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1.5. Ist Erziehung out?

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1.5.Ist Erziehung out?

Auch das Wort Erziehung hat in der modernen Pädagogik eine beträchtliche Abwertung erfahren. In vielen Menschen entsteht dabei das Bild vom Ziehen und Zerren, was einem möglichen gewalttätigen Eingriff in Kinderseelen gleichkommt. Ziehen, das mutet sich wie Gewaltanwendung an, zumindest wie Manipulation. Es löst Aversionen aus, weil es im Widerspruch zum Ideal einer freien und demokratischen Erziehung steht, die Kinder als gleichberechtigte Partner sieht und um die freie Entfaltung ihrer individuellen Persönlichkeit und Wesensart bemüht ist. Es wurde nach Alternativen im deutschen Sprachgebrauch gesucht wie Begleiten oder Ähnliches. Ein richtig passender Ersatz wurde allerdings bis heute nicht gefunden. Ebenso wie Macht und Autorität bekam auch das Wort Erziehung einen negativen Beigeschmack. Deshalb wollen manche Menschen einfach lieber darauf verzichten.

Wenn Erziehung mit Zwangsbeglückung oder Manipulation assoziiert wird, dann ist es berechtigt, erzieherische Maßnahmen äußerst kritisch zu betrachten. Wenn es unser Ziel ist, die Entwicklung freier, kreativer und verantwortungsbewusster Persönlichkeiten zu fördern, ist dann elterliche Autorität und Einflussnahme überhaupt berechtigt? Welche Art von Erziehung ist heute gefragt?

In Freiheit begleiten?

Gleichberechtigte Begleitung mit einem Maximum an Freiheit führt nicht automatisch zur gesunden Entfaltung des Kindes, zu Ich-Stärke, Kompetenz und Verantwortungsbewusstsein. Im Gegenteil: Häufig führt ein Zuviel an Freiheit zu Orientierungslosigkeit und Chaos, Labilität, Willkür und Ich-Bezogenheit. Viele junge Menschen von heute haben nicht gelernt, sich in eine Gemeinschaft einzugliedern, sich Gesetzen und Regeln unterzuordnen, und scheitern häufig daran, ihren Platz in einer Gesellschaft zu finden, welche diese Eigenschaften überall verlangt: im Unternehmen, im Staat, im Verkehr etc. Im Endeffekt fühlen sie sich dann keinesfalls frei, sondern im Abseits, an den Rand gedrängt, um ihre Chancen betrogen. Sie sind dann umso eher in Gefahr, in eine Abwärtsspirale von Arbeitslosigkeit, Drogen, Prostitution oder Kriminalität zu geraten. Und dafür tragen Eltern und Erzieher und zu einem gewissen Grad auch das ganze gesellschaftliche Umfeld Verantwortung.

Man kann nicht nicht Einfluss nehmen

Würde man Kinder sich selbst überlassen und alles entscheiden lassen, wäre auch das eine Art von Einflussnahme, eben die der erzieherischen Abwesenheit. Einfluss nehmen heißt für mich nicht automatisch manipulieren. Autorität ausüben heißt nicht automatisch unterdrücken. Die Frage an Eltern und Erzieher ist, welche Art von Einflussnahme sie ihren Kindern gegenüber ausüben wollen und welche Art von Autorität sie vertreten. Es gibt auch eine positive Autorität, die mit Liebe, Verständnis und authentischem, bewusstem und konsequentem Handeln einhergeht, ohne jegliche körperliche oder psychische Gewalt. Zu dieser Art von elterlicher Autorität will ich mich hier bekennen.

Gleichwertig, aber nicht gleichberechtigt

Erziehen ist mehr als begleiten: Für mich beinhaltet das Wort »begleiten« etwas Kameradschaftliches, Gleichberechtigtes und Unverbindliches. Deshalb ist es mir für die Beziehung zwischen Eltern und Kindern zu wenig. Ich möchte mich bewusst für das Wort »erziehen« entscheiden, weil es mit einer Beziehung zu tun hat, in der die Eltern die Verantwortung für das Wohl und die Entwicklung des Kindes tragen, welches als Person wohl gleichwertig, nicht aber gleichberechtigt ist.

Erziehen heißt für mich ein klares Bekenntnis zu elterlicher Verantwortung und Autorität, zur elterlichen Führungskompetenz und Macht. Ich spüre, dass jetzt bei manchem Leser Widerstand oder Widerwille hochkommt. Bitte um Geduld! Was ich damit meine, darauf komme ich noch ausführlich zu sprechen.

Die Macht des Gärtners

Mir persönlich gefällt das Bild vom Gärtner. Er schafft günstige Rahmenbedingungen für Boden, Luft und Sonne. Er pflegt seine Sprösslinge, indem er gießt, düngt, stützt, Unkraut jätet usw. In ihrer Wesensart entfalten dürfen sich die Pflanzen und Blumen dann ganz von selbst – jede nach der ihr eigentümlichen Gesetzmäßigkeit. Der Gärtner merkt an ihrem Wohlergehen, ob seine Maßnahmen richtig waren, und kann sie an die jeweiligen Bedürfnisse und Gegebenheiten anpassen. Das ist seine Form der Kommunikation mit den ihm anvertrauten Lebewesen. Manche Gärtner reden auch noch mit ihren Pflanzen, worauf sie angeblich mit besonders freudigem Wachstum reagieren. Der Gärtner trägt die Verantwortung für die ihm anvertrauten Sprösslinge. Werden sie vernachlässigt, sind ihre Lebenschancen stark eingeschränkt, so auch bei Kindern.

Einen wichtigen Unterschied gibt es allerdings zwischen Pflanzen und Menschen: Blumen widersprechen nicht, wie es Menschenkinder tun.

Gewaltfrei, aber nicht machtlos

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