Читать книгу Haushaltsnahe Dienstleistungen für Familien - Mareike Bröcheler - Страница 20
2.2.3 Nutzen der vorgestellten Theorien und Konzepte für den Forschungsansatz
ОглавлениеDie bis hierher vorgestellten Ansätze stellen die theoretisch-konzeptionelle Grundlage für den gewählten Forschungsansatz dar. Im Konzept der Neuen Hausarbeit wird auf die Zunahme und die besondere Herausforderung koordinativer und synchronisierender Leistungen verwiesen, die in privaten Haushalten tagtäglich im Sinne eines Alltagsmanagements zu erbringen sind. Die Konzepte der alltäglichen und familialen Lebensführung erfassen die Erwerbs- und Sorgearbeit als Teil des Alltags von Personen und lassen sie – als System sui generis – zu einem sinnvollen Ganzen werden. Diese Strukturierung und Ordnung der alltäglichen Lebensführung über Routinen, ebenso wie reflexive Allpassungen der Lebensführung im Sinne der systeminternen Eigenlogik, wirkt dabei sowohl auf den Haushaltsstil ein, der ebenfalls ein Handlungssystem darstellt, als auch auf andere Sphären des Alltags. Die Vermittlung zwischen Individuum und Gesellschaft stellt durch die genannte Einbettung der Individuen in Haushaltskontexte und Lebensformen eine Verbindung von privaten Haushalten zu deren Umfeldebenen her. Über diese Vergesellschaftung von Lebensführung sind so auch die Dimensionen haushälterischen Handelns (Wertorientierungen, Ressourcen, Handlungsalternativen) in diese integriert, die alle Handlungen von Individuen als Mitglieder privater Haushalte beeinflussen.
Die Lebensverlaufsforschung beschreibt diese, nicht nur innerfamiliären, Verbindungen und Abhängigkeiten als Phänomen von verbundenen Leben bzw. „linked lives“ (Mortimer, Shanahan 2006: 13 f.): Da Menschen stets in soziale Gefüge und Beziehungen (etwa von Partnerschaft und Familie) eingebettet sind, beeinflussen ihre jeweiligen Entscheidungen oder Veränderungen im Leben auch deren Lebensverläufe und vice versa. Für den Alltag von Familien ist dies insbesondere für die Lebensführung der Eltern von Bedeutung, deren Entscheidungen, etwa über Arbeitsteilungsmuster innerhalb der Erwerbs- und Sorgearbeit, gleichermaßen ebenfalls vor diesem Hintergrund zu betrachten sind (vgl. Mortimer, Shanahan 2006j BMFSFJ 2012a, 2017). Gleichzeitig steht außer Frage, dass Lebensentscheidungen und Lebensentwürfe stets politisch geformt und durch Rahmenbedingungen (auf der Makroebene privater Haushalte) unterstützt, gesteuert und beeinflusst werden können, weshalb von Expertinnen und Experten heute eine „aktive Lebenslaufpolitik“ (BMFSFJ 2012a: 31) gefordert wird.
Letztlich stellen daher die Konzepte der alltäglichen und familialen Lebens-führung gewissermaßen die Folie dar, auf der haushälterisches Handeln stattfindet. Da Haushalte aus Individuen bestehen, die innerhalb ihres Systems alltäglicher Lebensführung agieren, sind sie stets von dieser geprägt. In Familien-haushalten ist darüber hinaus die Perspektive der familialen Lebensführung von besonderer Relevanz, die die Wertvorstellungen von einem Alltag und Zusam-menleben als Familie oftmals ins Zentrum der haushälterischen Handlungen stellt. Die Leistung der Integration aller individuellen Lebensführungen innerhalb der täglichen Ausgestaltung und Aufrechterhaltung eines Haushaltsstils durch die haushaltsführende(n) Person(en) macht die Arbeit des Alltags aus.
Die aufgezeigten haushalts- und sozialwissenschaftlichen Ansätze bieten somit die Möglichkeit, das Alltagsmanagement von Familien aus verschiedenen Per-spektiven zu betrachten, die sich gegenseitig wertvoll ergänzen. Für die vorliegende Fragestellung mit Fokus auf die Ausgestaltung des Alltagsmanagements in Familienhaushalten ist das Konzept der familialen Lebensführung ein wichtiger Baustein und dient als grundlegende Interpretationsfolie für die Perspektive der interviewten Mütter. Für die Erfassung des gesamten familiären Alltags, mit Erwerbsarbeit, Sorgearbeit und haushaltsnahen Dienstleistungen sowie deren Be-deutsamkeit für die Familien- und Haushaltsbiografie, ist jedoch die Erweiterung um Aspekte des Haushaltsstil-Konzeptes unumgänglich.
20 Die gewählten Konzepte sind eine Auswahl, die mir in diesem Rahmen passend und sinnvoll erscheinen. Alternative Zugänge würden etwa auch arbeitspsychologische, handlungstheoretisch fundierte Analysen der Arbeit des Alltags bieten, wie sie bspw. Resch (1991) vorlegt.
21 Beispiele von Haushaltsstilen zeigen sich in empirischen Arbeiten, die etwa Typologien von Ernährungsversorgungstypen bestimmter Haushaltsformen erarbeiten (vgl. exempl. Häußler 2007; Leonhäuser, Köhler, Meier-Gräwe et al. 2009) oder in einer Typologie von Haushalten in prekären Lebenslagen wiederkehrende Muster der Haushaltsführung und Alltagsbewältigung offenbaren (vgl. Meier, Preuße, Sunnus 2003).
22 Peukert (2015) greift auf, dass sich bisher vorrangig der Term der „geschlechtsspezifischen“ Arbeitsteilung in der Literatur findet. In Anlehnung an Gildemeister und Robert (2008) verweist sie jedoch auf die biologistische Natur des Begriffs „Spezifik“, von dem sich sozialwissenschaftliche Arbeiten in der Kultur des Sozialkonstruktivismus distanzieren möchten. „Um in sozialwissenschaftlichen Fachtermini nicht implizite ,biologische Restbestände‘ zu transportieren, wird in deutschsprachigen Forschungsberichten zunehmend der Begriff der ,geschlechtsdifferenzierenden Arbeitsteilung‘ verwendet“ (Peukert 2015: 66; Herv. i. Orig.). Aus diesem Grund werde ich ebenfalls diesen Term verwenden.
23 Zwar führt Thiele-Wittig bereits zuvor (1985) mit ihren Überlegungen zur Beschaffungsarbeit den Begriff Neue Hausarbeit ein, indem sie dort dessen konzeptionelle Grundlagen aufzeigt. Erst mit der genannten Publikation 1987 stellt sie den Terminus jedoch ins Zentrum, der damit den Begriff der Beschaffungsarbeit quasi verdrängt. Fortan etabliert sich die Neue Hausarbeit in der Fachsprache.
24 Thiele-Wittig unterscheidet zudem zwischen einer engeren und einer weiteren Fassung des Begriffs. lm engeren Sinne bezieht sich die Neue Hausarbeit „auf die unmittelbar an den Schnittstellen zu den Institutionen anfallenden Einsätze seitens des Haushalts“ (Thiele-Wittig 1993: 382; Herv. i. Orig.). Im Weiteren umfasst Neue Hausarbeit zudem die allen Handlungen zugrunde liegende (Wert-)Orientierung, die eine Haltung zu verschiedenen Themenbereichen, nach Information und Bewertung über Sachverhalte, meint (vgl. Thiele-Wittig 1993).
25 Nachdem der Begriff zwar auch schon bei Weber breite Verwendung findet, jedoch nicht genauer erfasst und definiert ist (vgl. Müller 2016).
26 Die empirische Basis des Konzeptes bilden qualitative Interviews mit Vertreter/innen unterschiedlicher Berufsgruppen, die zu ihrem Alltag befragt wurden: „Zwischen 1986 und 1991 wurden (einschließlich einer Voruntersuchung) insgesamt ca. 100 erzählungsgenerierende Leitfadeninterviews mit Frauen und Männern durchgeführt, die für Kinder zu sorgen hatten und in Branchen arbeiteten, die in unterschiedlicher Weise von
den skizzierten Veränderungsprozessen betroffen waren: Journalistinnen und Journalisten, Industriearbeiter, Verkäuferinnen, Altenpflegekräfte, Angestellte in einem Großkonzern und Dienstleisterinnen und Dienstleister für Datenbuchung. Ein weiteres Kriterium war die Kontrastierung von Stadt und Land: das Umfeld der Industriearbeiter und Verkäuferinnen war ein ländliches, die anderen Untersuchungsgruppen waren in einem groß- oder kleinstädtischen Umfeld zuhause.“ (Jurczyk, Voß, Weihrich 2016: 57)
27 Bolte unterscheidet schließlich fünf Typen unterschiedlicher Lebensführung, auf die hier jedoch nicht näher eingegangen werden kann. Er benennt die Varianten 1) außengeleitet konstanter, 2) mitbestimmter, 3) selbstbestimmter, 4) resignativer und 5) chaotischer Lebensführung (vgl. Bolte 2000).
28 Für diesen Trend unterscheiden Jurczyk, Voß und Weihrich zudem in drei Idealtypen der Lebensführung: traditionale, strategische und situative Lebensführung (vgl. Jurczyk, Voß, Weihrich 2016).
29 Im Rahmen der empirischen Arbeit der Projektgruppe „Alltägliche Lebensführung“ legte vor allem Rerrich den Fokus auf die Frage danach, wie alltägliche Lebensführung in familialen Lebensformen stattfindet. Die Vergesellschaftung von Lebensführung ist bereits Teil ihrer Definition; jetzt galt es jedoch der Frage nachzugehen, welche Bedeutung dies für die Individuen im familiären Alltag hat. Insbesondere die Ausführungen von Rerrich (1993; 1994; 199S) und Jürgens (2001) haben hierzu erste Erkenntnisse gebracht. Als ein fertiges Konzept wird die „familiale Lebensführung“ jedoch – weder von den Autorinnen noch von Rezipient/innen – nicht angesehen.
30 Jürgens spricht die fehlende Involvierung der Kinder und ihrer Lebensführung in das Konzept selbstkritisch an, da Kinder bei ihr lediglich in ihrer Beeinflussung der elterlichen Lebensführung sichtbar werden. Hier zeigt sich bis dato insgesamt ein Forschungsdesiderat zur Logik des Handelns bei Kindern (vgl. Jürgens 2001).
31 Auch wenn hier bereits die Rede von einem „Konzept“ ist, befindet sich dieses noch in der Entstehungsphase, wie Jurczyk (2014; 2018a) betont. Insbesondere eine Auswertung der neuen Wellen des DJI-Surveys „AID:A“, welches inzwischen auch ein „Doing-Family-Modul“ enthält, soll Erkenntnisse zu Operationalisierbarkeitsstrategien von doing family liefern.
32 Der für viele Forschungsbereiche der Sozial- und Kulturwissenschaften während der letzten 30 Jahre identifizierte „practice turn“ (Schatzki, Knorr Cetina, Savigny 2001) ist inzwischen durch einen intensiven wissenschaftstheoretischen Diskurs zu einem neuen Theoriekomplex geformt worden (vgl. exempl. Schäfer 2016). Alltag steht als Forschungsthema dabei häufig im Fokus praxeologisch ausgerichteter Studien und hat die Theorie maßgeblich mitgeprägt. Mithin ist eine praxeologische Forschungsperspektive zur Erfassung und Interpretation alltagswissenschaftlicher Phänomene, wie sie sich in den Haushaltswissenschaften, in der Geschlechter-, Familien- oder Konsumforschung wiederfindet, geeignet und wertvoll (vgl. Reckwitz 2010; Wahlen 2012; Reuter, Lengersdorf 2016).
33 Prägnante Entwicklungen sind hierbei für den Erwerbsbereich die „Auflösung des Normalarbeitsverhältnisses“ (Jurczyk, Schier, Szymenderski et al. 2009: 32) durch eine Zunahme prekärer oder atypischer Beschäftigungsverhältnisse (befristet, in Teilzeit) und für den Familienbereich der Bedeutungsverlust der „Normalfamilie“ (v. a. in Westdeutschland) zugunsten vielfältiger familialer Lebensformen. Daneben zeigt sich im Alltag von Familien heute bspw. auch eine zeitliche Entgrenzung, eine „Vervielfältigung der Raum-Zeit-Pfade der Familienmitglieder“ (ebd.: 40) durch deren Eingebundenheit in verschiedene Institutionen (bspw. Schule, Betrieb) des Alltags (vgl. ebd.).
34 Dies ist nur ein Teilaspekt des Konzeptes. Für die weitere Ausdifferenzierung und Begründung von doing family vgl. Lange, Jurczyk, Thiessen 2014.
35 Bereits in den frühen Ausführungen zur Lebensführung in Familien identifiziert Rerrich Sorge bzw. Sorgeverantwortung als „die ,mächtigste‘ Determinante“ (Rerrich 1995: 183) auf alltägliche Lebensführung.