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b) Konfliktfreie Methadon-Abgabe und Prinzip der minimalen Bedingungen
ОглавлениеDer Methadon-Erhaltungsbehandlung ist nur ein langfristiger Erfolg beschieden, wenn der Arzt die Methadon-Abgabe organisatorisch so zu gestalten weiss, dass ihm selber keine Scherereien und Kalamitäten erwachsen. Die Abgabe von Methadon sollte daher in einer möglichst konfliktfreien Arzt-Patienten-Beziehung erfolgen. Damit meine ich nicht, dass Konflikte mit dem Patienten schlicht verleugnet werden können. Die Konfliktualisierung der Beziehung soll jedoch nicht in der Methadon-Abgabe aufkommen, sondern womöglich in das begleitende therapeutische Gespräch verlegt werden. Es ist die Aufgabe des Arztes, in der Methadon-Abgabe eine Harmonisierung anzustreben. Die therapeutische Wirksamkeit der langfristigen Methadon-Erhaltungsbehandlung liegt ja vornehmlich im Angebot von Konstanz, Kontinuität und Zuverlässigkeit, welches als «Droge Arzt» an die Stelle der Droge Heroin tritt. Wie aber kann er diese geforderte Konfliktfreiheit organisatorisch realisieren? Am besten gelingt ihm dies, wenn er sich an folgende Empfehlungen hält:
1.Der Methadon-Patient soll nicht zu einer bestimmten Tageszeit einbestellt werden; es soll ihm während der ganzen Öffnungszeit der Praxis Gelegenheit zum Erscheinen zur peroralen Methadon-Einnahme gegeben werden. Patienten mit Verwahrlosungstendenzen halten sich aus vielerlei Gründen nicht an Termine und rufen durch Unpünktlichkeit in uns Missstimmung und Ärger hervor, welcher für den weiteren Behandlungsverlauf unerspriesslich ist.
2.Die Arztgehilfin bereitet beim Beginn des Arbeitstages für jeden Patienten die Methadon-Ration zu. Erscheint der Patient im Laufe des Tages, so wickelt sich die perorale Methadon-Einnahme als dreiminütiges Trinkritual ab (Methadon in Orangensaft), ohne dass dem Patienten, der oftmals in einer Arbeitspause in Eile kommt, lästige oder gar als schikanös empfundene Wartezeiten auferlegt sind und der Arzt bzw. die Arztgehilfin in ihrem Arbeitsrhythmus entscheidend gestört sind.
3.2 × wöchentlich wird vom Patienten vor der Methadon-Abgabe eine Urinprobe zur Untersuchung auf methadonfremde Suchtstoffe genommen.
4.Einmal pro Woche erwartet der Arzt den Patienten zu einer Besprechung, womöglich in einer Randstunde.
5.Entscheidend für den Behandlungserfolg ist, dass das Methadon und die Dosierung nicht zum Zankapfel oder zur Prestige-Angelegenheit zwischen Arzt und Patient werden. Keinesfalls soll dem Patienten das Methadon mitgegeben werden, bringt er noch so überzeugende und vernünftige Argumente vor (force majeur, z. B. Todesfall in der Familie ausgenommen). Jedes Diskutieren und Streiten um Mitgabe von Methadon, über Fragen von Vertrauen/Misstrauen usw. ist tunlichst zu vermeiden. Es ist eine Erziehungsmethode am falschen Objekt, wenn man das Umgehenkönnen mit Methadon als Beispiel menschlicher Bewährung erprobt. Ein solches Experiment wird zum Hauptquell einer unerfreulichen Konfliktualisierung: Das Methadon wandert in den Schwarzmarkt, wird zur Behandlung von Fixern verwendet oder es wird gar nicht eingenommen, um einer neuen Heroininjektion eine Chance zu geben. Es wird ohne Übereinkunft mit dem Arzt ein selbständiger Dosisabbau vorgenommen in der Hoffnung auf vorzeitige Beendigung des Methadon-Programmes. Vor allem aber wird die Methadon-Erhaltungsbehandlung als ganze in Frage gestellt, wenn verschiedene Ärzte unterschiedliche Grosszügigkeiten im Geben von Vertrauen und von Methadon an den Tag legen und von den Patienten gegeneinander ausgespielt werden. Das Mitgeben von Methadon in zur Injektion nicht geeignetem dickflüssigem Orangensaft oder als angesäuerte Flüssigkeit für Samstag/ Sonntag und die Feiertage wird mit dem landesüblichen Einhalten der Freitage begründet und nicht als ein Entgegenkommen in der Vertrauensfrage dargestellt. Ebensowenig ist es zu empfehlen, Angehörige, Arbeitgeber oder irgendwelche andere Beziehungspersonen als Vermittler bzw. Methadon-Abgabestellen einzusetzen, weil gerade diese in der Regel die spannungsfreie und konfliktfreie Methadon-Abgabe am wenigsten garantieren.
6.Es ist davon abzusehen, das Methadon als erpresserisches und erzieherisches Druckmittel gegenüber dem Behandelten zu gebrauchen, um weitere Forderungen an dessen Verhalten durchzusetzen (etwa betreffend Haartracht, Arbeit, Schuldensanierung usw.). Man orientiere sich vielmehr am Prinzip der minimalen Bedingungen: Die perorale Abgabe von Methadon wird uneingeschränkt zugesichert, wenn der Patient mit der Langfristigkeit einverstanden ist und sich an die vereinbarten Abgabemodalitäten hält. Das Sozialverhalten des Patienten ist Gegenstand des begleitenden Gespräches und kann allenfalls durch konkrete Hilfestellungen (Berufsberatung, Finanzberatung usw.) günstig beeinflusst, jedoch nicht durch Methadon-Belohnung bzw. -Bestrafung reguliert werden.