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Nordlichter Begegnung

Klar war, dass ich das Leben in Deutschland auf Dauer zu langweilig fand. Ich konnte mir zu diesem Zeitpunkt nicht vorstellen, in einen gleichbleibenden Kreislauf von Arbeit, Essen, Schlafen, Kino, Freunde einzusteigen. Dazu war ich mittlerweile von dem abwechslungsreichen Leben meiner Reisen zu verführt, wovon ich nicht ablassen wollte. Ich wohnte inzwischen in Stuttgart, arbeitete bei US Timken, einem Anbieter von Kegelrollenlager und wartete wie eine Spinne im Netz auf den richtigen Moment, um meinen Hunger nach Ferne zu stillen. Der kam in Form einer Anzeige in der Novemberausgabe der Yacht, einer Segelzeitschrift, die ich hin und wieder durchblätterte. Darin suchte jemand Mitsegler nach Norwegen. Das war es! Musste ja nicht gleich wieder der Pazifik oder das entfernteste Eckchen der Erde sein. In Europa war ich so gut wie noch nicht unterwegs gewesen. Warum also nicht? Ich antwortete auf die Anzeige und bekam von Horst einen Brief, in dem er ein Kennenlerntreffen in Emden vorschlug. Im Januar fuhr ich mit dem Zug in den deutschen, kalten Norden, um nicht zu sagen an den »Arsch der Welt«. Nein, der war nicht irgendwo zwischen Fiji und Bora Bora. Emden befand sich auf seiner mageren rechten Backe, die linke gehörte bereits zu Holland, getrennt durch die Furche der Ems. Das liest sich despektierlich, aber genauso fühlte ich mich allein in meinem Abteil, an dem milchiger Januardunst über grauer flacher Erdbehaarung vorbeiglitt. Als ich ankam und ausstieg, stürmte Horst an mir vorbei. Ich lief fröstelnd in die Bahnhofshalle, bis nur noch wir beide unschlüssig dastanden. Ich weiß ja nicht, was sich so ein Männerhirn vorstellt. Ich war es in diesem Augenblick jedenfalls nicht. Seine Hirnwindungen spuckten Kategorien wie »Mädchen vom Land, langweilig, vielleicht kommt noch was Besseres« aus. Jedenfalls gestand er mir das später. Ich meinerseits fand ihn ganz ansprechend also gab ich mich zu erkennen. Was nicht sonderlich herausfordernd war in Anbetracht dessen, dass wir alleine waren. Wir fuhren mit dem Auto in die Wohnung, die er von Freunden anlässlich des Treffens zur Verfügung gestellt bekommen hatte. Dort warteten bereits Hannes und Norbert, zwei weitere Interessenten für den Törn nach Norden, mit leckerem Essen auf uns. Ein voller Magen macht wesentlich großzügiger, wenn es gilt zu entscheiden, ob wir fremdes menschliches Strandgut bejahen, mit dem wir mehrere Wochen gemeinsam und aufeinander angewiesen segeln wollen. Wollten wir. Hannes und Norbert waren mir sehr sympathisch. Ich fühlte mich als einzige Frau angenommen und wohl in ihrer Mitte. Anscheinend stellten sie mein Wissen und Können auch nicht in Frage. Wie auch. Ich konnte mit vielen Reiseberichten punkten, wohingegen Hannes und Norbert noch völlig unbeleckt waren. Horst war es wurscht. Er brauchte nur irgendwelche Leute, denen er was delegieren konnte. Was uns allen zu dem Zeitpunkt nicht so klar war, im Gegenteil, jeder war froh, dass es jemanden gab, der die Hauptverantwortung trug. Das Schiff von Horst war die Cachalot, die er gemeinsam mit einer anderen Frau gekauft hatte. Er plante drei bis vier Monate unterwegs zu sein, sie wohl nicht, so dass sie irgendwann von dannen gezogen war. Ich konnte ebenfalls nur einen Monat aufbringen, weil ich zurück zur Arbeit musste. Ich schaute mir bei diesem ersten Treffen die Cachalot an. Zumindest Ausschnitte, denn sie war bis obenhin zugemüllt, weil Horst darauf arbeitete. Als ich zu einem späteren Zeitpunkt zu einem Arbeitstreffen hochfuhr, bemerkte ich erstaunt, wie klein sie war. Aber gut. Würde schon irgendwie gehen, sonst hätte Horst ja nicht nach drei weiteren Mitseglern gesucht. Ich war Enge gewöhnt. Dass ich sie mit drei Männern aushalten musste, blendete ich aus.

Am 30. April 1982 fuhr ich gen Norden. Am ersten Mai schneite es. Die Nordsee-Fischer empfahlen abzuwarten, aber Horst hielt sich störrisch an seinen Abfahrtsplan, was rückblickend mit drei Anfängern verantwortungslos war. Entsprechend wurde dieser erste Trip regelrecht zu einer Höllenfahrt, denn wir hatten extrem viel Wind, der hohe Wellen mit sich brachte und es war scheußlich kalt. Wir flogen nur so über das Wasser und erreichten nach nur zwei Tagen Norwegen. Mir war wieder übel, den anderen ging es zum Glück gut. Es wurmte mich, dass ich als einzige Frau mit dem Magen zu kämpfen hatte. Ich merkte ziemlich schnell, dass es für Hannes und Norbert nicht das war, was sie sich vorgestellt bzw. erwartet hatten. Bediene ich das Klischee oder tun es schlicht und ergreifend die Männer selber, wenn sie wie Hunde untereinander ausmachen, wer das Sagen hat, und derjenige, dem die unterlegene Rolle schwerfällt, entweder ständig die Auseinandersetzung sucht oder sich schleicht. Flache Hierarchien? Wünschenswert. Möglich? Definitiv ja. Hat aber Seltenheitswert.

Ich war beeindruckt, als wir tief in die Fjorde segelten, eine Allee von Bergzügen links und rechts von uns. Wir wussten nicht genau, wo wir waren, denn es gab zu dieser Zeit noch kein GPS. Pures Glück, dass überall tiefes Gewässer war und wir nicht aufgelaufen sind. Wir beschlossen anzulegen und Brötchen kaufen zu gehen, um zu erfahren, wo uns der Wind hingetrieben hatte. In eines der Dörfchen bei Haugesund. Es war die Zeit der Apfelblüte. Je tiefer wir ins Landesinnere gelangten, desto üppiger leuchteten die weißen Baumkronen. Eines Tages legten wir wieder in einem der Fjorde an und wanderten auf den Gletscher Hardangerjokulen, von dem aus wir einen wunderbaren Blick über diese bezaubernde Landschaft genossen. Typisch für die norwegischen Fjorde sind die langen und zugleich sehr schmalen Buchten, die sich tief in die Berge der Küste einschneiden. Ihre Ausläufer reichen weit in das Landesinnere und sind teilweise so tief wie die angrenzenden Klippen hoch sind. An der Küste werden sie seichter, bis sie unter der Wasseroberfläche verschwinden. Wir fuhren von Fjord zu Fjord bis nach Bergen. An der Küste begegneten uns wenig Menschen. Erst in den geschützten Buchten der Fjorde nisteten kleine Dörfer. Es war beeindruckend, wie hell die Nacht war, so dass wir bei Nachttörns alles sehen konnten. Weiter nördlich in Kristiansund, verabschiedete ich mich von der Truppe und fuhr mit dem Zug nach Hause, eine neue Liebe und die Südsee im Gepäck.

Horst wollte ursprünglich bis ans Nordkap weitersegeln, doch Hannes und Norbert zogen nicht mit. Die Zeit war gut gewesen, zu mehr reichte es aber nicht. Horst nervten schon Kleinigkeiten. Zum Beispiel wenn er an einem Steg anlegte und nicht dicht genug ranfuhr, so dass man springen musste, war er sauer, wenn die beiden es ihm nicht nachtaten. So beschlossen sie die Rückreise anzutreten.

M.E.L.

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