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2.1. Grundsätzliche Überlegungen

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2.1.Grundsätzliche Überlegungen

Viele Menschen haben ein derart gestörtes Verhältnis zum Thema Macht, dass man sie in der Erziehung am liebsten ganz abgeschafft hätte. Weil mit der Ausübung von Macht die Gefahr von Gewalt und Machtmissbrauch einhergeht, wurde sie in den letzten Jahrzehnten in der Pädagogik generell negativ bewertet. Man wollte sie aus der Erziehung verbannen. Deshalb ist sie nicht etwa verschwunden, sondern sie treibt seltsame Blüten, oft im Verborgenen. Viktor Adler sieht in der Frage der Macht das zentrale Motiv für menschliches Handeln.

Wir müssen uns vor Augen halten, dass sich ein gesundes Selbstwertgefühl nur dann entwickeln kann, wenn sich ein Kind akzeptiert, ernst genommen und handlungsfähig, also mächtig fühlt, im Gegensatz zu ohnmächtig. Macht ist also nichts Negatives an sich, auch nicht die elterliche Macht, sondern es kommt darauf an, wie wir damit umgehen. Lassen Sie mich einige grundlegende Überlegungen dazu anstellen.

Grundsatz 1: Macht braucht Legitimität

Staat und Gesellschaft

Im Staat ist sie durch Verfassung, Gesetze und Verordnungen geregelt in Parlament, Regierung und Verwaltung, Polizei und Gericht. In der Wirtschaft wird sie durch Arbeitsrecht, Verträge und Vereinbarungen ergänzt. Im Leben der Demokratie geht die Macht durch freie Wahlen vom Volk aus.

Elternhaus

Die Legitimität der elterlichen Macht ergibt sich aus der biologischen Beziehung. Sie wurzelt in der Fürsorge und Verantwortung der Eltern für ihre Kinder und deren anfänglicher Hilflosigkeit und Unfähigkeit zu selbständigem Überleben.

Schule

Die Legitimität der pädagogischen Macht ergibt sich aus dem für die Durchführung des Bildungsauftrags benötigten Ordnungsrahmen.

Macht darf nur zum Dienen dienen

Grundsätzlich lässt sich sagen, dass Macht nur dort legitim ist, wo sie zum Wohle derer dient, über die sie ausgeübt wird, um ein gemeinsames, übergeordnetes Ziel zu erreichen.

Grundsatz 2: Macht braucht Befugnisse

Im Staat, bei der Polizei und in der Wirtschaft sind die jeweiligen Befugnisse klar definiert. Der Finanzminister z. B. hat klar definierte Möglichkeiten, wie er seine Steuern eintreiben kann. Ein Polizist kann Strafmandate austeilen.

Welche Befugnisse haben Eltern und Lehrer? Mir scheint, dass man ihre Befugnisse aus Angst vor Machtmissbrauch stark reduziert, indem man den Worten Macht und Autorität einen negativen Beigeschmack verpasst hat.

Gab es früher oft ein Zuviel an Autorität, so erleben wir heute eher ein Defizit. Pädagogen sehen sich häufig vor dem Dilemma, dass sie Führungsverantwortung tragen müssen, ihnen aber die dafür erforderlichen Machtbefugnisse aberkannt wurden.

Stattdessen fordert man von ihnen, Jugendliche allein über die Kunst der Motivation zu lenken. Diese ist überaus wichtig im pädagogischen Alltag und erfordert permanente Selbstreflexion und Weiterbildung. Aber es ist, als müsste der Finanzminister allein auf Aufklärung und Motivation setzen, um seine Steuern einzuheben. Ob alle Staatsbürger die Reife hätten, ihre Abgaben freiwillig in der erforderlichen Höhe abzuliefern?

Grundsatz 3: Macht braucht Kontrolle

Ethisch saubere Machtverhältnisse kommen ohne entsprechende Kontrollmechanismen nicht aus. Es bedarf mehrerer Ebenen, um Macht zu kontrollieren.

a)Durch übergeordnete Instanzen

In der Erziehung ist das zum Beispiel die Jugendwohlfahrt.

b)Im Reflexions- und Erfahrungsaustausch auf gleicher hierarchischer Ebene

zwischen dem Elternpaar, aber auch in der Beratung, in Seminaren und im Erfahrungsaustausch von Eltern untereinander.

c)Durch jene, über die sie ausgeübt wird

Überall muss es ein Recht auf Einwand oder Einspruch geben. Es ist die Aufgabe der Eltern, die Einwände ihrer Kinder ernst zu nehmen und ihnen Gesprächs- und Konfliktkultur zu vermitteln. Immer aber sollten die Ebenen des Respekts gewahrt bleiben und Wertschätzung in beide Richtungen fließen.

In den vorangegangenen Seiten habe ich einen Schwerpunkt darin gesehen, ein Defizit elterlicher Autorität in der gegenwärtigen Erziehungskultur aufzuzeigen. Damit möchte ich aber keineswegs die Bemühungen um Liberalisierung und Demokratisierung der vergangenen Jahrzehnte abwerten, die für unsere westliche Kultur überaus wichtig waren, sondern lediglich darauf hinweisen, dass ein neues Ungleichgewicht entstanden ist, welches die Gefahr einer reaktionären Gegenbewegung in sich birgt.

Meine Aufgabe sehe ich darin, mich für ein neues Gleichgewicht einzusetzen und Eltern darauf zu sensibilisieren, in ihrem Erziehungsalltag die jeweils richtige Balance zwischen Freiheit, Mitsprache und Gehorsam zu erkennen, und sie in ihren Fähigkeiten zu bestärken, stimmig, authentisch und selbstbewusst auf die unterschiedlichen Situationen zu reagieren.

Gewaltfrei, aber nicht machtlos

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