Читать книгу M.E.L. "hoch und runter" - Marion Lehmann - Страница 7
ОглавлениеProlog
Mein Zuhause waren 12 kg. Ein paar T-Shirts, Unterhosen, Shorts, Pullover, Zahnbürste, Bücher – das, was in einem Rucksack Platz hatte. Kein Backpacker Rucksack, diese riesigen schwarzen Hightech-Löcher, die gierig alles schlucken und in sich aufnehmen, was man ihnen in den Schlund schmeißt. Bei denen man am Ende schubbt und drückt, um einen zweiten Regenanorak, ein weiteres Paar Funktionsschuhe und drei weitere Akkus reinzupressen – in schierer Verzweiflung, sie könnten lebenswichtig werden. Meine 12 kg enthielten das, was man in einer Box auf einem kleinen Segelboot unterbringen konnte. Nicht mehr und nicht weniger. Für nahezu 10 Jahre meines Lebens. Ein Abschnitt juveniler Flucht, geprägt von 12 kg Gepäck und damit 12 kg Verantwortung. Raus aus der Enge des Reutlinger Elternhauses, aus der Langeweile meines Schulalltags, in die große Weite – vornehmlich an Nordamerikas vorgelagerter Inselwelt an Ost und Westküsten. Es begann mit einer Vorahnung, die ich, 18- jährig, kichernd mit einer Freundin beschloss, einer Vorahnung, die ich ausplauderte aber nicht ernst nahm. Was ich rückblickend gelernt habe? Dass man im Leben immer wieder neu ankommt. Dass der Abschied dabei manchmal leicht und manchmal verdammt schwerfällt.
Ich sitze an der gemütlichen kleinen Eckbank unter dem Dach meines Reihenendhauses in Marquartstein, einem beschaulichen Dorf in den Chiemgauer Alpen. Eine Touristenhochburg, an deren Bundesstraße sich träge die Tiroler Ache durch das Tal windet, bis es sich breit öffnet und sie sich in den Chiemsee ergießt. Jährlich werden an dieser Achse tausende von Urlauber nach Kössen oder Reit im Winkl durchgeschleust. Dennoch hat es sich den Charme eines heimeligen Fleckchens bayerischer Idylle bewahrt, wo neben alpenländischem Charakter und Kunsthandwerk, moderner Baustil und Photovoltaikanlagen die Landschaft prägen. Hier oben, in meinem Ausguck, überblicke ich das grüne Tal zu Füßen des Hochgern, demgegenüber die Hochplatte liegt. Ich habe rundherum alles erwandert, sodass ich von diesem kleinen Zimmer aus das frische, würzige Holz der hochgewachsenen Fichten und Kiefern rieche, den Kuhdung des Fleckviehs auf den Almen, das gleichmäßige Läuten ihrer Glocken und Mahlen ihrer kräftigen, gesunden Kiefer beim Grasen höre, ich spüre die Wurzeln unter den Füßen, wenn ich den Anstieg über die Furten aufnehme. Ich hole die Weite in meine kleine, mit Holz ausgekleidete Dachstube, die mein Arbeitszimmer ist. Ausgestattet mit einer Teeküche, einem Bett unter der Dachschräge, an dessen Ende ein Schreibtisch anschließt und einem kleinen Bad im Vorraum, ist das meine kleine Nussschale, in der ich das Segel setze. Hier setzte ich eine Zeitlang meinen Anker, nachdem ein anderer Anker verloren ging. Von hier aus, und davon, erzählt meine Geschichte. Aber zunächst geht es noch einmal zurück zum Anfang, wo alles begann.