Читать книгу Zandrus Schmiede - Marion Zimmer Bradley - Страница 12
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ОглавлениеVarzil war noch nie mit einem Luftwagen gereist und fand die Erfahrung beunruhigend. Lord Serrais hatte einen, und Varzil hatte einmal einen anderen gesehen, als er vor der Ratssitzung auf dem Landefeld von Arilinn landete. Er hatte die lautlose Anmut bewundert und die Art, wie der Wagen gefertigt war.
Nun saß er hinter dem Piloten und beobachtete, wie der Mann die Instrumente bediente oder rätselhafte Gesten vollzog. Laran-Batterien im Bauch des Wagens schickten einen Strom gezähmter Energie zum Antrieb und zu den Steuermechanismen.
Varzils Kontakt zu den Telepathen im Turm hatte ihm ganz neue, verstörende Dinge eröffnet. Er spürte die Kraft der Batterien wie die eines gefangenen Raubtiers, das knurrend lauerte. Bei aller Begeisterung über das Fliegen selbst war ihm auch sofort klar, wie leicht solch große Macht für andere, tödlichere Zwecke eingesetzt werden konnte. Wie so viele andere Dinge konnte Laran benutzt werden, um zu töten oder dem Leben zu dienen.
Der Pilot warf Varzil über die Schulter hinweg einen Blick zu. »Es gibt nichts zu befürchten. Es ist keine Magie, sondern eine Technik, die jeder mit den entsprechenden Fähigkeiten und einer Ausbildung meistern kann.«
»Jeder, der genug Geld hat, sich so etwas leisten zu können«, brummte Dom Felix.
»Ja, sie sind teuer, aber das liegt daran, dass es nur so wenige mit der Begabung und der Disziplin gibt, sie zu führen«, erwiderte der Pilot. Er war höflich, aber er legte nichts von der Ehrerbietung an den Tag, die man von Dienern eines Adligen gewohnt war, ganz gleich, wie niedrig der Adel war.
Er ist kein Diener, dachte Varzil. Er ist selbst ein Laranzu.
»Wie heißt Ihr, Pilot?«, fragte er.
»Jeronimo Lanart«, kam die Antwort ohne ein hinzugefügtes »Mylord« oder »Vai dom«.
Varzil fing eine Spur der Gedanken des Mannes auf. Lord Carolin muss es wirklich für wichtig halten, diese beiden nach Hause zu bringen, oder er hätte nie seinen eigenen Luftwagen zur Verfügung gestellt.
Lord Carolin? Der Erbe des Hastur-Throns? War er zur Ratssitzung in Arilinn gewesen?
Eine plötzliche Bö brachte sie vom Kurs ab, und der Pilot beugte sich wieder über die Instrumente. Varzil reckte den Hals und versuchte, besser zu sehen. Sobald sie wieder auf Kurs waren, fragte er nach der Steuerung.
»Einiges funktioniert mechanisch.« Jeronimo erklärte die einfacheren Hebel. »Für die anderen muss man Gedanken formen. Die Steuersysteme sind auf bestimmte Laran-Muster abgestimmt. Wir benutzen standardisierte Gesten, wegen der Einheitlichkeit. Hier ...« Er hob eine Hand und bewegte die Finger von einer Position langsam zu einer anderen und dann zu einer dritten. »Versucht Ihr es.«
Die Gesten waren leicht zu kopieren.
»Und jetzt folgt meinen Bewegungen. Ja, so ...«
Ein Bild erschien in Varzils Kopf: ein Falke, der die Flügel in der Luft ausbreitete. Varzil folgte dem Gedanken ebenso wie dem Fingermuster. Die Bewegung formte seine geistige Energie und ließ sie entlang der Matrixleiter im Luftwagen gleiten. Als Antwort darauf bewirkte ein Energiefluss, dass die kleinen Flügel des Luftwagens sich hoben.
»Ihr seht, es ist gar nicht so geheimnisvoll. Ihr könntet es ebenfalls lernen.«
»Wir wollen über solche Dinge nicht sprechen«, sagte Dom Felix und verlagerte unbehaglich das Gewicht. »Und wir brauchen keine weitere Ablenkung. Eure Anweisung war, uns so schnell wie möglich nach Klarwasser zu bringen, und wir haben keine Zeit für Spielereien.«
»Wie Ihr wünscht. Obwohl wir bereits so schnell wie möglich sind und durch eine einfache Demonstration keine Zeit verloren ginge«, erwiderte Jeronimo. »Nach meiner Erfahrung ist Lernen niemals Zeitverschwendung.«
Sie legten den Rest des Fluges schweigend zurück, und Varzil versuchte sich vorzustellen, was seinem Bruder Harald zugestoßen war. Sie standen einander nicht besonders nahe, denn zwischen ihnen kamen dem Alter nach noch die Zwillinge Ann’dra und Silvie, die beide an der Schwellenkrankheit gestorben waren, und Joenna. Eine dritte Schwester, Dyannis, war jünger als Varzil. Er war acht gewesen, als die Zwillinge starben, und etwa um diese Zeit hatte er zum ersten Mal die Ya-Männer in den Hügeln singen hören. Joenna war nun mit dem Sohn eines wohlhabenden Adligen aus Alardyn verlobt und interessierte sich viel mehr für ihre bevorstehende Hochzeit als für Laran.
Von all seinen Geschwistern fühlte sich Varzil am engsten mit Dyannis verbunden. Ihre eigene Begabung hatte sich noch nicht gezeigt, aber er bezweifelte keinen Augenblick, dass sie Talent hatte, denn sie schien immer schon zu wissen, was er dachte, bevor er es aussprach.
Harald war blond, was auf die Trockenstädter Ahnen der Ridenows zurückzuführen war. Wie viele von seiner Familie war er dafür begabt, mit Tieren umzugehen. In seiner Erinnerung sah Varzil seinen Bruder nun vor sich, wie er, das goldene Haar mit einer Lederschnur zurückgebunden, auf dem Rücken eines jungen, halb eingerittenen Pferdes saß, das zitternde Tier streichelte und seine Angst sowohl mit Worten als auch im Geist beruhigte. Er war ein großer, kräftiger Mann mit breiten Schultern und sanften Händen, einem wettergegerbten Gesicht und unbeschwertem Lachen ...
Dunkelheit. Eine Linie von Feuer über seinen Rippen, starr von verkrustetem Blut. Schmerz pochte tief in seiner Schulter. Durst. Adrenalin wie kupfrige Asche in seinem Mund. Ein Schwertgriff fest und sicher in seiner Hand. Licht fiel durch den Riss droben. Der Moschusgeruch nach Katzen. Eine Stimme, heiser vor Sorge – »Haben sie uns gesehen, Mylord?«
Mit einem leichten Ruck landete der Luftwagen. Varzil blinzelte und starrte durch das Fenster. Sein Magen zog sich zusammen. Die dunkle Vision verschwand, und vertraute Umgebung erschien. Sie waren ein Stück vom Haupthaus von Klarwasser entfernt, auf dem Feld bei den Koppeln. Eine Handvoll Männer kam ihnen entgegengerannt. Dom Felix stieg aus dem Luftwagen und rief nach gesattelten Pferden und Fackeln.
Der Schwarze Eiric sprang aus dem Wagen. »Vai dom, Ihr könnt doch nicht heute Abend schon losreiten. Die Sonne ist bereits beinahe untergegangen! Auch der beste Fährtenleser kann in diesen Hügeln im Dunkeln keine Spur finden. Und die Katzenwesen könnten im Hinterhalt liegen.«
»Mein Sohn Harald ist da draußen. Ich muss gehen!«
Varzil hörte die Verzweiflung in der Stimme seines Vaters. Der alte Mann war schon vor Erschöpfung bleich gewesen, bevor sie nach Arilinn zurückgekehrt waren. Er hatte sich im Luftwagen ein wenig ausruhen können, aber nur, weil er keine andere Wahl hatte, auf engem Raum eingesperrt.
»Vater, du wirst dir nur schaden, wenn du so weitermachst.« Varzil berührte den Arm seines Vaters.
Bevor Dom Felix widersprechen konnte, redete Varzil eilig weiter: »Was kannst du denn erreichen, das Eiric und seine Männer nicht schaffen würden? Kannst du im Dunkeln sehen? Bist du ein besserer Fährtenleser als sie? Was wird aus Klarwasser, wenn es einen Kampf geben und du verwundet werden solltest?«
»Junger Welpe ...« Willst du mir etwa sagen, was ich tun soll?
Dom Felix versuchte sich loszureißen, aber Varzil hielt ihn fest. Durch die Schichten von Kleidung spürte er ein leichtes, aber bis in die Knochen gehendes Zittern.
»Du bist hier der Herr und Meister!«, sagte Varzil. »Der gesamte Landsitz hängt von dir ab, von den Befehlen für die Tagesarbeit bis zu deiner Anwesenheit im Comyn-Rat. Du bist kein gewöhnlicher Mann, der sein Leben aufs Spiel setzen kann, wie es ihm passt!«
»Ich werde mein Leben aufs Spiel setzen, wie es mir passt!«, rief Dom Felix. »Wie kann ich an meiner Feuerstelle sitzen bleiben wie eine nutzlose alte Frau? Mein Sohn ist in diesen Hügeln verschwunden, und er wird vielleicht sterben.«
Du hast noch einen anderen Sohn, dachte Varzil, der jetzt vor dir steht. Aber er konnte sich nicht dazu durchringen, es auszusprechen.
Sie starrten einander an, beide in der Dunkelheit kaum imstande, einander zu sehen. »Ein Ridenow sollte ihn suchen, einer von seinem eigenen Blut«, murmelte Dom Felix mit belegter Stimme.
Varzil stürzte sich auf die Möglichkeit. »Dann lass mich gehen.«
Als sein Vater zögerte, drängte er weiter: »Du willst doch immer, dass ich meinen Platz hier einnehme, dass ich Verantwortung übernehme – dann lass es jetzt auch zu! Gib mir den Befehl über diese Männer und lass mich den Rettungstrupp anführen. Ich schwöre: Ob Harald noch lebt oder nicht, ich werde ihn dir zurückbringen!«
Er spürte das leichte Sacken im Körper des alten Mannes und so etwas wie schnell wieder unterdrückte Erleichterung. Wenn nur Varzil wirklich ein solcher Sohn für mich sein könnte, zum Ruhm dieses Hauses! Aber er ist ein grüner Junge, er ist schwach und neigt zur Träumerei. Diese Männer sind hart gesottene Anführer gewöhnt. Ich habe sie mit eiserner Hand geführt; sie werden keinem Schwächling folgen.
Es gab nur eine Möglichkeit, es herauszufinden. Varzil ließ seinen Vater los und sprach Eiric an. »Bring meinen Vater zurück ins Haus und sorge dafür, dass man sich gut um ihn kümmert, und dann kommst du zurück. Ihr anderen bringt die Pferde und Fackeln. Wir reiten in die Hügel!«
»Ihr habt gehört, was mein Sohn gesagt hat«, erklärte Felix, seine Stimme heiser vor Emotionen und Müdigkeit. »Gehorcht ihm, wie ihr mir gehorchen würdet.«
Varzil stieg in den Sattel und wählte rasch die Männer aus, die mit ihm kommen sollten. Einer der Hirten war gerufen worden, um sie in die Hügel zu führen. Sein zähes kleines Chervine war beinahe ebenso zottig wie sein Reiter, und es trabte so sicher den Bergpfad entlang, als wäre er eine breite Straße im hellen Tageslicht.
Nachdem sie den Hof ein Stück hinter sich gelassen hatten, ritt Eiric neben Varzil und sprach ihn an. Eiric hielt die Fackel hoch, die ein flackerndes Licht auf die nächsten paar Fuß des Pfades und auf die weiße Schaffelljacke des Hirten warf. »Junger Herr«, sagte Eiric, »das hier ist Wahnsinn, und es ist auch grausam, dem alten Mann Hoffnung zu machen. Der Hirte dort kann uns an die richtige Stelle führen. Es heißt, sie können im Dunkeln ebenso gut sehen wie ihre Tiere. Aber was dann? Wir können die Spur nicht einfach heraufbeschwören. Nach allem, was wir wissen, ist das, was wir hier tun, sinnlos, und der junge Herr Harald ist bereits tot.«
Dunkelheit – schwerer Atem. Das matte, kranke Pochen einer Wunde, die sich entzündet hat.
»Er lebt noch«, erklärte Varzil mit einer Sicherheit, die ihn überraschte. Er konnte nicht besser im Dunkeln sehen als zuvor, aber andere, neue Sinne waren in ihm erwacht, angeregt von dem intensiven Kontakt mit den Leuten im Turm. Er konnte dieses Wissen nicht in Worte fassen, er war nur vollkommen sicher, dass er Recht hatte.
»Wir müssen ihn bald finden«, sagte Varzil mehr zu sich selbst als zu Eiric. »Er ist verwundet, und die Katzenwesen sind ihm immer noch auf der Spur. Im Augenblick ist er jedoch in Sicherheit.«
»Und woher wollt Ihr das wissen?« Eiric war lauter geworden. Dann schwieg er, und Varzil berührte seine Gedanken. Er war schon als Kind begabt. Der alte Herr hat versucht, es zu unterdrücken, aber so etwas kann man nicht ewig ignorieren. Und er war in Arilinn, in diesem Nest der Zauberei. Etwas ist dort mit ihm passiert, das ist deutlich zu sehen. Ich weiß nicht, ob es gut oder schlecht ist. Das wird wohl nur die Zeit erweisen. Aber wenn er unseren jungen Herrn finden und verhindern kann, dass es dem alten Mann das Herz zerreißt, wäre es den Versuch wert.
Sie ritten weiter, langsamer nun, denn das Land wurde felsiger. Das letzte rötliche Licht verschwand vom Himmel. Aldones war ihnen gnädig, denn drei von vier Monden standen am wolkenlosen Nachthimmel.
Das Land war hier sehr abschüssig. Granitblöcke schimmerten im bunten Licht. Glitzernde Partikel waren im Stein eingelagert. Einige dieser Felsen waren so groß wie Ackergäule, andere nur faustgroß. Die Schatten zwischen ihnen wurden immer dunkler.
Vor Jahren hatte Varzil diese Gegend erforscht, wenn er eigentlich verirrte Schafe suchen oder die Grenze abreiten sollte. In diesen Hügel wimmelte es von Höhlen, wunderbare Orte, um an den wenigen heißen Sommertagen einen kühlen Ruheplatz zu finden.
»Ist es hier passiert?«, fragte einer der Männer hinter Varzil.
Der Hirte murmelte etwas. Sein Chervine bewegte den Kopf, und die Glöckchen klingelten.
»Geh nach Hause«, sagte Varzil zu dem Mann. »Du hast uns heute sehr geholfen.«
Mit einer leisen Bemerkung und einem Gruß wendete der Mann sein Reittier und verschwand.
Varzil drängte sein Pferd vorwärts und ließ es sich selbst den Weg zwischen den verstreuten Felsen hindurch suchen. Eiric ritt hinter ihm und hielt dabei die Fackel hoch über den Kopf. Das Licht fiel auf niedergetrampeltes Gras. Die Schatten dort wurden deutlicher, waren schließlich als die Leichen zweier Männer zu erkennen, von denen einer über den anderen gefallen war. In der Nähe lagen drei oder vier tote Katzenwesen. Varzil sprang aus dem Sattel und ging auf die toten Männer zu. Er kniete sich neben sie und schauderte bei dem Gefühl der Leere, der vollkommenen Abwesenheit eines Lebensfunkens. Es war nicht die Reglosigkeit ihrer Glieder oder das Schweigen ihres Herzens, das ihn berührte. Rings umher spürte er Energie – das langsame, geduldige Gras, die hellen Flecke von Insekten, das Zwitschern von Rabbithorns in ihren Löchern und das entfernte Gleiten einer Eule. Er hatte schon öfter Tod gesehen, sowohl den von Tieren als den von Menschen. Er war dabei gewesen, als sein Großvater seinen letzten schaudernden Atemzug tat. Die Macht und der Schrecken dieses geheimnisvollen Augenblicks suchten ihn immer noch in seinen Träumen heim.
Aber das hier war etwas anderes. Er spürte eine Unvollständigkeit wie eine immer noch blutende Wunde. Das hier hatte nichts mit dem friedlichen Dahinscheiden seines Großvaters zu tun. Als er sein neu verstärktes Laran benutzte, konnte er die letzten Augenblicke dieser beiden Männer beinahe schmecken. Etwas davon war immer noch geblieben, die Tür zwischen Leben und Tod wurde offen gehalten durch den Schock ihres Sterbens.
Ja, jetzt, wenn er sich konzentrierte, sah er, dass die Leere ein ungeheilter Riss war. Seine Vision wurde undeutlicher. Mit großer Anstrengung wandte er sich von dem verführerischen Drang ab, diesen beiden Männern zu folgen.
Er sah keine Waffen, nicht die geraden Schwerter der Männer und auch nicht die gebogenen ihrer katzenhaften Angreifer. Metall war zu kostbar, als dass man es zurückließ. Er hoffte nur, dass nicht eines der Schwerter seines Vaters gegen ihn eingesetzt würde.
Eiric war ebenfalls vom Pferd gestiegen und betrachtete den Boden in einem Kreis, den er immer weiter zog. »Der Boden hier ist zu fest, als dass wir etwas sehen könnten. Und Katzenwesen hinterlassen mit ihren weichen Pfoten nicht viele Spuren. Es würde ein Wunder von Aldones brauchen, um feststellen zu können, wohin sie gegangen sind.«
»Oder etwas von Zandrus verfluchtem Glück«, murmelte ein anderer Mann.
»Genau.« Eiric nickte. Er zeigte nach Norden, wo ein Hügel in einem schmalen Pass auf einen anderen traf. »Ich nehme an, die Katzenwesen haben sich in diese Richtung zurückgezogen. Es gibt hier überall Höhlen.«
Stolpern über Steine und am Boden liegende pelzige Körper; den Hügel hinab, um Angriffe abzuwehren. Dünne Lippen, die von Reißzähnen zurückgezogen wurden. Ein zischender Schmerzensschrei. Laufen, weiterlaufen. Die Höhlen sind unsere einzige Hoffnung ...
Varzil zeigte nach Norden. »Harald ist dort.«
Eiric nickte. Die Bewegung warf Schatten über seine zerklüfteten Züge. »Ja, wenn er die Gelegenheit hatte, sich in Sicherheit zu bringen, sollte er dort sein. Er ist einmal zu Mittsommer hier heraufgekommen. Und der junge Herr Ann’dra ist ihm gefolgt, erinnert Ihr Euch?«
Varzil erinnerte sich, dass man ihm die Geschichte erzählt hatte. Er selbst war damals noch zu jung gewesen, um sich den Eskapaden seiner älteren Brüder anzuschließen. Er stand still und versuchte sich zu konzentrieren. Wenn er Harald irgendwie wissen lassen konnte, dass er hier und Hilfe unterwegs war ...
Die Zeit verging, aber es gab keine Antwort, nicht einmal mehr diese flüchtigen Kontakte. Wieder sagte Eiric etwas, riss Varzil damit aus seiner Konzentration, und sie stiegen den Hügel hinab. Hin und wieder hielt Varzil inne, um mit dem Geist nach seinem Bruder zu tasten. Er erhielt keine Eindrücke mehr. Nachdem er Haralds Geist einmal berührt hatte, war er jedoch sicher, dass er es wissen würde, wenn sein Bruder nicht mehr lebte. Es konnte auch andere Erklärungen für das Fehlen von Kontakt geben. Vielleicht war Harald bewusstlos oder so im Delirium des Fiebers versunken, dass er nicht mehr klar denken konnte. Wie auch immer, sie durften keine Zeit verlieren.
Die Pferde bewegten sich unsicher über den felsiger werdenden Boden. Eirics Tier stolperte über einen losen Stein und brach in die Knie. Als es wieder hochkam, hatte es einen kleinen blutenden Schnitt, lahmte aber nicht. Ein anderer Mann gab Eiric sein Pferd.
Danach gingen sie zu Fuß weiter und führten die Tiere. Sie bewegten sich langsamer und blieben zusammen. So tief in den von Höhlen durchzogenen Hügeln, in denen überall Katzenwesen lauern konnten, bestand ihr bester Schutz darin zusammenzubleiben.
Die Zeit verging, und die Monde zogen weiter über den Himmel. Idriel ging unter. Die Nacht wurde dunkler und dann wieder heller, eine milchige Färbung am östlichen Horizont. Die Fackeln brannten nieder. Als sie ausgingen, befahl Eiric nicht, dass neue angezündet werden sollten.
Varzil schauderte, als wäre ihm Eis bis ins Mark gedrungen. Er rieb sich die Arme, um sich zu wärmen. Als er ausatmete, erwartete er, seinen Atem als frostigen Nebel zu sehen. Kalt ... Schaudern ... Eine Stimme, die er kennen sollte, Hände auf seinen Schultern, der Schwertgriff zitterte in seinen Händen. »Still, Mylord, oder sie werden uns hören!«
Das Eis befand sich nicht in seinem eigenen Körper, sondern in dem fiebergeschüttelten Fleisch seines Bruders.
Varzil musste ihn erreichen – aber wie? Man hatte ihm nie beigebracht, wie man den Sternenstein benutzte, um telepathischen Kontakt zu verstärken, aber er wusste, wie es ging. Er nahm den blauen Stein aus dem Beutel aus dreifach geschichteter Seide und konzentrierte sich darauf. Das blaue Feuer, das am Turm von Arilinn so hell geworden war, füllte sein Blickfeld. Er trank es mit seinen Augen, seinem Atem.
Harald! Kannst du mich hören?
Etwas rührte sich. Nein, das ist unmöglich! Es ist das Fieber, das mir Gedanken eingibt. Ich höre die Stimmen meiner Lieben, nichts weiter.
»Meister Varzil?«, fragte Eiric.
Varzil bedeutete ihm zu schweigen. Trüb war ihm bewusst, dass die Männer ihn anstarrten. Sie würden sein Gesicht ausdruckslos sehen, seine Haltung wie die eines Menschen, der intensiv lauscht.
Was hört er, das wir nicht hören können?
Ihre Gedanken summten wie lästige Insekten um seine Ohren.
Ungeduldig reichte er Eiric die Zügel seines Pferdes, bedeutete den anderen, ihm zu folgen, und ging voran. Sie waren auf einem schmalen Pfad unterwegs gewesen, kaum weit genug, dass ein Pferd Platz hatte. Varzil eilte weiter wie ein Hund, der eine Spur wittert.
Harald! Harald!
Ah, es muss ein Traum sein. Wer ruft mich hier im Dunkeln? Armand ist tot. Ich bete, dass die Katzenwesen ihn nicht gefunden haben.
Ich bin es, Varzil – wo bist du?
Nein, Varzil ist in Arilinn. Wie könnte er mich hier erreichen? Verschwindet, ihr Gespenster. Ich bin noch nicht bereit, mich euch zu überlassen! Die Dunkelheit dreht sich! Ich sehe Lichter – sind es Katzenwesen oder Irrlichter? Ist Aldones, der Herr des Lichts, gekommen, um mich von dieser Welt zu holen?
Harald!
Noch nicht, o Herr! Noch nicht das graue Land der Toten! Ich kann meinen Vater noch nicht verlassen – ein bisschen mehr Zeit, ich flehe dich an, nur ein bisschen mehr Zeit.
Harald! Wo bist du?
Du weiß, wo ich bin. Du bist doch allwissend. Ich bin, wo du mich hingeschickt hast, in der Finsternis ... und jetzt schickst du diese tanzenden Lichter. Ah, wie schön sie sind, wie glitzernde Edelsteine. Bin ich schon tot, dass ich sie sehen kann? Aber mir ist kalt, so kalt. Ich muss in Zandrus kältester Hölle sein.
Varzil versuchte es noch mehrmals, aber er konnte nicht in den Fieberwahn seines Bruders eindringen, und er fürchtete, dass die Infektion von Haralds Wunde sich schon bis zu seinem Gehirn ausgebreitet hatte.
»Ich kann seine Gedanken spüren«, sagte Varzil zu Eiric, »aber er denkt, ich bin ... Er kann mir nicht sagen, wo er ist.«
»Was sollen wir also tun? Ihr sagt, er lebt noch, aber er ist im Fieberwahn. Wenn das so ist, kann er nichts dafür.«
Herr des Lichts, was soll ich tun? Er musste weitergehen und beten, dass ihm etwas einfiel. Vielleicht würden seine Sinne schärfer werden, sobald er in den Höhlen selbst war, wo die Dunkelheit der entsprach, die Harald umgab.
Er wusste nicht, ob Harald eine bestimmte Höhle bevorzugte, aber es gab eine, in der er sich selbst immer sicher gefühlt hatte. Sie öffnete sich nach Westen, und vor dem Eingang befand sich ein breites Sims, hervorragend geeignet für ein Picknick im Sonnenuntergang. Ein schmaler Gang führte in die Felsen hinein, was Verfolger zwang, hintereinander einzudringen. Wenn Harald die Wahl gehabt hatte, hätte er sich sicher für ein solches gut zu verteidigendes Versteck entschieden.
Im trüben Dämmerungslicht konnte er den Höhleneingang zunächst nicht finden, aber nach mehreren Versuchen gelang es ihm. Sie mussten die Pferde im Tal lassen und zu Fuß nach oben steigen. Als Junge war ihm das mit Leichtigkeit gelungen. Ein Mann mit einem Schwert oder mit einer Wunde hätte größere Schwierigkeiten.
Eiric hielt inne, um eine der Fackeln anzuzünden, obwohl sie damit Gefahr liefen, für Katzenwesen in der Höhle sichtbarer zu werden. Er bestand darauf, als Erster in die Höhle zu gehen, denn – wie er Varzil mitteilte – falls es Ärger gab, würde er den jungen Herrn mit seinem Schwert verteidigen. Langsam krochen sie einer nach dem anderen durch den schmalen Eingang. Die Felswände rochen muffig, und das schwache Licht glitzerte auf dem feuchten Stein. In diesem engen Raum wurde das Atmen der Männer zu einem Flüstern. Sie gingen weiter, ihre Schritte gedämpft. Ein- oder zweimal glaubte Varzil, Stiefelspuren zu entdecken.
Nach kurzer Zeit öffnete sich ein etwas weiterer Gang ins Herz des Berges. Dunkelheit senkte sich über Varzil und verschlang das Geräusch seines Herzens.