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1.1 Problemstellung

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Hohe Erwerbs- und niedrige Arbeitslosenquoten sowie eine florierende Wirtschaft scheinen oberstes Ziel aller politischen Arbeit zu sein. Bildung und Qualifizierung sind auf eine erfolgreiche Integration aller Gesellschaftsmitglieder in den Arbeitsmarkt ausgerichtet. Gemeinhin rückt dabei zunächst die Tatsache in den Hintergrund, dass „keine menschliche Produktion möglich [ist], ohne dass die Natur schon produziert hat, und keine Erwerbsarbeit möglich [ist] ohne vorher geleistete Sorgearbeit“ (Biesecker 2014: 1). Diskussionen um die Vereinbarkeit von Familie und Beruf scheinen hiermit zu brechen, weisen zugleich jedoch einen klaren Fokus auf die Sphäre der Erwerbsarbeit auf: Der Fachkräftemangel wird zum akuten Problem für viele Unternehmen und Arbeitgeber und lässt eine weitere Steigerung der Frauenerwerbsquote notwendiger denn je erscheinen. Dass es hierfür Angebote der Kinderbetreuung braucht, ist inzwischen im kollektiven Bewusstsein der deutschen Gesellschaft und Unternehmen angekommen (s.o.). Eine ganzheitliche Betrachtung der Vereinbarkeitsfrage jedoch sollte weiter gefasst werden. Seit einigen Jahren werden politische sowie wissenschaftliche Diskurse zur Erwerbsarbeit daher um den Aspekt der Care-Arbeit ergänzt.2 Dabei ist der Begriff ,,care“ (engl. für „sorgen, pflegen, sich kümmern“) in internationalen Debatten kein neuer, hat jedoch im deutschsprachigen Raum in den letzten zehn bis 15 Jahren wesentlich an Bedeutung gewonnen und wird hier inzwischen vorrangig mit „Fürsorge“ oder „Sorge“ übersetzt (ebenso findet aber auch der englische Begriff Verwendung).3 Kongruent zur Erwerbsarbeit entsteht daher der Begriff der Sorgearbeit, der auch im Rahmen dieser Arbeit vorrangig Verwendung finden wird4 und sich aus pflegerischen, betreuerischen, erzieherischen und hauswirtschaftlichen Tätigkeiten, die Menschen für sich und andere erbringen, zusammensetzt (vgl. Praetorius 2015; BMFSFJ 2017). Entscheidend ist, dass sie tagtäglich in privaten Haushalten stattfindet und dabei von wesentlicher gesellschaftlicher Relevanz ist:

„,Care‘ umschreibt alle Tätigkeiten, die im Zusammenhang mit der Umsorgung des Menschen stehen. Damit sind Haus- und Familienarbeit für andere und für sich selbst, die Erziehung von Kindern, die Pflege von älteren oder kranken Menschen angesprochen. Care beinhaltet auch Bildung, Erziehung und sozial emotionale Zuwendung. Im weiteren Sinne beschränkt sich Care nicht auf die unbezahlte Arbeit, sondern beinhaltet auch die bezahlte Sorgearbeit sowohl im privaten als auch im öffentlichen Raum (care worker, z. B. Altenpflegerinnen und -pfleger). Jane Jenson (1997) verweist darauf, unbezahlte Arbeit nicht als Synonym für Care zu verwenden, da auch private Fürsorgearbeit bezahlt sein kann, wie etwa die bezahlte Eltern- oder Pflegezeit. Zugleich ist Care aber nicht nur bloße Tätigkeit, sondern auch ein wesentlicher Teil und somit eine Form des gesellschaftlichen Lebens, also eine soziale Praxis.“ (Beckmann 2016: 3)

Der umfassenden Definition von Sorgearbeit zur Folge findet sich mitunter – und auch im Rahmen der vorliegenden Arbeit – eine zusätzliche Differenzierung zwischen Hausarbeit und (weiterer) Sorgearbeit, wenn unterschiedliche Charakteristika von mehr sachbezogenen, hauswirtschaftlichen Tätigkeiten (Reinigung von Wohnraum, Wäsche, Gartenarbeit) einerseits und den eher personenbezogenen Tätigkeiten (bspw. der Betreuung und Erziehung von Kindern) andererseits hervorgehoben werden sollen.

Da sich also die Erkenntnis durchzusetzen scheint, dass „wir nicht über die Erwerbsarbeit sprechen [können] ohne die Hausarbeit in den Blick zu nehmen“ (Allmendinger, Haarbrücker 2013: 52), sind insbesondere familien- und gleichstellungspolitische, haushalts- und sozialwissenschaftliche Diskurse zunehmend von dieser Maxime geprägt. Das Gutachten der Sachverständigenkommission zum Zweiten Gleichstellungsbericht der Bundesregierung (2017) firmiert beispielhaft unter dem Titel „Erwerbs- und Sorgearbeit gemeinsam neu gestalten“ und trägt unter dieser Zielformulierung u. a. die Forderung mit, hierfür haushaltsnahe Dienstleistungen zu forcieren. Eine Förderung dieses Dienstleistungsmarktes soll den Zugang zu alltagsunterstützenden Diensten für unterschiedlichste Typen privater Haushalte, insbesondere der Familienhaushalte, ermöglichen und erleichtern (vgl. BMFSFJ 2017). Mit haushaltsnahen Dienstleistungen werden Tätigkeiten (der Hauswirtschaft ebenso wie der Betreuung von Personen) erfasst, die in privaten Haushalten von (haushalts)externen Personen gegen Bezahlung erbracht werden (vgl. u. a. Eichhorst, Tobsch 2008)5 – sie stellen damit erwerbsförmige Sorgearbeit dar.

Eine Thematisierung haushaltsnaher Dienstleistungen ist in familien-, gleichstellungs- und arbeitsmarktpolitischen, ebenso wie hauswirtschaftlichen und haushaltswissenschaftlichen Fachdiskursen bereits seit den 1990er Jahren, in den letzten fünf bis zehn Jahren jedoch verstärkt, zu beobachten. Dazu beigetragen haben einerseits gesamtgesellschaftlich die Herausforderungen, Alltag im Zuge sich verändernder Lebens- und Arbeitswelten sowie des demografischen Wandels zu gestalten; andererseits hat auf der Ebene wissenschaftlicher Politikberatung die in Folge europäischer wie nationaler Empfehlungen zur Förderung haushaltsnaher Dienstleistungen im Jahr 2013 vorgenommene Implementierung eines Kompetenzzentrums bewirkt, dass konkrete Konzepte und Strategien der ,,Professionalisierung und Qualitätssicherung haushaltsnaher Dienstleistungen“ (PQHD)6 ausgearbeitet und vorangetrieben wurden (vgl. Meier-Gräwe 2015b). Zahlreiche Diskussionen drehen sich dabei um eine (neben der vorhandenen steuerlichen Begünstigung von 20 %)7 zusätzliche Förderung in Form einer Nachfragesubvention mit Dienstleistungsgutscheinen, die sich im europäischen Ausland bereits etabliert hat (vgl. Eichhorst, Tobsch 2008; Reinecke, Gess, Stegner et al. 2011; Weinkopf 2015; Meier-Gräwe 2015b; BMFSFJ 2017 u. a.).

Unter der Schlagzeile ,,warum die Haushaltshilfe glücklich macht“8 berichteten Medien 2017 über die Erkenntnisse aus einer international angelegten Studie, die anschaulich darlegt, wie sich die Zufriedenheit von Menschen erhöht, wenn diese Geld für Dienstleistungen ausgeben, die ihnen Zeit verschaffen. Zudem steigt diese in einem größeren Maße, als wenn Personen (zusätzliches) Geld für materielle Güter oder Dienstleistungen ausgeben (vgl. Whillans, Dunn, Smeets et al. 2017). Der Frage, ob oder inwiefern sich positive Auswirkungen haushaltsnaher Dienstleistungen für die nutzenden Personen auch für den aufgezeigten Kontext der Vereinbarkeit von Familie und Beruf ergeben, soll im Rahmen dieser Arbeit daher nachgegangen werden.

2 Plakativ verdeutlicht dies etwa die 2013 gestartete Initiative „Care.Macht.Mehr – Von der Care-Krise zur Care-Gerechtigkeit“ (www.care-macht-mehr.com, zuletzt abgerufen am 21.03.2019) oder der Aufruf zu einer „Care-Revolution“ (Winker 2015).

3 Da Fürsorge ein persönlicher und emotional besetzter Bereich ist, wird er gemeinhin nicht als Arbeit empfunden und als quasi natürliche Ressource der Gesellschaft angesehen. Kennzeichnend für diese Tätigkeiten ist ein asymmetrisches Verhältnis zwischen den zu versorgenden Personen (hilfsbedürftig und daher in dieser Hinsicht abhängig) auf der einen und sorgenden Personen (hilfeleistend) auf der anderen Seite. Im Kern geht es dabei stets um eine existenzsichernde Daseinsfürsorge für Menschen, die (nicht immer, aber meist) in private Haushalte integriert sind (vgl. Praetorius 2015: 51, ff.).

4 Mitunter wird jedoch synonym auch auf den englischsprachigen Begriff „Care“ (statt „Sorge“) zurückgegriffen werden, etwa wenn es um Quellen mit internationalem Bezug (etwa in der vergleichenden Wohlfahrtsstaatsforschung, siehe Kapitel 3.2) oder feststehende Begrifflichkeiten (Bsp. „gender care gap“, siehe Kapitel 4.1) geht, die eine zur Quelle analoge Verwendung des Begriffs sinnvoll erscheinen lassen.

5 Eine genaue Definition wird in Kapitel 5.3 dieser Arbeit vorgenommen.

6 Zum 01. Mai 2013 wurde das Kompetenzzentrum „Professionalisierung und Qualitätssicherung haushaltsnaher Dienstleistungen“ (PQHD) am Lehrstuhl für Wirtschaftslehre des Privathaushalts und Familienwissenschaft der Justus-Liebig-Universität Gießen unter Leitung von Prof. Uta Meier-Gräwe als Projekt implementiert. Nach Beendigung der Projektlaufzeit an der Universität Gießen im Juni 2018 hat das Kompetenzzentrum „PQHD“ zum 01. Januar 2019 an der Hochschule Fulda unter Leitung von Prof. Christine Küster seine Arbeit wieder aufgenommen. Das Projekt wird getragen und finanziert durch das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ).

7 Details hierzu finden sich in Kapitel 5.6.

8 So auf www.diepresse.com, ähnlich bei www.SpiegelOnline.de.

Haushaltsnahe Dienstleistungen für Familien

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