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Kapitel 5

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Julia Sommer war zweiundvierzig Jahre alt und Pathologin am gerichtsmedizinischen Institut oder, wie es eigentlich hieß, am Institut für Rechtsmedizin der Universität in Freiburg.

Ihr Arbeitsplatz war, so fand sie, kühl und angenehm obwohl die Arbeit selbst nicht immer angenehm war. An ihrem Arbeitsplatz wirkte sie manchmal unnahbar und unterkühlt, was ihr bei ihren Kollegen den Spitznamen Fridge (Kühlschrank) eingetragen hatte.

Die landläufige Meinung über Pathologen war, dass sie lediglich Obduktionen durchführten. Das war aber nur ein kleiner, wenn auch sehr wichtiger Teil ihrer Arbeit.

Ebenso wichtig war zum Beispiel die Krebsdiagnose. Pathologen beurteilten Gewebe- und Zellproben, erstellten Krebsdiagnosen und beurteilten Typ, Größe, Ausdehnung und Bösartigkeit eines Tumors. Zudem hatten sie auch organisatorische und verwaltende Aufgaben. Sie mussten Gutachten anfertigen und Präparate fotografisch dokumentieren.

Hin und wieder musste ein Pathologe auch vor Gericht aussagen, wenn ein gerichtsmedizinisches Gutachten notwendig war.

Das Institut für Rechtsmedizin arbeitete auch mit der Polizei zusammen und führte Obduktionen an Opfern von Gewaltverbrechen durch, um die Todesursache und den Zeitpunkt des Todes feststellen zu können.

Die Arbeit als Gerichtsmedizinerin war, zumindest am Anfang ihrer Berufstätigkeit, nicht immer einfach. Noch immer wurde dieser Beruf vorwiegend von Männern ausgeübt, auch wenn in den letzten Jahren mehr und mehr Frauen in der Pathologie arbeiteten.

Man durfte nicht zimperlich sein, wenn man Leichen obduzierte. Sie erinnerte sich an die Zeit, als sie noch Studentin war und ein Praktikum in der Pathologie gemacht hatte.

Ihren Mitpraktikanten, alles Männer, war reihenweise schlecht geworden, als sie zum ersten Mal zusahen, wie eine Obduktion durchgeführt wurde.

Auch Julia hatte mit ihrem Mageninhalt zu kämpfen, musste sich zum Glück aber nicht übergeben wie die anderen. Inzwischen hatte sie Routine in diesen Dingen und ihr Magen beschwerte sich nicht mehr.

Schließlich musste man den Personen, die vor einem auf dem Tisch lagen, einen gewissen Respekt entgegenbringen, auch wenn sie tot waren. Oder gerade deswegen.

Julia hatte es geschafft, ihr Studium der Humanmedizin, das jeder Rechtsmediziner durchlaufen muss und das normalerweise zwölf Semester dauerte, in nur fünf Jahren zu bewältigen. Auch die daran anschließende Facharztausbildung in Rechtsmedizin, ebenfalls sechs Jahre, konnte sie um ein Jahr verkürzen.

Sie hatte auch hart dafür gearbeitet und nebenher noch ihre Doktorarbeit geschrieben.

Ihre Kollegen wussten nur wenig über sie. Dass sie gerne chinesisch aß, ebenso aber auch Spaghetti liebte, meistens zu viel Kaffee trank, gerne ein gutes Buch las und sehr tierlieb war.

Man konnte sich auf sie verlassen und sie sprang jederzeit für einen Kollegen ein, wenn diesem etwas Unvorhergesehenes dazwischenkam.

Niemand wusste aber, was sie in ihrer Freizeit machte, wie sie lebte oder mit wem. Ganz bewusst verbarg sie ihr Privatleben am Arbeitsplatz.

Ihren Kollegen fiel das nicht weiter auf, sie waren meistens mit sich selbst beschäftigt. Doch ihr Chef, Dr. Ernst Ritter, blickte sie manchmal nachdenklich und fragend an. Oder sie bildete es sich auch nur ein.

Zu Hause, bei Verena, war sie anders – offen und fröhlich und konnte sich fallenlassen. Verena kannte sie besser als sie sich selbst kannte. Manchmal jedenfalls.

Doppeltes Spiel

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