik in Deutschland zur Einführung von Zeitverwendungserhebungen (ZVE)15, die im nächsten Schritt eine Bewertung der unbezahlten Arbeit ermöglichten. Seitdem bildet das Satellitensystem Haushaltsproduktion ergänzend zur VGR den Wert der unbezahlten Arbeit16 ab und macht ihn mit dem Wert der geleisteten Erwerbsarbeit vergleichbar. In den bisherigen drei Erhebungswellen wies der Bereich der unbezahlten Arbeit dabei stets eine höhere Zeitverwendung auf als der Bereich der Erwerbsarbeit – zuletzt (2013) betrug der Mehraufwand 35 % (siehe Abbildung 2). Nach Bewertung17 der unbezahlten Arbeit weist diese einen Umfang von nahezu 40 % der gesamten im BIP erfassten Bruttowertschöpfung Deutschlands auf (vgl. Schwarz 2017). Der monetarisierte Wert der in allen privaten Haushalten und Familienhaushalten geleisteten Sorgearbeit bestärkt damit deren gesellschaftliche Relevanz.
Abbildung 2: Jahresvolumen bezahlter und unbezahlter Arbeit im Zeitvergleich
Quelle: Eigene Darstellung nach Schwarz 2017: 249
Die – auch nach Einführung des Satellitensystems Haushaltsproduktion – gesellschaftlich und (wirtschafts)wissenschaftlich weitgehend missachtete Relevanz von formeller und informeller Sorgearbeit induziert nach wie vor Kritik. In den 1970er Jahren diskutierten feministische Ökonominnen das Phänomen der – im Gegensatz zu den vorindustriellen Gesellschaften – nicht mehr vorhandenen Wertschätzung von Sorgearbeit unter dem Schlagwort „Arbeit aus Liebe“ (Bock, Duden 1977). Heute hingegen wird etwa von Meier-Gräwe (2012) mit der Systemrelevanz generativer Sorgearbeit argumentiert,18 um deren gesamtgesellschaftliche Aufwertung zu begründen. Sie betont damit die Tatsache, dass ohne die Leistungen privater Haushalte (Versorgung, Erziehung, Regeneration und Gesunderhaltung) kein gesellschaftliches System überhaupt funktionieren könnte, kein Gesellschaftsmitglied überlebens- oder arbeitsfahig wäre. Nach Meier-Gräwe sind die unbezahlten Tätigkeiten in privaten Haushalten, ebenso wie die niedrig entlohnten Tätigkeiten in den personenbezogenen Dienstleistungsberufen (siehe Kapitel 5.2), daher sogar „Systemvoraussetzung“ (Meier-Gräwe 2012: 176) für die Funktionalität und das Wohlergehen einer Gesellschaft. Aus der Kritik resultiert die Forderung nach einem Paradigmenwechsel in der Ökonomie. Eine Abkehr von der marktzentrierten Nationalökonomie hin zu einer „Care-Ökonomie“19 würde nicht nur diese Arbeitsbereiche aufwerten, sondern auch die Ökonomie als Wissenschaft zu ihren aristotelischen Anfängen zurückführen und die Erfüllung der Bedürfnisse von Menschen (zurück) in den Fokus rücken. Care-Ökonom/innen sprechen sich hierzu etwa für eine Reformation des Produktivitäts- und Arbeitsbegriffes aus (vgl. Meier 1995; Madörin 2007; Meier-Gräwe, Ohrem, Häußler 2012; Meier-Gräwe 2012; Praetorius 2015). Winker (2015) schlägt ebenfalls eine umfassende gesellschaftliche Neuausrichtung vor, durch die Sorgetätigkeiten fokussiert, Dualismen – etwa von Monetarisierung und Nicht-Monetarisierung – überwunden und durch neue Bewertungsansätze abgelöst werden („Care Revolution“; Winker 2015).
Familienhaushalten, die im Zuge der alltäglichen Daseinsvorsorge ihre gesellschaftlich relevanten Funktionen erfüllen, indem sie Leistungen der Haushaltsproduktion erbringen, kommt letztlich eine enorme Bedeutung nicht nur individuell, für die in ihnen versorgten Haushaltsmitglieder, sondern auch für den Wohlstand und die Wohlfahrt einer Gesellschaft insgesamt zu – sie sind sogar deren unmittelbare Voraussetzung.
9 Ich habe mich hier auf eine knappe Darstellung des umfassenden Begriffs der Daseinsvorsorge beschränkt, der sich insbesondere durch den Mangel einer klaren und allgemeingültigen Definition auszeichnet. Unstrittig ist offenbar, dass der Begriff zu Beginn des 21. Jahrhunderts durch den Verwaltungsjuristen Forsthoff Einzug in die Wirtschafts-, Rechts- und Politikwissenschaften gehalten hat und seit Ende des 21. Jahrhunderts auch sozialwissenschaftliche Diskurse in Deutschland prägt. International finden sich zur Daseinsvorsorge vergleichbare Konzepte, die jedoch ebenso wenig klar definiert sind. Im Allgemeinen stellt die Aufgabe der öffentlichen Daseinsvorsorge nach Forsthoff wesentliche Daseinsberechtigung für die öffentliche Verwaltung dar (vgl. exempl. Neu 2009; Knorr 2018).
10 Ferner thematisiert Egner das Verhältnis des Haushaltes zur Haushaltung (Organisation, Planung, Management) und zur Hauswirtschaft, die er beide als gleichwertige Bestandteile eines Haushaltes definiert (vgl. Egner 1976)
11 Bei Haushalten, im Sinne der eine wirtschaftliche Einheit bildenden Personengemeinschaft, die mehrere Wohnorte aufweisen, kann es daher in der amtlichen Statistik zu Mehrfachzählungen kommen. Darüber hinaus können in einem Haushalt mehrere Familienformen zugleich vorkommen (vgl. Destatis 2018: 24).
12 Auch für Ein-Personen-Haushalte oder andere, nicht-familiale Lebensformen in Mehr-Personen-Haushalten gilt, dass diese als soziale Einheit ein Sachbezugssystem haben, welches dem Personalsystem des Haushaltssystems gleichgestellt ist (vgl. von Schweitzer 1991).
13 (Soziale) Praktiken sind routinisierte Verhaltensmuster: ,,A ‚practice‘ (Praktik) is a routinized type of behaviour which consists of several elements, interconnected to one other: forms of bodily activities, forms of mental activities, ‚things‘ and their use, a background knowledge in the form of understanding, know-how, states of emotion and motivational knowledge. A practice – a way of cooking, of consuming, of working, of investigating, of taking care of oneself or of others, etc. forms so to speak a ‚block‘ whose existence necessarily depends on the existence and specific interconnectedness of these elements, and which cannot be reduced to any one of these single elements. […] The single individual – as a bodily and mental agent – then acts as the ‚carrier‘ (Träger) of a practice – and, in fact, of many different practices which need not be coordinated with one another.“ (Reckwitz 2002: 249 f.)
14 Während vorindustrielle Aufgabenbereiche von Frauen in der Landwirtschaft durch technischen Fortschritt wegrationalisiert wurden (bspw. die Herstellung von Kleidung) und gleichzeitig die Dienstboten aus vielen Haushalten (zuvor Hausgemeinschaften) verschwanden, fand sich in der Haushaltsführung ein neues Aufgabenfeld. Die neuen „Hausfrauen“ hielten fortan ihren im Industriesektor beschäftigten Männern den Rücken frei und trugen zu einer enormen Weiterentwicklung des sozialen Lebens bei, in dem ein gut geführter Haushalt zum Präsentierteller weiblicher Tugend wurde. Paradoxerweise werden Frauen dadurch in Haushalten mit hohen Einkommen zu den niedersten Dienerinnen, da hier besonders viele häusliche Pflichten anfallen und unentgeltlich erledigt werden (vgl. Galbraith 1974).
15 Bei der Erhebung 1991/92 und 2001/02 noch als „Zeitbudgeterhebung“ oder „Zeitbudgetstudie“ bezeichnet.
16 Für die Erfassung der unbezahlten Arbeit wird im Rahmen des Satellitensystems Haushaltsproduktion eine Abgrenzung dieser Tätigkeiten „von persönlichen Tätigkeiten und Freizeitaktivitäten notwendig. Dies erfolgt anband des sogenannten ‚Dritt-Personen-Kriteriums‘. [… ] Danach zählen alle Aktivitäten, die auch von einer anderen Person gegen Bezahlung übernommen werden können, zur unbezahlten Arbeit.“ (Schwarz 2017: 246) Hierunter fallen Haus- und Gartenarbeit, handwerkliche Tätigkeiten, Aufgaben der Pflege und Betreuung ebenso wie ehrenamtliche Arbeit (vgl. ebd.).
17 Die Bewertung erfolgt anhand des Generalistenansatzes, der im Vergleich zum konzeptionell ebenfalls denkbaren Spezialistenansatz oder der Bewertung mit Durchschnittslöhnen im Falle des herangezogenen Lohnes eines/einer Hauswirtschafter/in niedriger ausfallt. Zusätzlich wurde für den Anwendungsbereich Privathaushalt lediglich der Nettolohn ohne Aufschläge für Ausfallzeiten angesetzt (vgl. Schwarz 2017).
18 Den Begriff der Systemrelevanz nutzt Meier-Gräwe in Rekurs auf die Begründung der ausgewählten Industriezweige im Konjunkturförderpaket der Bundesregierung Deutschlands Ende der 2000er Dekade. Die Systemrelevanz begründet Milliarden-Subventionen, allen voran über die ,,Abwrackprämie“ in der Autoindustrie (vgl. Meier-Gräwe 2012).
19 „Die Care-Ökonomie umfasst sorgende und vorsorgende Tätigkeiten zur Pflege und Erziehung von Menschen in privaten Haushalten als auch vom Staat, von Sozialversicherungsträgern oder von der Privatwirtschaft getragene bezahlte Versorgungsarbeiten [in Heimen, Krankenhäusern]. Damit werden Bereiche bezahlter und unbezahlter Arbeit umfasst, in denen nach wie vor hauptsächlich Frauen für die Versorgung und Pflege anderer zuständig sind. Die Care-Ökonomie wird damit als eigenständige Kategorie für die Sorgetätigkeiten von der feministischen Ökonomie eingeführt.“ (Vinz 2011, zit. nach Praetorius 2015: 51) Die Ursprünge dieses Diskurses liegen in den Debatten der feministischen Ökonomie in den 1970er Jahren und ihrer Kritik an der unbezahlten Haus- und Fürsorgearbeit. Auch das Konzept des „Vorsorgenden Wirtschaftens“ (Jochimsen, Knobloch, Seidl 1994) ist ein in die Care-Ökonomie eingebetteter Ansatz zur Definition eines neuen, sozial-verträglichen Ökonomie-Verständnisses.