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Kapitel 1
ОглавлениеEs war kurz vor Tagesanbruch, die Stadt lag noch im Dunkeln und die meisten ihrer Einwohner schliefen noch. Julias Handy, das eingeschaltet auf dem Nachttisch lag, schrillte und bewegte sich summend dicht neben ihrem Kopf. Ein zweites Schrillen riss sie vollends aus ihren Träumen. Bevor es jedoch zum dritten Mal die Ruhe stören konnte, war sie am Apparat.
„Hallo?“
Ihre Stimme klang noch verschlafen.
„Dr. Sommer?“
„Ja.“
Julia unterdrückte ein Gähnen.
„Ernst Ritter hier. Wir haben einen dringenden Fall, bei dem umgehend eine Obduktion vorgenommen werden soll. Sie wissen, Dr. Vollmer ist noch in Urlaub. Können Sie in zehn Minuten da sein?“
„Hat das nicht Zeit bis Tagesanbruch?“
Ein erneutes Gähnen verschluckte die letzten Silben.
„Nein, leider nicht. Mir passt das auch nicht, aber was soll’s? Ich hoffe, ich habe Sie nicht aus dem Tiefschlaf gerissen.“
„Geben Sie mir zwanzig Minuten oder soll ich im Schlafanzug kommen?“
„Der Leiche ist das egal. Bis später.“
Julia warf ihr Handy wieder auf den Nachttisch und ließ sich zurück auf ihr Kissen und die zerwühlten Laken sinken. Ein paar Augenblicke lag sie still da und starrte in das dunkle Zimmer. Dann kicherte sie leise vor sich hin. Sie trug nämlich gar keinen Schlafanzug.
Neben ihr regte sich etwas und eine verschlafene Stimme fragte: „Musst du etwa weg, um diese Uhrzeit?“
„Ja. Eine dringende Obduktion. Dr. Ritter klang auch nicht begeistert. Zum Glück sind das ja nur Ausnahmen.“
In der ganzen Zeit, in der sie als Pathologin arbeitete, war es bisher nur zweimal vorgekommen, dass ihr Chef sie aus dem Schlaf klingelte, weil eine oder mehrere Obduktionen vorgenommen werden mussten, die keinen Aufschub duldeten. Er würde sie nicht aus dem Schlaf reißen, wenn es nicht dringend wäre.
„Wie spät ist es denn überhaupt? … Was, fünf Uhr früh, zu nachtschlafender Zeit.“
„Schlaf weiter, Liebes.“
„Nein, jetzt bin ich wach. Was ist mit frühstücken?“
„Keine Zeit.“
„Du musst etwas essen! Wenigstens eine halbe Scheibe Brot. Mit leerem Magen kippst du sonst um. Ich mache dir Kaffee. Und nun verschwinde unter die Dusche.“
Julia grinste. Sie suchte ihre Kleidung zusammen, die verstreut im Zimmer herumlag. Als sie am Fenster vorbeiging blieb sie stehen und schaute hinaus. Das Haus stand ein wenig erhöht und man hatte einen atemberaubenden Blick in die Natur.
Gerade begann es zu dämmern und vereinzelt blinzelten einige Strahlen der aufgehenden Sonne hervor. Diese kurze Zeitspanne liebte sie besonders, wenn die Nacht fast vorbei war und der neue Tag kurz vor seinem Anfang stand.
Etwas weiter unterhalb verlief die Bundesstraße, auf der zu dieser Zeit bereits einige Autos fuhren. Wahrscheinlich diejenigen, die zur Frühschicht mussten. Der eigentliche Berufsverkehr begann jedoch erst eine Stunde später.
„Was machst du denn da?“, erklang jetzt Verenas Stimme hinter ihr, „warst du schon unter der Dusche?“
Julia fuhr zusammen.
„Nein … du hast mich erschreckt.“
„Beeil dich. Oder soll ich das Licht einschalten, dann hätten die Autofahrer draußen etwas zu sehen. Die würden sich sicher darüber freuen.“
„Untersteh dich.“
Julias Blick fiel auf die Uhr und sie erschrak. Sie hatte bereits fünf Minuten vertrödelt und musste sich beeilen.
Zehn Minuten später kam sie in die Küche. Der Kaffee war bereits fertig. Hastig nahm sie einen Schluck aber das Getränk war noch heiß und sie spuckte es umgehend wieder aus.
„Schmeckt dir der Kaffee nicht?“, fragte Verena unschuldig, die die ganze Szene beobachtet hatte.
„Heiß“, sagte Julia nur.
Sie nahm ihre Jacke vom Haken, küsste Verena zum Abschied auf den Mund und lief zu ihrem Wagen. Eine Viertelstunde später lenkte Julia ihr Auto auf den Parkplatz des rechtsmedizinischen Instituts.