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1.4. Wie gehen wir mit Belastungen um?

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1.4.Wie gehen wir mit Belastungen um?

Nach einer hoffentlich sorgenfreien Kindheit in der elterlichen Geborgenheit hat der junge Mensch gelernt, für sich selbst zu sorgen und Verantwortung in der Gesellschaft und in seiner Beziehung zu übernehmen. Mit der Geburt eines Kindes kommt eine weitere gewaltige Herausforderung auf ihn zu. Die mit einzigartiger Freude verbundene Elternschaft stellt junge Mütter und Väter auch auf eine besondere Belastungsprobe. Die äußeren Rahmenbedingungen sind unterschiedlich angenehm oder schwierig, wie auch jedes einzelne Kind. Es gibt die pflegeleichten Babys und die Schreihälse, die zarten und die robusten, die gesunden und die kranken. Auf alle Fälle erfordert ein Neugeborenes Pflege und Verfügbarkeit beinahe rund um die Uhr. Wenn ein Säugling im Tragetuch am Leben seiner Erwachsenen teilhaben darf, kann es den natürlichen Rhythmus der Eltern spüren, sich geborgen fühlen und vertrauensvoll in das Leben hineinwachsen.

Obwohl einerseits natürlich und selbstverständlich, kann es aber auch zur extremen Belastungsprobe werden: das neue Arbeitspensum, Verzicht und Einschränkungen, turbulente und schlaflose Nächte. Sind mehrere Kinder da, steigert sich der Arbeitsaufwand. Die junge Mutter braucht ganz dringend die Unterstützung ihres Partners, der aber nicht immer ausreichend verfügbar und belastbar ist. Womöglich muss er selbst erst lernen, dass seine Frau nicht mehr für ihn allein da ist. Schön ist es, wenn ein junges Paar auch mit der Unterstützung von außen rechnen kann. Sind bereits Kinder da, so ist es empfehlenswert, sie in die Pflegehandlungen mit dem neuen Säugling mit einzubeziehen. Dadurch erfahren sie Wertschätzung und werden weniger eifersüchtig. Mit der Zeit merkt man, dass mehrere Kinder nicht automatisch ein Mehrfaches an Arbeit bedeuten wie ein einzelnes, dass sie miteinander spielen, miteinander Spaß haben und nicht ständig die alleinige Aufmerksamkeit der Eltern beanspruchen – was bei klugem Familienmanagement eine spürbare Entlastung bedeutet.

Psychologen weisen mit Recht darauf hin, dass wir in schwierigen Situationen auf zusätzliche Ressourcen zurückgreifen sollten, denn nur wenn es uns selber gut geht, sind wir in der Lage, das zu geben, was erforderlich ist und von uns erwartet wird. Die gegenseitige Unterstützung und die Ausschau nach inneren und äußeren Ressourcen sind überaus wichtig.

Für mich stellt sich allerdings auch die Frage, ob ich überhaupt wirklich bereit bin, meine Belastungen anzunehmen. Wie haben das frühere Generationen ohne Pampers, moderne Einbauküchen, Waschmaschinen und Geschirrspüler geschafft? Bei durchschnittlich doppelt bis dreimal so vielen Kindern wie heute?

Mir scheint, dass die Bereitschaft, zu verzichten und Schweres auf sich zu nehmen, ebenfalls eine andere war. Viele unserer Mütter und Großmütter beteten schlicht und einfach um die Gnade, Schwierigkeiten zu meistern, ohne zusammenzubrechen. Und die meisten wuchsen über sich selbst hinaus, ohne Drogen, Alkohol und Psychopharmaka. Viele schafften es auch noch, liebevoll und gut gelaunt zu sein und sich über jeden einzelnen Entwicklungsschritt ihrer Kinder und jede kleine Erleichterung in ihrem Leben zu freuen. Ich hatte das Glück, meine Mutter nie jammern, anklagen oder beschuldigen zu hören. Sehr wohl aber konnte sie ausdrücken, was sie von wem erwartete. Der Vergleich meiner eigenen Lebenssituation mit jener vieler moderner Menschen hat mich zum Nachdenken gebracht. Auch ich habe die Erfahrung gemacht, dass es sich lohnt, Schwierigkeiten tapfer und klug zu durchleben anstatt vor ihnen zu flüchten – und womöglich viele neue Probleme dadurch erst zu schaffen. Für den Vater gilt das genauso wie für die Mutter, egal ob sie sich zu einer traditionellen oder modernen Arbeitsteilung entschließen.

Mit dieser Schilderung möchte ich keinesfalls verallgemeinern, idealisieren oder bagatellisieren. Ich habe tiefe Achtung vor dem persönlichen Schicksal jedes Menschen. Belastungen lassen sich nicht vergleichen. Jeder Mensch hat seine individuellen Möglichkeiten und Belastungsgrenzen. Eine Hürde, die einer mit Leichtigkeit nimmt, macht dem anderen schwer zu schaffen. Daher sollten wir lieber einander helfen statt zu beurteilen oder gar zu verurteilen. Aber ich möchte jede Mutter und jeden Vater ermutigen, sich ehrlich und tapfer den jeweiligen Herausforderungen ihres Familienlebens zu stellen. Denn gerade darin liegt ein enormes Potential an Selbsterfahrung und Selbstverwirklichung, das uns zu reiferen und liebesfähigeren Persönlichkeiten werden lässt.

Trotz allem gibt es kaum tiefere Freuden im Leben eines Menschen als die Elternschaft. Es ist ein unglaublich großes Geschenk der Liebe, die Entwicklung eines kleinen Menschen begleiten und die Zuneigung und Zärtlichkeit eines Kindes erfahren zu dürfen.

Gewaltfrei, aber nicht machtlos

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